Meine Ernte ist geiler als deine Ernte – junges Gemüse im Umland, Foto: Manfred Wegener

Bock auf Ackern

Immer mehr Menschen wollen genau wissen, wo ihr Gemüse herkommt. Selbsternte-Anbieter haben Hochkonjunktur

 

Auf dem Feld am Ende des Lerchenwegs knien, harken und zupfen Menschen mit oder ohne Strohhut in der Abendsonne. Noch sieht man in den langen Erdfurchen hauptsächlich Unkraut aller Art. Aber schon bald sollen hier in Hochkirchen Kartoffeln, Möhren, Blumenkohl und Rote Bete wachsen. In den vergangenen Wochen sei es aber einfach noch zu warm gewesen, sagt eine der Hobbygärtnerinnen. »Normalerweise wünscht man sich ja nicht, dass es regnet – aber hier freut man sich darüber.«

 

Ein kleiner Wagen mit Anhänger biegt langsam in den Feldweg ein. Ein Mann im blauen Overall steigt aus. Evgeny Ivanov hat hier in Hochkirchen vor sechs Jahren zusammen mit seiner Frau das Projekt Gartenglück ins Leben gerufen. Sogleich beeilen sich zwei Gärtnerinnen, ihm beim Ausladen zu helfen und mit Fragen zu überhäufen. Eine Frage ist besonders dringend. Ivanov lacht. Ja, Gurken habe er auch. Ehec? Der Landwirt schüttelt den Kopf: »Bei uns weiß ja jeder, wo sein Gemüse herkommt und was damit passiert.« Verwendet wird nur Bio-Saatgut, auf chemische Düngung muss verzichtet werden. Was hier wachs, sei garantiert unbelastet, sagt Ivanov.

 

Ehec, Katastrophen wie in Fukushima und die Lebensmittel­skandale der vergangenen Jahre verunsichern viele. Auch darum boomen Gemeinschaftsgärten. Ge­wissheit über Produktionsbedingungen und vor allem Herkunft der Nahrungsmittel scheint wichtiger denn je. Das macht sich bei Gartenglück bemerkbar: Neben dem Stammsitz in Hoch­kirchen gibt es mittlerweile weitere »Filialen« in Weiden und seit neuestem im rechtsrheinischen Buchheim.

 

Zudem ist das Angebot vergleichsweise günstig: »Man spart bis zu 700 Euro im Jahr, die man sonst für Bio-Gemüse ausgeben würde«, rechnet Ivanov vor. Mit der Ernte auf der Hundert-Quadratmeter-Parzelle könne man eine vierköpfige Familie eine Saison lang mit Gemüse versorgen, verspricht Gartenglück. Dafür zahlt man einmalig 230 Euro. Wem das zu teuer ist, der entscheidet sich für eine halbe Parzelle.

 

Manche Mieter sind zwar ­ohnehin Bio-Käufer, viele aber könnten sich das eigentlich nicht leisten. Für sie sei die Selbsternte eine günstige Alternative, finden die Hobbygärtner. Zudem sei sie oft so reichhaltig, dass man noch Gemüse an Nachbarn oder Freun­­de verschenken könne. »Man ern­tet eigentlich die ganze Zeit«, sagt ein Nutzer aus Hochkirchen. Der Aufwand ist dabei gering. Das Team von Gartenglück sät zu Saisonbeginn rund dreißig Sorten für den Mieter aus. Etwa zwei Stunden pro Woche müssen sich die Teilzeitbauern dann um ihr Gemüse kümmern. Gartengeräte und Wasser stehen vor Ort zur Verfügung.

 

»Außer Gummistiefeln muss man nichts mitbringen – nur Spaß an der Arbeit draußen«, sagt auch Natalie Kirchbaumer, die gemeinsam mit Wanda Ganders das überregionale Projekt Meine Ernte gegründet hat. Die Nachfrage sei zuletzt erheblich gestiegen, die Wartelisten lang. Die jungen Unternehmerinnen aus Bonn vermieten ihre Parzellen inzwischen in 15 verschiedenen Städten bundesweit, neben Köln auch in Berlin oder Düsseldorf. Ihre Arbeit verstehen sie durchaus pädagogisch: »Viele Menschen kommen zu uns und haben noch nie gegärtnert. Denen wollen wir Starthilfe geben«, sagt Kirchbaumer.

 

Überhaupt sind die Gründe für die Teilnahme vielfältig: Viele Eltern wollen ihren Kindern trotz des Stadtlebens Nähe zur Natur bieten. Für andere bedeutet die Gartenarbeit schlichtweg Erholung vom Büroalltag, oder ist gar eine Alternative zum Fitnessstudio. Allen gemeinsam ist die Lust am Ernten: »Das ist einfach ein tolles Gefühl, die eigenen Kartoffeln aus der Erde zu holen«, sagt eine ältere Frau in Hochkirchen. Für sie ist es die zweite Saison. Der Austausch untereinander gehöre dazu, sagt ein Familienvater. »Man erzählt sich, wie viele Kartoffelkäfer man gefangen hat. Oder gießt für den Nachbarn, wenn der mal nicht da ist.«

 

Und auch für die andere Seite klingt das Modell sinnvoll: Landwirte, die ihre Felder zur Verfügung stellen, müssen sich weniger um deren Pflege kümmern, tragen kein Ernterisiko und bekommen faire Preise. Oder? Schon, sagt Landwirt Hermann-Josef Niehl, der Meine Ernte in Frechen betreut. Bislang stelle die Selbsternte für ihn allerdings eher einen kleinen Zuverdienst dar. »Aber wenn die Zahl der Nutzer gewaltig ansteigt und man dadurch größere Flächen bewirtschaften würde, könnte es als Haupteinnahmequelle dienen.«

 

gartenglueck.info, meine-ernte.de