Nicole Selmer, Netzwerk »F_in Frauen im Fußball«

»Brombeer? Geht’s noch?«

Frauen haben nicht nur auf dem Platz einen schweren Stand, sondern auch in der Kurve. Christian Steigels hat mit Nicole Selmer gesprochen. Die 40-Jährige ist Mitglied des Netzwerks »F_in Frauen im Fußball«, Autorin des Buches »Watching The Boys Play« – und Fan von Borussia Dortmund.

StadtRevue: Frau Selmer, wie oft haben Sie im Stadion schon die Abseitsregel erklären müssen?

 

Nicole Selmer: Ich erkläre die natürlich nie. Also bitte! Aber klar, die Frage kriegt man schon noch gestellt, obschon es inzwischen bei Männern ein größeres Bewusstsein dafür gibt, dass auch Frauen zum Fußball gehen. Aber ein Mann wird so etwas nie gefragt.

 

Wie hoch ist denn der Frauen-Anteil im Stadion in der Männer-Bundesliga?

 

Untersuchungen gehen davon aus, dass zwanzig bis dreißig Prozent der Stadionbesucher Frauen sind. Und das ist nicht erst seit der WM 2006 so, als die Medien das Thema auf einmal entdeckt haben. Wenn man sich Bilder aus den 20er Jahren anschaut, als Fußball zum Massensport wurde, der ganz stark mit der Arbeiterklasse und Werten wie Männlichkeit und Härte assoziiert wurde, sieht man: Da sind auch immer schon Frauen gewesen.

 

Ihr Buch »Watching The Boys Play« war 2004 die erste Veröffentlichung zu Frauen im Stadion. Hat das Thema vorher nieman­den interessiert?

 

Das habe ich mich auch gefragt. Ich wollte damals eigentlich ein Buch darüber lesen und nicht erstmal schreiben. Aber das hat damit zu tun, dass Fußball immer als Sport von Männern für Männer funktioniert hat. Frauen wurden unter den Tisch gekehrt. Wenn sie überhaupt erwähnt wurden, dann als Begleiterinnen der Männer. Frauen wurden nicht als Teil von Fankultur wahrgenommen.

 

Wenn man sich die Berichterstattung anschaut, werden weibliche Fans gerne als knapp bekleidet und fröhlich Kusshände in Richtung Kamera verteilend dargestellt.

 

Dieses Bild der Samba-Tänzerin hat sich in den vergangenen Jahren sehr ausgebreitet – diese Bilderstrecken mit den schönsten WM-Fans in Bikinis in den jeweiligen Landesfarben. Das ist im Liga-Fußball zum Glück nicht so, weil glücklicherweise wenig Frauen im Stadion Bikini tragen. Dafür hält sich dort das Groupie-Klischee hartnäckig. Frauen gehen wegen der süßen Spieler zum Fußball. Viele Vereine machen auch Werbung mit dieser Boygroup-Nummer. Ich würde das gar nicht komplett ablehnen. Das ist für jüngere Mädchen nicht selten ein Popkultur-Ding. Man schwärmt für einen Spieler, geht ins Stadion, holt sich ein Autogramm beim Training. Aber das machen Jungs auch. Die meisten, die sich Autogramme holen, sind Männer und Jungs.

 

Akzeptieren die Vereine Frauen mittlerweile als echte Fans?

 

Viele Vereine und Sponsoren gehen nach wie vor davon aus, dass Frauen nicht so sehr Fans, sondern eher Kundinnen sind. Denen muss man Fanartikel anbieten, die ein bisschen weiblicher sind, ein bisschen Glitzer drauf haben, oder in Pastellfarben gehalten sind. Ich habe kürzlich im Dortmunder Fanshop-Katalog den Schal »Borussia Brombeer« gesehen. Mit floralem Muster, für die weiblichen Fans. Brombeer? Geht’s noch? Schwarz-Gelb sind unsere Farben! Wenn ich Osnabrück-Fan wäre, dann würde ich mir vielleicht so einen Schal kaufen.

 

Eine Folge dieser falschen Einschätzung weswegen Frauen ins Stadion gehen, ist für viele männliche Fans die Gleichung: Mehr Frauen gleich mehr Event. Wie kommt das?

 

Viele Veränderungen im Stadion werden unter diesem Label angekündigt: Wir wollen ein neues Publikum, mehr Familien, mehr Kinder, mehr Frauen. Und für die braucht es  Maskottchen, Sponsorenwettspiele, Halbzeitshow. Die Frage ist: Wem gefällt das wirklich? Und die Antworten darauf sind nicht entlang einer Geschlechtertrennung, da geht es eher um ein Verständnis von Fan-Dasein: Weswegen bin ich hier? Ein anderer Punkt sind verschärfte Sicherheitsmaßnahmen. Das Spiel soll sicherer gemacht werden, damit der Mann mit Kind und Frau ins Stadion gehen kann, lautet die Legitimierung. Das missfällt vielen Fans, weil sie viele Maßnahmen zurecht als Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit sehen. Aber das mögen auch weibliche Fans nicht.

 

Ihre Kollegin Almut Sülzle schreibt, dass der Weg zur Anerkennung für Frauen im Stadion darüber führt, sich männlichen Mustern anpassen, um nicht aufzufallen. Ist das noch so?

 

Durchaus. Das beginnt bei der Kleidung: In der Fankurve gibt es einen geschlechtsunspezifischen Dresscode. Und das Verhalten: Laut brüllen, laut singen, auf den Schiri schimpfen. Das machen Frauen ebenso. Manche männliche Verhaltensweisen, die Frauen annehmen, können auch sehr positiv sein. Zum Beispiel in einer Stehplatzmenge seinen Raum während des Spiels zu verteidigen.

 

Verstärkt das nicht das Männerbündlerische am Fußball, wenn Frauen diese Muster übernehmen?

 

Natürlich unterwandert das nicht gerade die männliche Kultur des Fanblocks, aber das ist auch nicht das, was weibliche Fans vorhaben. Die sind ja da, weil ihnen das gefällt, nicht, weil sie das ändern wollen.

 

Auch Sexismus gehört für viele männliche Fans zur Fankultur dazu. Wie kann man diesem Problem begegnen?

 

Unterschiedlich. Es gibt dieses huldigende Verhalten: Beim Fußball wird rumgebrüllt, da wird Bier verschüttet, und es werden sexistische Sprüche geklopft. Es ist sehr schwierig, dass als Frau anzusprechen, weil man sich so selbst außerhalb stellt. Es ist für eine weiße Frau einfacher, sich über Rassismus aufzuregen als über Sexismus. Aber das Bewusstsein wächst. Es gibt Aktionen, es gibt Choreografien, es gibt Banner und es gibt Infoveranstaltungen gegen Sexismus. Das geht nicht nur von weiblichen Fans aus.

 

Zugenommen hat auch die Zahl rein weiblicher Fanclubs. Was unterscheidet die von männlichen?

 

Gar nicht so viel. Das sind nicht alles feministische Projekte, die sagen: Wir wollen die Kurve umkrempeln. Manche Gruppen signalisieren aber ganz bewusst: Hier sind Frauen, und es können noch Frauen hinzukommen.

 

Das heißt  im Umkehrschluss, es besteht noch Bedarf, zu zeigen: Frauen sind hier willkommen?

 

Auf jeden Fall. Nicht jede Ultra-Gruppe und jeder Fanclub sagen: Super, wir wollten schon immer mal über Sexismus nachdenken. Zudem haben viele Frauen ein größeres Selbstbewusstsein, weil sie wissen, meine Leute passen auf mich auf. Wenn jemand blöd kommt, dann kann ich widersprechen, und dann springt mir auch jemand bei.

 

Hat die WM Auswirkungen darauf, wie Frauen als Fans im Stadion wahrgenommen werden?

 

Von der Vermarktung her bin ich eher besorgt. Es gibt diesen Werbespot eines Elektronikkonzerns: vier Nationalspielerinnen, Fußballfeld, Spielszene – und auf einmal wird der Film angehalten und die vier schminken sich. Dann läuft der Spot weiter und sie schießen aufs Tor. Was soll das? Die verkaufen noch nicht mal Kosmetik, sondern Elektroartikel.

 

Interessieren Sie sich überhaupt für Frauenfußball?

 

Ich habe im Vorfeld der WM viele Anfragen bekommen, obwohl ich dazu bisher eigentlich nichts geschrieben hatte. Aber viele haben wohl gedacht: Ach, das ist eine Frau, das wird schon passen. Mittlerweile interessiere ich mich mehr für Frauenfußball.


 

In einem Interview sprachen Sie von geplanten Aktionen zur WM. Was könnte das sein?

 

Eine Idee, die wir vom Netzwerk »F_in Frauen im Fußball« hatten, ist in Kneipen zu gehen und den Figuren an den Kickertischen kleine Perücken anzukleben, und kleine Gummibrüste. Denn in Kickerteams sind Frauen nach wie vor extrem unterrepräsentiert.

 

Nicole Selmer: Watching the boys play. Frauen als Fußballfans. AGON-Sportverlag, Kassel 2004, 15 €