Im Auge des Alligators

3D-Doku: Werner Herzog geht in Die Höhle der vergessenen Träume

Als einige Forscher 1994 die durch einen Felssturz Jahrtau­sendelang verschlossene Chauvet-Höhle im französischen Département Ardèche entdeckten, war dies eine archäologische Sensation. Im Inneren fanden sich Malereien, die bedeutend älter und besser erhalten waren als alle bisherigen Steinzeitfunde. Um das kostbare Erbe zu bewahren, blieb der Zugang auf wenige Forscher beschränkt, und erst im Frühjahr 2010 durfte ein Filmteam in die Höhle. Dieses Privileg wurde Werner Herzog gewährt.

 

Obwohl er nun wirklich kein geborener Naturkundler ist, geht in Sachen Naturfilm schon seit Jahren kein Weg mehr an ihm vorbei. Für die meisten Cinephilen ist er der große Auteur der Gattung, ein unverwechselbarer Charakter, wie vor ihm nur der Meeresforscher Jacques Cousteau. Mittlerweile strahlt dieses Renommee offenbar auch in die Forschergemeinde aus, vielleicht, weil sie sich von Herzog, dem raunenden Exzentriker, zum ers­ten Mal verstanden fühlt. In seinem Höhlenfilm interessiert er sich jedenfalls ebenso sehr für die Entdecker und ihre Schrullen wie für die Entdeckung selbst.

 

Nicht, dass es Herzog an Begeisterung für die Steinzeitfunde mangeln würde. In seinem Kommentar nähert er sich ihnen so ehrfürchtig wie ein Kind, und immer wieder tasten die Kameras liebevoll die teilweise verblüffend modern wirkenden Malereien ab. Und doch ist die wissenschaftlich genaue Chronik nicht Herzogs Element. So richtig blüht er erst auf, wenn er zu seinem Lieblingsthema, dem Selbstzerstörungstrieb des Menschen, abschweift oder ihm ein Forscher anvertraut, dass er in seinem früheren Berufsleben Zirkusartist war. Ein anderer Regisseur hätte die Koryphäe, die sich in einem spinnerten Selbst­versuch als Mammutjäger blamiert, wohl milde seufzend aus dem Film geworfen. Herzog dagegen liebt die verkopften Sonder­linge. Sie sind neben den Höhlenmalern die Helden seines Films.

 

»Die Höhle der vergessenen Träume« ist ein typischer Herzog – aber beileibe nicht sein bester. Im Finale blickt er einem Albinoalligator ins Auge und fragt sich, was der wohl sehen wird, wenn ihn der Klimawandel demnächst aus seinem atomkraftbeheizten Terrarium in die Chauvet-Höhle spült. Hier grenzt der Film schon an Selbstparodie – oder macht sich Herzog über seine Bewunderer lustig? Letzteres wäre das Zeichen wahrer Meisterschaft.

 

Die Höhle der vergessenen Träume (Cave of Forgotten Dreams) USA/F/D/CAN 2010, R: Werner Herzog, 90 Min. Start: 3.11.