»Im Kino muss man existenzielle Geschichten erzählen«

Ein kleiner, großer Film über das Sterben: Andreas Dresen über Halt auf freier Strecke und die falsche Angst vor dem Tod

StadtRevue: »Halt auf freier Strecke« erzählt realitätsnah vom Sterben eines 40-jährigen Familienvaters an einem Gehirntumor. Ist der Film aus der eigenen Auseinandersetzung mit dem Verlust eines geliebten Menschen entstanden?

 

Andreas Dresen: Letztes Jahr war ein schweres Jahr. Ich habe das, was im Film erzählt wird, nicht erlebt, aber der Grundton war bei mir da. Eine Beziehung ist in die Brüche gegangen, was mich sehr viel Kraft gekostet hat. In meinem Freundeskreis sind Bezie­hungen kaputtgegangen, Freunde sind gestorben und Eltern von Freunden. Nun macht man allein deswegen noch keinen Film. Ich habe irgendwann mit Cooky Zie­sche gesprochen, mit der ich das Projekt entwickelt habe. Ihr Vater war gestorben. Wir kamen auf die Frage, ob eigentlich schon mal im Kino gezeigt wurde, was Sterben wirklich im Alltag heißt, oder ob das Thema nicht häufig nur für andere Dinge benutzt wird.

 

Was heißt »für andere Dinge«?

 

Das Sterben wird meist für eine zweite dramaturgische Ebene ins­trumentalisiert. Jemand bekommt die Diagnose Krebs gestellt, und dann will er oder sie noch mal eine Reise ans Meer machen oder sich noch mal verlieben. Da gibt es tausend Beispiele.

 

Das Sterben sollte also in »Halt auf freier Strecke« nicht lediglich eine an­dere Handlung in Bewegung setzen, sondern direkt thematisiert werden?

 

Genau. Dafür gibt es relativ wenig Beispiele in der Kinogeschichte. Das war für uns bei der Recherche überraschend. Wie eine Familie versucht, mit so einem Schicksalsschlag würdevoll umzugehen, die­­se Geschichte gab es nicht. Wir fanden es lohnend, das in Angriff zu nehmen. Weil Kino ein Ort ist, an dem man solche existenziellen Geschichten erzählen muss.

 

Hatten Sie selber Angst vor diesem Projekt?

 

Ich habe eigentlich recht mutig an­gefangen, doch dann verließ mich die Courage immer mehr. Die Recherchen waren schon extrem belastend. Man muss sich ja durch­lässig machen für die Krankengeschichten, die man zu hören bekommt. Das hat mich sehr lange und nachhaltig beschäftigt. Es ging so weit, dass wir letzten Sommer überlegt haben, das Projekt abzubrechen. Ich habe auf jeden Fall noch nie bei einem Film so viel über mich selbst gelernt. Irgendwie bin ich erwachsen geworden.

 

Was kann der Film beim Zuschauer bewirken?

 

Ich denke, was wir erfahren haben, passiert in gewisser Weise auch im Kinosaal. Wenn man die Geschichte an sich ran lässt, kann man etwas über sich lernen und Ängste verlieren. Einer der Ärzte, bei dem wir recherchiert haben, hat gesagt: Das Sterben kann manchmal schwer und schrecklich sein, der Tod ist es nicht. So blöd das klingt: In meinem Freundeskreis haben fast alle gesagt, die Ähnliches miterlebt haben, das ist ein friedlicher, ein sehr befreien­der Moment. So wollten wir das auch zeigen.

 

Direkt am Anfang des Films teilt der Arzt die Diagnose mit. Die Szene ist ungefähr acht Minuten lang und wirkt außergewöhnlich realitätsnah. Wie ist sie entstanden?

 

Ehrlich gesagt, wollte ich sie gar nicht drehen. Es gibt ein paar Szenen, bei denen ich dachte, dazu fällt mir gar nichts ein, weil sie in jedem Sterbefilm vorkommen. Der Arzt klippt irgendein Röntgenbild an die Wand und sagt: So sieht es aus mit Ihnen. Diese Szene aber einfach wegzulassen, fand ich auch doof. Dann haben wir glücklicherweise Dr. Träger gefun­den, das ist der Chef-Neurochirurg in einer Klinik in Potsdam. Er hat mich zutiefst beeindruckt. Er führt solche Gespräche zwei bis drei Mal die Woche in diesem Büro an diesem Schreibtisch, den man im Film sieht. Er macht das klug und sachlich und trotzdem mit sehr viel Empathie, das finde ich ganz groß.

 

Wie lief dann der Dreh?

 

Ich habe ihn am Tag vor dem Dreh kennengelernt und ihn gefragt, wie die Patienten gewöhnlich auf die Nachricht reagieren. Er sagte: In diesem Raum gibt es wenig Emotionen. Sie werden es nicht glauben. Die meisten Leute sind sehr still, paralysiert und ich gebe ihnen Raum zu Fragen. Die Schauspieler haben Dr. Träger vorher nicht ken­nen gelernt. Er hat sie in sein Büro geholt und dann ging es los. Ich habe Milan Peschel und Steffi Kühnert nur genau diesen einen Satz gesagt: In diesem Raum finden nicht viele Emotionen statt. Sie sollten sich nicht genö­tigt fühlen, da unglaubliche Dinge zu spielen.

 

Und dann klingelt mitten in der ­Szene das Telefon von Dr. Träger. War das so geplant?

 

Nein, er hatte vorher gesagt, dass er immer ans Telefon gehen muss. Es kann ja ein Notfall sein. Er war im Dienst. Ich wollte natürlich nicht, dass irgendetwas passiert, nur weil wir drehen. Und dann klingelt es ausgerechnet im hei­kels­ten Moment der Szene. Aber das ist die Realität. Die Krankenhäuser können sich keine Ärzte leisten, die den ganzen Tag dafür da sind, Patientengespräche zu füh­ren. Die müssen eben auch noch vieles andere machen. Die Überforderung ist allgegenwärtig. Deswegen fand ich das auch so toll. Das war der dritte Take. Ich wuss­te, ich komme in dem Film über diese Einstellung schwer noch mal drüber.

 

Der Film hat auch humorvolle Momente. Wie findet man die richtige Balance?

 

Es ist ein schmaler Grat, aber natürlich gibt es auch in solch schwierigen Situationen Momen­te, in denen gelacht wird. Die Betroffenen entwickeln oft eine besondere Art von schwarzem Humor. Auch in unserer Geschichte soll gelacht werden, das hat ja etwas Befreiendes. Wir zeigen auch nicht alle Schrecken dieser Krankheit. Wir wollen ehrlich sein, aber nicht voyeuristisch. An bestimm­ten Stellen müssen wir aber die Härten des Vorgangs zeigen.