»Wo ist die Vision?«

Die Vorstellungen von Verwaltung und Politik greifen zu kurz: Die freie Szene hat einen Tanzentwicklungsplan für Köln geschrieben

Geht ein neuer Tanzruck durch Köln? Nachdem das millionenschwere Großprojekt Tanzplan Deutschland an der Stadt vorbeizog und zuletzt das geplante rechtsrheinische Tanzhaus im Nichts versandete, haben die zahl-reichen Choreografen und Tänzer nicht etwa das Weite gesucht, sondern die Initiative ergriffen: mit dem  »Tanzentwicklungsplan.« Er listet auf, was für diese zukunftsträchtige Kunstsparte am Ort benötigt wird. Denn es ist zwar einiges vorhanden, etwa Ausbildungsinstitutionen, Spezialarchiv und potenziell zahlreiches Publikum. Dennoch fehlt es an allen Ecken und Enden, vor allem an geeigneten Bühnen. Für die Meinungsfindung nach dem Tanzhaus-Desaster traf die Szene sich alle zwei Monate, um den Entwicklungsplan auf den Weg zu bringen. So konnten die unterschiedlich gestrickten Persönlichkeiten auf einer sachlichen Ebene einen Konsens finden: »Jeder sagt inzwischen: Wenn für den Tanz etwas vorwärts geht, geht auch für mich etwas vorwärts«, so Achim Conrad vom Movingtheatre.

 

Zuvor hatte das Kulturamt im Austausch mit der Szene das »Tanz-förderkonzept« erstellt. Der Rat verabschiedete es Anfang 2011. Der umfangreiche »Kulturentwicklungsplan für Köln« datiert be-reits von 2009 und forderte eben jenes Tanzförderkonzept sowie das Tanzhaus. »Fürs letztere hat das Kulturamt im Juni 2010 die notwendigen Investitionskos-ten in Höhe von rund vier Millionen Euro dargelegt. Aufgrund der allgemeinen Haushaltskrise wurde im Haushalt 2010/2011 keine neue Maßnahme aufgenommen – auch nicht das Tanzhaus«, resümiert Konrad Schmidt-Werthern, Leiter des Kulturamts den Misserfolg. Trotzdem: »Das Tanzhaus steht drin, und an der Notwendigkeit hat sich auch nichts geändert. Allerdings ist auch die finanzielle Situation keine wesentlich bessere.« Bleibt die Frage, wann die Politik die Situation zu einer »wesentlich besseren« macht. Die Aussichten für ein Tanzhaus in Bälde sind jedenfalls trüb.

 

Das Tanzförderkonzept vom Kulturamt bezieht sich auf das vorhandene Budget und reicht der Szene so nicht. »Wo ist denn die Vision?«, fragt Achim Conrad, der sich mit Klaus Dilger von der neu ansässigen My Lovely White Dog Dancecompany auch um die Redak-tion des Tanzentwicklungsplans gekümmert hat. Zuerst im Netz (tanzkoeln.de) und kürzlich gedruckt in Umlauf gebracht, »basiert er auf dem Förderkonzept und erweitert es«. Hat der Plan denn eine Vision? Man will die Chance nutzen, dass es eben keine städtische Kompanie gibt, und den Tanz in Köln als Ganzes beplanen. Also die städtischen Bühnen mit der freien Szene verlinken. Die Szene stellt sich mindestens ein Spitzenensemble am Ort vor, wie etwa Kidd Pivot Frankfurt RM, die Residenzkompanie am Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main. Zeitgenössisch, repräsentabel, mobil, mit sozialversicherungspflichtigen Anstellungen. Auch kleinere Formationen soll es weiterhin geben; Nachwuchs und regionale und internationale Vernetzung sollen bessere Möglichkeiten bekommen. Dazu natürlich die angemessene Bühne für Tanz oder, heutiger gesagt, die performing arts, sowie Produktionsstrukturen samt Profitraining, Tanzbüro und Marketing. 

 

Verzeihen muss man der Wunsch-liste ihren Businesssprech à la »konkurrenzfähig« und »Syn-ergien«. Sie will es allen irgendwie recht machen, doch bei ihrer Bestandsaufnahme fehlt bis jetzt die Sporthochschule, der diverse Kölner Choreografinnen entstammen. Nach Kunst oder wirklich visionär Verrücktem riecht so ein Papier naturgemäß nicht. Die Millionenstadt Köln muss mit großzügigem Geld Räume und Freiheit schaffen, statt diese kreative Power immerzu klein zu -halten. 

 

Im Moment gibt es nämlich im Haushalt nur insgesamt 285.000 Euro für die freie Tanzszene, davon 230.000 Euro zur Um-setzung des Tanzförderkonzep-tes, genauer: für ein- und drei-jährige Projektförderung sowie dreijährige Konzeptionsförderung. Die Dreijahres-zusagen werden dann viel von dem Geld binden. Überhaupt: Die Summe ist viel zu gering. »Das ist richtig«, sagt Konrad Schmidt-Wer-thern vom Kulturamt, »auch wenn man anerkennen muss, dass für 2010 noch einmal 30.000 Euro mehr bewilligt wurden.« Für die Ideen des Tanzentwicklungsplans, zu dem die Stadt bei Redaktionsschluss noch keine Stellung bezogen hatte, bleibt da trotzdem kaum etwas. Deshalb müssen die Tanzleute jetzt überall Dampf machen.

 

Neu ist nun auch gemäß Förderkonzept, dass ein vierköpfiger Fachbeirat über jene Fördersummen votiert, was in der Kölner Theaterszene längst üblich ist. Seine Voten legt er dem Rat zur Entscheidung vor. Zwei Mitglie-der konnte die Szene benennen. Da kam es erst zu einer aus dem Ruder gelaufenen E-Mail-Abstimmung, dann zur Briefwahl derer, die in den vergangenen zwei Jahren einen Projektförder-antrag gestellt haben, schließlich zur Stichwahl. Sie sind es nun: Peter Schmehl, der früher bei der Kunststiftung NRW mit Gießkannenförderung fast jeden beglückte, und Thomas Thorausch, der im Deutschen Tanzarchiv Köln arbeitet. Die Stadt beruft Rita Kramp, Mitarbeiterin der SK-Stiftung Kultur; und der Kulturdezernent ist stimmberechtigt, kann sich aber vertreten lassen. Dass Schmehl, Kramp und die Tanzreferentin der Stadt, Gisela Deckart, die mögliche Vertreterin des Dezernenten, auch in anderen Fördergelderjurys sitzen, ist nicht ideal. Aber auch nicht das wirkliche Problem. Es ist das Geld: Aus besser muss wesentlich besser werden.