Erdmöbel

»Wir haben den Größenwahn nie verloren«

Erdmöbel gehören zu den eigenwilligsten Kölner Popbands. 13 Jahre nach ihrem Umzug nach Köln veröffentlicht die 1995 in Münster gegründete Band eine »Retrospektive« und geht auf Tour. Im Interview mit Oliver Minck sprechen Sänger und Gitarrist Markus Berges, Bassist und Produzent Eki Maas und Keyboarder Wolfgang Proppe über Kleinkriminelle am Eigelstein, zusammengewürfelte Architektur und die saublöde Situation wegen Blumfeld.

StadtRevue: Ihr kommt aus Müns­ter, lebt aber seit 1998 in Köln?...

 

Wolfgang Proppe: Das Schöne in Köln ist, dass man vom ersten Tag an sagen kann: Ich bin Kölner, und keiner guckt schief.

Ich hatte eben noch eine halbe Stunde Zeit und habe am Eigelstein Kaffee getrunken. Neben mir saß eine Gruppe alter Männer, die prägnante Outfis tragen: Der eine einen Trenchcoat, der andere war im Rennradler-Dress. Die sprachen ein so originales Kölsch, wie man es sonst gar nicht mehr hört. Da dachte ich, dass ich offenbar doch kein Kölner bin, obwohl ich hier schon lange lebe.

 

Proppe: Solche Kölner werden wir auch nie sein, die sind stadtbekannt.

 

Eki Maas: Wir behaupten, dass das die alten Kleinkriminellen vom Eigelstein aus den 60er Jahren sind, als das hier noch das Chicago vom Rhein war. Ihre Frauen sitzen auch immer an einem anderen Tisch zusammen, das erkennt man am Hund, der abwechselnd von Herrchen zu Frauchen wandert.

 

»Hassliebe ist ein Zeichen dafür, dass man beheimatet ist«

 

Ist eure Verbundenheit zu Köln uneingeschränkt?

 

Maas: Die ideale Stadt gibt es nicht. Auch in Berlin würde man gewisse Dinge furchtbar finden. Ein paar Sachen in Köln finde ich aber sehr schrecklich. Wie hier Politik gemacht wird. Es ist ausgeschlossen, dass man in dieser Stadt auf eine Gruppe von Menschen trifft, die feiert, weil die Politik etwas Schönes ermöglicht hat. Da geht es nur um den Wirtschaftsstandort. Das fällt hier besonders auf, weil sich niemand dafür schämt.

 

Markus Berges: Aber das ist ja auch ein Zeichen, dass man zur Stadt gehört. Als ich hier neu war, fühlte ich mich getragen von dem Gefühl, endlich in einer großen Stadt zu sein. Das habe ich jetzt nicht mehr, aber ich ärgere mich oft. Diese Hassliebe ist ein Zeichen dafür, dass man beheimatet ist.

 

Maas: Ein einschneidendes Datum war der Einsturz des Stadtarchivs. Es war eben typisch, dass das hier passiert ist, wo so vieles gegen die Kultur gerichtet ist.

 

»Ich finde an Köln auch das Oberflächliche toll«

Warum seid ihr dann noch hier und nicht etwa nach Berlin gezogen?

 

Berges: Mir gefällt das Kleinteilige, die zusammengewürfelte Architektur, die aufgetürmte Geschichte, die so sichtbar ist.

 

Maas: Ich finde auch das Oberflächliche toll. Die Leute beschweren sich oft darüber, dass hier jeder gleich mit jedem redet, aber wenn man sein Freund werden will, geht das nicht mehr. Ich will ja gar nicht mit jedem Freund sein, ich will nur mit ihm reden. Auch gut: Die anderen Eltern in der Kita meiner Tochter finden es nicht komisch, dass ich Musiker bin. Das ist nicht selbstverständlich.

 

Aber ist man hier als Kulturschaffender nicht eine Randfigur? Anders als in Berlin oder Hamburg, wo sich das Alternative auch im Mainstream etabliert hat?

 

Berges: In jeder Stadt ab einer gewissen Größenordnung gibt es eine Kultur der Randfiguren. Die Frage ist ja auch, wo man hinwill.

 

Maas: Richtig dazugehören möchte ich ja gar nicht. Ich möchte nur nicht dauern angeranzt werden, von wegen: Kannst du in deinem Alter nicht mal was Vernünftiges machen?

 

Proppe: In Köln lebt es sich ganz gut als Randfigur. In Berlin kommt uns zum Beispielspiel einiges an Wertschätzung entgegen, weil wir gerade nicht aus Berlin sind, sondern aus Köln.

 

»Das Westfälische habe ich immer als lähmend empfunden«

 

Ein Klischee aus eurer alten Heimat habt ihr euch aber bewahrt. Den Westfalen wird nachgesagt, sie seien sehr stur. Kann es sein, dass ihr die sturste Band Deutschlands seid?

 

Maas: Stur würde bedeuten, dass wir die Zähne nicht auseinanderkriegen und uns nicht auf andere zubewegen. So sind wir nicht. Wir sind stur in dem Sinne, dass wir immer das weitergemacht haben, was wir meinen, es zu können. Bei uns ist einiges sehr gut gelaufen. Zum Beispiel haben wir uns vertragen. Zudem hatten wir von vornherein Produktionsmittel, wir waren finanziell nicht abhängig, mussten nicht in teure Studios gehen.

 

Berges: Ich erinnere mich, wie ich in diversen künstlerischen Krisen durch Kalk gelaufen bin und einsehen musste: Davon werde ich nie leben können. Dennoch habe ich den Größenwahn, den ich brauchte, nie verloren. Selbst wenn es ganz schwer war, habe ich im Grunde immer geglaubt, großartig zu sein. Das Besondere ist, dass wir diesen Größenwahn auch als Band gemeinsam aufrecht erhalten haben. Das Westfälische habe ich hingegen immer als lähmend empfunden, den provinziellen Geist: dass man seinen Nachbarn nicht gut finden kann, weil der künstlerisch ja gar nichts auf der Pfanne haben kann.

 

»Wir hätten mit unserem ersten Album zwei Jahre früher dran sein müssen«

 

Mir ging es auch eher um das Prinzip, einmal mit etwas anzufangen und das dann immer weiter zu machen, unabhängig von der öffentlichen Wahrnehmung. Für den Hamburger-Schule-Hype seid ihr 1995 zu spät dran gewesen und in Köln zudem eher abseits des Zeitgeistes. Dennoch habt ihr die Sache durchgezogen und seid nun an einem Punkt, wo ihr ganz für euch steht und man keine Vergleiche mehr bemühen muss. Gab es bei der Bandgründung eine klare musikalische Vision?

 

Berges: Ich hatte gerade mein Studium beendet und eine ganz neue Band zusammen. Das war für mich von Anfang an eine Lebensperspektive. Ich wollte beruflich nichts anderes machen. Es war schwierig für mich, mit den Erfolgen der Hamburger Bands umzugehen. Ich hatte selbst schon zwei, drei Jahre lang an deutschsprachigen Songs gearbeitet, war aber nicht so schnell. Plötzlich kamen die Platten von Blumfeld und Tocotronic raus. Ich erinnere mich, wie schockiert ich von den frühen Blumfeld-Alben war. Es war einerseits weit entfernt von dem, was mir vorschwebte, andererseits aber auch nicht. Und vor allem: Es war ganz neu. Das war eine saublöde Situation. Die Leute kamen uns immer mit Hamburger Schule, was irgendwie verständlich war – dennoch fühlten wir uns nicht verstanden, weil das Eigene so wenig gesehen wurde. Wir hätten mit unserem ersten Album einfach zwei Jahre früher dran sein müssen.

 

Proppe: Wir haben nie auf eine Chance gewartet, weitermachen zu dürfen – wir haben es einfach gemacht. Meistens war es so, dass wir die Platten schon fertig hatten und dann erst ein Label gesucht haben. Wir haben ja wahnsinnig oft die Plattenfirma gewechselt.

 

»Wir haben uns immer geärgert, wenn wir als Nischenmusik wahrgenommen wurden«

 

Könnt ihr euch erklären, warum es gerade mit dem letzten Album »Krokus« noch zu solch einem späten Popularitätsschub gekommen ist?

 

Maas: Ich habe das Gefühl, dass die Leute nicht mehr so engstirnig sind und viel mehr Sachen möglich geworden sind. Die Radiostationen bekommen plötzlich nicht mehr einen Schreck, wenn sie unsere Songs hören.

 

Berges: Ich hatte das Gefühl, dass wir mit dem Album noch einmal besonders zu uns selbst gefunden haben. Gerade beim Durchhören der älteren Songs für das »Retrospektive«-Album habe ich mir gedacht: Wir haben da jetzt keine Erdmöbel-Revolution angezettelt.

 

Maas: Die Texte sind abstrakter und schwieriger als zuvor, die Musik ist polyphon, eigentlich müssten die Leute uns noch viel schräger finden als zuvor. Aber sie entwickeln sich weiter und sind froh, wenn sie nicht immer dasselbe hören. Das wurde in den vergangenen zwanzig Jahren weit getrieben: Die Musik ist genormt und die Musikindustrie steht wie ein Fels immer an derselben Stelle.

 

Berges: Wir haben uns immer geärgert, wenn wir als Nischenmusik wahrgenommen wurden. Insofern ist es schön zu erleben, dass unser Publikum jetzt breiter wird und nicht mehr so jugendkulturell geprägt ist.

 

Tonträger: Die aktuellen Alben »Krokus« und »Retrospektive« sind bei Edel erschienen.