Das Ende des Schweigens

Die Kölner Staatsanwaltschaft hat in aller Stille ermittelt und vermutet nach umfangreichen Geständnissen ein ganzes Netzwerk der Korruption hinter dem MVA-Projekt

Jetzt wird es ernst: der Fokus im Skandal um die Kölner Müllverbrennungsanlage liegt nicht mehr auf dem Parteispendenzirkus sondern auf einer Korruptionsaffäre von gewaltigem Ausmaß. Während das Bemühen der nordrhein-westfälischen SPD um öffentliche Aufklärung des Kölner Parteispendenskandals wohl auch den Eindruck vermitteln sollte, dass es sich hier letztlich nur um eine irgendwie illegale, aber niemanden wirklich interessierende Praxis der verschleiernden Abbuchung von >Danke-schön-Spenden< gehe, sieht sich die Parteiführung nun mit dem schwerwiegendsten Vorwurf konfrontiert, der gegen politisch Verantwortliche überhaupt erhoben werden kann. Zwar wurde schon früh über die Bestechung von Politikern spekuliert, bisher aber gab es noch keinen konkreten Anhalt. Das hat sich nun auf einen Schlag geändert. Die viel zu große, viel zu teure und eigentlich komplett überflüssige MVA, die über 400 Millionen Euro gekostet hat (Kölns größte öffentliche Investition aller Zeiten) und die entscheidend für die hohen Kölner Müllgebühren verantwortlich ist – letztlich nur ein Auswuchs der rheinischen Korruption?

Folgenschwere Aussagen

Völlig überraschend, so heißt es in der Presse, seien am 13. Juni 2002 der Ex-Fraktionsvorsitzende der Kölner SPD, Norbert Rüther, der frühere Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Wienand, sowie der Unternehmer Hellmut Trienekens verhaftet worden. Laut Staatsanwaltschaft steht Rüther damit nicht mehr nur im Verdacht der Steuerhinterziehung, ermittelt wird nun auch mit Verdacht auf Beihilfe zur Bestechlichkeit. In den Fällen von Wienand und Trienekens lautet der Verdacht auf Steuerhinterziehung sowie Beihilfe zur Bestechung und Bestechlichkeit. 21,6 Millionen Mark hat sich die Firma Steinmüller die Zuschanzung des lukrativen Auftrags kosten lassen. Deren Ex-Geschäftsführer Sigfrid Michelfelder hat nach Angaben der Ermittler 2,4 Millionen Mark für sich selbst abgezweigt und sitzt bereits seit Februar dieses Jahres in Untersuchungshaft.
Schon seit Monaten ist über den Verbleib des zweistelligen Millionenbetrags gerätselt worden, der im Zusammenhang mit der Auftragsvergabe zur Errichtung der MVA an Steinmüller über drei Schweizer Firmen in verschiedene Taschen geflossen sein soll. Ganz so unerwartet war der Schritt der Staatsanwaltschaft deshalb wohl nicht mehr, zumal der ebenfalls in Untersuchungshaft sitzende ehemalige AVG-Geschäftsführer Ulrich Eisermann am 16. Mai eine umfassende Aussage gemacht hat, die zunächst geheim gehalten worden war. Mittlerweile ist bekannt, dass Eisermann über die Provisionszahlungen durch die Firma Steinmüller berichtet hat.
Die Abmachung zwischen Eisermann, Michelfelder und Trienekens im Herbst 1993 legte angeblich die Zahlung von jeweils einem Drittel der Schmiergeld-Summe bei Auftragsvergabe, Baubeginn und Bauabschluss fest – die Bestechung war also von vornherein geplant. Nach Eisermanns Darstellung hat Rüther schon im Frühjahr 1994 seinen Anteil am Schmiergeld eingefordert, woraufhin Eisermann ihm im Oktober 1995 und im April 1998 jeweils eine Million Mark in Plastiktüten verpackt überbracht haben will. In Plastiktüten. So stillos, so unverfroren. Offensichtlich wurde auf breiter Front geschmiert, um Steinmüller wider bessere Angebote den Zuschlag zu verschaffen. Rüther bestreitet bisher alle Vorwürfe. Auch die Staatsanwaltschaft schließt nicht aus, dass Eisermann die Unwahrheit sagt, um die eigene Schmiergeldmenge von 9,5 Millionen Mark herunterzurechnen. Warum er dazu ausgerechnet Rüther belasten sollte, ist aber unbeantwortet.

Rhein-Sieg-Connections

Eine wichtigere Rolle als bisher angenommen spielte offensichtlich auch Karl Wienand, der viele Jahre als Berater der Firma Steinmüller und der Firma Trienekens tätig war. Insgesamt 6,4 Millionen Mark soll er aus dem Schmiergeldtopf kassiert haben, darunter zwei Millionen, die für Hellmut Trienekens bestimmt gewesen und von diesem weitergereicht worden seien. Neuerdings kursieren Vermutungen die gesamte, Eisermann im Frühjahr 1993 nahegelegte Idee, eine Provision von etwa drei Prozent des MVA-Auftragvolumens zu kassieren, stamme von Wienand.
Wienand war immer schon ein umstrittener Mensch. Als SPD-Politiker bis in die 1970er Jahre für Aufgaben am Rand der Legalität zuständig, geriet Wienand auch nach der Niederlegung seines Bundestagsmandats und Geschäftsführerpostens der Bundestagsfraktion 1974 immer wieder in die Schlagzeilen, zuletzt wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit für die DDR: 13 Jahre lang hatte er für die Stasi gearbeitet und wurde 1996 zur Rückzahlung von einer Million Mark Agentenlohn sowie zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. 1999 rettete ihn jedoch Roman Herzog vor dem Strafantritt, indem er einem Gnadengesuch nachgab. Bis 2004 aber läuft Wienands Bewährungszeit noch.
Seit den 80er Jahren war Wienand wieder aktiver in der SPD, saß im Unterbezirksvorstand des Rhein-Sieg-Kreises sowie im Bezirksvorstand Mittelrhein. Besonders enge Kontakte pflegte er zu Lothar Ruschmeier, der als Mitstreiter aus dem Unterbezirk Rhein-Sieg wie Wienand und der örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete Uwe Göllner zur so genannten Troisdorfer Mafia zählte. Die Genossen aus dem Rhein-Sieg-Unterbezirk steigerten nach und nach ihren Einfluss auf den mittlerweile aufgrund der SPD-Strukturreform aufgelösten Bezirk Mittelrhein. Dort war auch Norbert Rüther, langjähriger Vorsitzender der ASG (Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Gesundheitswesen), bald anzutreffen. Den Vorsitz in diesem Bezirk hatte von 1977 bis 1987 Günther Schlatter inne, ab 1987 übernahm Anke Brunn den Posten und zuletzt besetzte ihn Rüther ab Mai 1999 bis zur Auflösung. Im Mittelrhein-Bezirk also – spätestens – kreuzten sich die Wege der Hauptfiguren des Mülldramoletts.
Lothar Ruschmeier, über dessen Troisdorfer Sauna als Fortsetzung der Politik mit anderen Aufgüssen schon einiges Gemunkel zu hören war, gehört seinerseits zu den Schlüsselfiguren bei der Erbauung der MVA: er unterzeichnete als Oberstadtdirektor alle wichtigen Verträge; zugleich war er Aufsichtsratsvorsitzender der AVG, welche die Auftragsvergabe vornahm und bis heute die Anlage betreibt. Dennoch begegnet sein Name bisher äußerst selten: weder zum Parteispenden-, noch im Bestechungszusammenhang wurde er befragt. Besonders in den einschlägigen Kölner Medien taucht sein Name nur gelegentlich und am Rande auf. Ruschmeier arbeitet heute in leitender Funktion für die Oppenheim-Esch Holding GbR (ein von der Oppenheim-Bank getragener Fonds, der gut an Ruschmeiers Kölnarena-Projekt verdient; auch Josef Esch übrigens ein alter Freund aus Troisdorf), in deren Geschäftsführung er sofort nach seinem Rücktritt vom Oberstadtdirektor-Amt im März 1998 wechselte.

Kurfürstliche Fingerzeige

Ausgerechnet eine andere Zentralfigur zeigt abweichend von der sonst üblichen Verschwiegenheit mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Ruschmeier: der ehemalige Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes, der seinerseits durch den dokumentierten Vermerk vom Juli 1992, Ruschmeier geraten zu haben, >besonders die Firma Steinmüller aus Gummersbach zu berücksichtigen<, ins Zwielicht geraten war. Überhaupt fiel Antwerpes durch lautstarke Befürwortung der MVA gegen alle Widerstände auf, erst durch seine >Feststellung des Müllnotstands< kam die umstrittene Anlage 1986 wieder auf die Agenda. Gegenwärtig spielt er jedoch die eigene Beteiligung weit herunter und wundert sich öffentlich, warum der Ex-Oberstadtdirektor nicht zum Ausschreibungsverfahren befragt werde. Auch dem Berliner Parteispenden-Untersuchungsausschuss hat er diesen Ratschlag gegeben.
Darüber, warum nun ein MVA-Fan den anderen ans Messer liefert, kann nur spekuliert werden. Tatsächlich aber müsste Ruschmeier über viele Details der Auftragsvergabe Auskunft geben können, obwohl er zur Zeit behauptet, keine Akten mehr zu besitzen und sich natürlich auch nicht erinnern zu können. Andererseits erklärte Antwerpes schon am 15. Mai 2002 im Kölner Stadt-Anzeiger durchaus glaubwürdig, dass Ruschmeier keinesfalls eigenmächtig gehandelt habe: >Das ist doch alles abgesegnet worden von den Fraktionsspitzen. Glauben Sie denn allen Ernstes, dass eine Firma wie ABB oder Steinmüller oder Babcock lediglich zu Herrn Heugel oder zu Herrn Rüther gegangen wäre und gesagt hätte: Regeln Sie das mal, damit der Ruschmeier springt. Die werden mit allen relevanten Leuten geredet haben.<
Damit legt der nicht eben uninformierte Ex-Regierungspräsident den Maximalverdacht nahe, dass noch weitere Kreise in den Skandal verwickelt sein könnten. Nur durch Reden dürften in Antwerpes’ Szenario die meisten Entscheidungsträger schwerlich zu überzeugen gewesen sein. Die nach den neuesten Vermutungen auch auf Politikseite im Spiel befindlichen mehreren Millionen Euro könnten da Überzeugungsarbeit geleistet haben. In Köln rätselt man nun vor allem, ob Rüther und Wienand das vermutlich erhaltene Geld ihrerseits zur Landschaftspflege verwendeten, also auf verschiedenen Ebenen Zustimmungen und Entscheidungen einkauften.

Unbeachtete Fragen

Auch, wenn sich herausstellen sollte, dass die nach Eisermanns Aussagen an Rüther geflossenen Millionen allein in dessen Taschen landeten, stellt sich die Frage nach den möglichen Gegenleistungen. Bisher hatte Rüther – ganz unabhängig vom jetzt in Frage stehenden Geldfluss – nur Danke-schön-Spenden von Firmen zugegeben, die diese nach der Auftragsvergabe der Partei gemacht hätten. Daraufhin hatte der Untersuchungsausschuss festgestellt, dass es in Köln >keinen Zusammenhang zwischen Korruption und illegaler Spendenpraxis< gegeben habe. Formaljuristisch mag das stimmen, tatsächlich gab es ja neben den Parteispenden wohl auch die eindeutigen Bestechungsgelder. Doch auch das Danke-schön-Spenden-System an sich wäre noch näher zu betrachten: wenn die Spenden statt eines unverhofften Danke-schöns eine erwartete Zahlung darstellten, wäre zu fragen inwieweit dadurch bereits Entscheidungen beeinflusst wurden und der Unterschied zur Korruption wohl nicht mehr allzu groß. Und vielleicht gibt es sogar doch einen direkten Zusammenhang zwischen beiden Zahlungsmodalitäten, sollten deshalb die Spendengeber nicht auf den Quittungen erscheinen.
Die meisten dieser Fragen stellten sich auch vor den Verhaftungen schon, jetzt aber gibt es erste Anhaltspunkte, dass der worst case eingetreten sein könnte: die nachweisbare Käuflichkeit der Politik. Was also an den Verhaftungen überraschend ist, ist allenfalls der Zeitpunkt. Nach Eisermanns belastender Aussage hätte die Staatsanwaltschaft schon viel früher zuschlagen können. Konkrete Auslöser der Haftbefehle waren aber wohl Verdunklungshinweise, welche die Ermittler durch das Abhören von Telefongesprächen erhalten haben. Rüther soll einer Freundin am Telefon berichtet haben, ein Großteil der Unterlagen sei bereits vernichtet. In seinem Fall kam Fluchtgefahr dazu; bei dem herzkranken Trienekens und dem 75-jährigen Wienand scheint Flucht aber nicht eben nahe liegend zu sein. Auch hier gab es mithin wohl Hinweise auf eine mögliche Beseitigung von Beweismaterial. Vielleicht handelt es sich dabei ja um die entscheidenden Puzzleteile. Man darf gespannt sein. Die Kölner SPD jedenfalls hat allen Grund zum Zittern, denn Bestechung und Korruption sind ein anderes Kaliber als das vermeintliche Kavaliersdelikt der gefälschten Spendenquittierung. Die politischen Gegner, sollten sie sauber bleiben, werden diese Waffe zu nutzen wissen, soviel ist sicher.