Die Erbärmlichkeit der Boheme

Kölner Neuzugang: Das Theater Tiefrot zeigt Brechts »Baal« im Kellergewölbe eines Hotels

In Kölns Dagobertstraße steht kein Geldspeicher, sondern das durchgestylte Hotel Hopper. In dessen Kellergewölben ist eine neue Theaterformation eingezogen: das Theater Tiefrot. Die Übernachtungsgäste können sich zwischen Sorbet und Veltliner also auch etwas Kunst gönnen. Doch will die sperrige Aufführung von Brechts »Baal« nicht recht zum illustren Ambiente über den Köpfen der zahlreichen, auf unbequemen Holzstühlen und Bierbänken zusammengepferchten ZuschauerInnen passen. Volker Lippmann, 49, dem interessierten TV-Publikum bekannt aus den »Anrheinern«, hat hier eine kleine, widerständige Theaterzelle ins Leben gerufen.
»Baal« ist Bertolt Brechts wild-poetischer Erstling, den er 1918, im Alter von 20 Jahren, noch unter dem Eindruck des Expressionismus »hinausschleuderte«. An »Baal« klebt nichts und wieder nichts von Brechts späterer Schulmeisterei, so dass der Text neben »Im Dickicht der Städte« und dem lyrischen Werk sein aufregendster geblieben ist. Lippmann hat »Baal« zusammen mit der Schauspielerin Christine Sohn als eine Art Rocker- und Alkoholikerdrama inszeniert. Hauptdarsteller Udo Thies wirft sich in Tom-Waits-Manier und mit viel Herzblut in die Rolle des »durch und durch asozialen Genussmenschen« (B.B.), des scheiternden, vagabundierenden Künstlers, der Frauen ebenso benutzt und wegwirft wie Freunde und Gönner. Kein Zufall, dass Volker Schlöndorff in seiner Filmadaption von 1970 die Rolle mit Rainer Werner Faßbinder besetzte. Lippmann, Sohn und der Dramaturg Gerald Theobald, der das Stück auf anderthalb Stunden und die Rollen von 30 auf neun kürzte, setzen voll auf den von B.B. angelegten vitalistisch-animalistischen Aspekt: »Sie sind ein Vieh, Herr Baal.« Dass dieser Kraftmeier auch ein maskierter Idealist ist, der »in absynthenen Meeren das Dach, wo es besser zu leben ist«, sucht, unterschlägt ihre Inszenierung bewusst. Zu armselig sind die 70er-Jahre-Posen zum Blues von Jörg Lehnard, das Schwadronieren des Ich-süchtigen Säufers über die verlorenen Ideale der Liebe, der Wunsch, sich mit Mutter Erde zu vereinigen. Dass letzterer Schoß aber Ungeheuer gebiert, zeigt schon das Bühnenbild – ein an Goya angelehntes Triptychon von Norbert van Ackeren. Selten sahen Boheme und Esoterik so erbärmlich aus. »Was glotzt ihr so romantisch?« ruft Brecht erneut. Ein kleines und doch großes Tableau im Kellerloch, eine Riesenanstrengung des Theaters Tiefrot, starker Beifall, weiter so.

»Baal« von Bertolt Brecht, R: Christine Sohn & Volker Lippmann, Theater Tiefrot, 13., 14.7., 20.30 Uhr. Tickets: Tel. 31087941.