Im Herzen Jerusalems

Am 7. Juni fand in Jerusalem die erste schwul-lesbische Pride-Parade statt.

Organisiert wurde sie von den Initiatoren des Jerusalem Open House (JOH) – einem Zentrum für Schwule, Lesben und Transgender mitten im Zentrum der Stadt – in dem sich sowohl Israelis als auch Palästinenser treffen. Nicole Benteler sprach mit dem Geschäftsführer

Hagai El-Ad über Hoffnungen und Alltag in einer Stadt, in der Gewalt und Krieg allgegenwärtig sind.

Stadtrevue: Während der israelisch-palästinensische Konflikt zu eskalieren droht, steht das Jerusalem Open House (JOH) für ein einzigartiges Projekt im Nahen Osten, eine Begegnungsstätte für Homosexuelle, seien es Israelis oder Palästinenser. Was ist die Idee, die hinter dem JOH steht und inwiefern wird eure Arbeit im Jerusalemer Büro vom Krieg vor eurer Haustür beeinflusst?
Hagai El-Ad: In einer Stadt wie Jerusalem, in der der Alltag zunehmend von Gewalt, Hass und Isolation geprägt ist, kommunizieren wir im JOH ganz sicher eine einzigartige Botschaft. Unsere Forderung nach einem Lebensraum, in der das Zusammenleben aller Menschen wieder möglich ist, erfüllt mich als Schwulen mit Stolz. In gewisser Weise haben wir keine Wahl, der Ruf nach Toleranz liegt ja schon in der Natur unserer Lebensumstände, ihn auszudrücken ist ein Grundbedürfnis. Wir kommen schließlich aus allen Teilen Jerusalems, von Nord bis Süd, Ost bis West, orthodox und arabisch. Damit wir zusammenfinden, müssen wir diese äußeren Grenzen überwinden. Das ist etwas, was man hier normalerweise nicht tut, jeder bleibt ängstlich auf seiner Seite, Isolation ist an der Tagesordnung. Das wollen wir ändern.
Wie sieht eure Arbeit im JOH konkret aus, welche Aktivitäten bietet ihr an?
Unser Büro ist direkt im Zentrum von Jerusalem, vor unserem Fenster in der dritten Etage weht die Regenbogen-Flagge – wir sind unübersehbar. Das ist ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit: Jeder kann jederzeit bei uns vorbeischauen, im Internet surfen, unsere Bücherei nutzen, sich für Aktivitäten einschreiben. Es kommt sehr oft vor, dass jemand zögernd die Tür öffnet und sich dann an unseren Mitarbeiter am Empfang wendet. Manchmal ist es das erste Mal im Leben dieses Menschen, dass er oder sie ganz bewusst mit anderen Homosexuellen über die eigenen Anliegen spricht. Darüber hinaus ist unsere Programmarbeit sehr wichtig. Dabei wenden wir uns an die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen zum Beispiel an Teenager und junge Erwachsene, von denen viele Soldaten sind. Dann gibt es eine palästinensische und eine Transgender-Gruppe. Außerdem koordinieren wir Aktivitäten mit Anhängern der progressiven Strömungen der jüdischen Religion sowie mit gemeinnützigen Organisationen. Das JOH versteht sich auch als sozialer Dienstleister, wir bieten professionelle Beratung und Lebenshilfe. Möglich machen das Dutzende von ehrenamtlichen Helfern und ein festes Team von fünf Angestellten, die jeweils die Bereiche Aktivitäten, Büro-Management, PR und die Anlaufstelle für Palästinenser betreuen.
Ihr habt euch mit dem JOH direkt auf der »Ben Jehuda« niedergelassen, einem sehr belebten Einkaufsviertel Jerusalems, das in letzter Zeit immer wieder durch Selbstmordanschläge erschüttert wurde. Wie geht ihr mit dieser Bedrohung um?
Das ist ja die Ironie bei der ganzen Sache. Wir haben diesen Ort mitten in der Stadt bewusst gewählt, wir wollten uns mit unserem Anliegen nicht verstecken. Andererseits erleichtert die Anonymität der Menschenmassen da draußen so manchem potentiellen Besucher den ersten Schritt ins JOH. Hier ist das Herz Jerusalems, der Platz, wo die Stadt am verletzlichsten ist. Aus diesem Grund schlagen hier auch immer wieder die Selbstmordattentäter zu. Für uns im JOH ist das natürlich eine beklemmende und schreckliche Situation. Aber wir haben uns für die Flucht nach vorne entschieden, unsere Aktivitäten finden statt, unabhängig davon, was draußen passiert. Natürlich kommen in den Tagen nach einem Anschlag viel weniger Leute. Manchmal ist das Einkaufszentrum dann sogar am Nachmittag wie ausgestorben, das Stadtzentrum völlig verlassen. Trotzdem schaffen wir es hier irgendwie, unsere Arbeit so gut wie möglich zu machen. Und der Erfolg gibt uns Recht: Die Leute kommen zu uns.
Mehr als 90 Prozent eurer Mitglieder sind jüdische Israelis, aber ihr bemüht euch neuerdings intensiv um den Kontakt zu homosexuellen Palästinensern. Als erste schwul-lesbische Organisation im Nahen Osten habt ihr eine Mitarbeiterin, die sich ausschließlich um palästinensische Belange kümmert, Haneen Maikey. Welche Schwierigkeiten muss sie dabei überwinden ?
Das ist wahrscheinlich eines unserer wichtigsten JOH-Projekte. Schließlich gibt es in Jerusalem kaum noch Orte, an denen sich Palästinenser und Israelis friedlich begegnen können. Wir haben mit Haneen Maikey dieses Programmangebot für Palästinenser entwickelt, etwas, das völlig neu für alle im JOH war. Die dramatische Verschlechterung der politischen Situation hier in den letzten Monaten hat uns zum Umdenken gezwungen. Wenn Palästinenser nicht mehr zu uns ins Stadtzentrum kommen können, müssen wir eben andere Türen für sie öffnen – mit Hilfe des Internet, der Printmedien und des Telefons. Wir arbeiten jetzt verstärkt an unserer Website in Arabisch, außerdem veröffentlichen wir in unserem monatlich erscheinenden Magazin und in anderen israelischen Zeitungen für Schwule und Lesben Artikel in arabischer Sprache. Dank Haneen Maikeys Arbeit bei uns ist es jetzt auch zum ersten Mal möglich, einfach den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und mit jemandem auf Arabisch über seine Erfahrungen zu sprechen.
Euer Leben ist geprägt von Konflikten und Grenzen – kommt es da nicht unweigerlich zu Reibereien und Differenzen, wenn sich die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen im JOH begegnen ?
Spontan würde ich sagen: Nein. Allerdings mussten wir uns in der Vergangenheit Kritik aus den eigenen Reihen gefallen lassen, bezüglich unserer toleranten Haltung gegenüber religiösen Schwulen und Lesben. Dass wir uns Toleranz auf die Fahnen geschrieben haben, werten viele – vor allem im Hinblick auf unsere Veröffentlichungen in Hebräisch und Arabisch – als politische Stellungnahme. Aber wir sehen uns nicht als politische Organisation.
Das JOH organisiert Jerusalems erste Gay Pride Parade am 7.Juni und folgt damit dem Beispiel von Tel Aviv. Was bedeutet dieses Ereignis für dich als schwuler Israeli und welche Erwartungen setzt du in diesen Marsch durch die Straßen Jerusalems?
Diese Parade soll vor allem ein Zeichen setzen. Sie soll diejenigen ansprechen, die gewissermaßen ein Schattendasein führen. Schwulsein ist in unserer Gesellschaft immer noch ein sehr großes soziales Tabu. Das zwingt die meisten Homosexuellen in Jerusalem in ein Leben im Verborgenen. Für sie gehen wir auf die Straße, ihnen wollen wir zeigen, dass wir für sie da sind und keine Angst haben. Wahrscheinlich werden sie in diesem Jahr noch nicht mitmarschieren. Aber sie werden uns im Fernsehen sehen, werden in der Zeitung darüber lesen. Wer weiß, vielleicht gehören sie schon in ein paar Jahren zum festen Kern im JOH.
Das bevorstehende Ereignis hat auch die Gegner der JOH-Idee auf den Plan gerufen. Der stellvertretende Bürgermeister Shmuel Shkedi sprach sogar von einer »widerlichen Zurschaustellung von Krankhaftem und Abartigem«, die er auf jeden Fall verhindern wolle. Macht dir diese Art von verbaler Gewalt und Intoleranz Angst?
Das ist genau die Art von Druck, die man bereits seit der Eröffnung des JOH vor drei Jahren auf uns ausübt. Es hieß schon im Vorfeld: Die Leute haben viel zu viel Angst, zu euch zu kommen, dafür werden wir sorgen, dann könnt ihr den Laden zumachen. Und falls ihr doch etwas zu tun habt, werden euch die Orthodoxen innerhalb einer Woche ausräuchern. So schlimm war es dann doch nicht, es gab den einen oder anderen Fall von Vandalismus, sicher. Aber wir haben keine Angst vor denen, normalerweise bleibt es bei verbalen Einschüchterungsversuchen. Falls es am 7. Juni Gegendemonstrationen gibt, müssen wir das wohl akzeptieren. Trotzdem laufen die Vorbereitungen, manches geht – im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und der Polizei – langsamer als uns lieb ist. Aber schließlich wird das für alle Beteiligten in Jerusalem eine völlig neue Erfahrung.
Die Parade ist der Höhepunkt einer Woche, in der ihr neben vielen anderen Aktivitäten auch eine Konferenz geplant habt.
Es ist die weltweit erste Konferenz zum Thema Homosexualität ausschließlich in arabischer Sprache. Auch der Veranstaltungsort ist außergewöhnlich und geschichtsträchtig: ein Museum, das direkt auf der alten Grenze zwischen Ost- und West-Jerusalem liegt. Die Konferenz richtet sich vor allem an Fachleute wie Lehrer, Sozialarbeiter und Psychologen, im Vordergrund stehen Themen wie sexuelle Orientierung junger Menschen und das Vermitteln von Toleranz an israelischen Schulen und Unis. Schließlich sind 18 Prozent der Schüler und Studenten in Israel Araber – unsere Konferenz soll Lehrern neue Sichtweisen aufzeigen und die Möglichkeit zum Dialog mit schwulen und lesbischen Arabern geben
Das Motto der 1. Jerusalemer Gay Pride Parade ist sehr plakaktiv: »Love without borders«. Das ist doch purer Optimismus.
Vielleicht scheint eine solche Formulierung angesichts der Realität in meinem Land furchtbar naiv. Aber vielleicht ist diese Art von Ehrlichkeit und Naivität die einzige Möglichkeit, den Teufelskreis aus Frust und Pessimismus zu durchbrechen.
Drei Jahre lang hast du zur Vorbereitung deiner Doktorarbeit in Astrophysik in den USA gelebt, du bist an dem Tag nach Israel zurückgekehrt, als die Intifada wieder aufgeflammt ist. Seitdem ist der Krieg ein Teil deiner Realität geworden, gerade bist du von einer Reserve-Übung zurückgekommen. Wie hat dich dieses Leben im Ausnahmezustand verändert ?
Es ist ein unglaublicher Druck, der da auf einem lastet, diese Anspannung kannst du nie loswerden, sie ist immer irgendwie da, begleitet dich, lähmt dich. Aber es gibt auch den unbändigen Wunsch, diese Realität zu verändern. Ich versuche mich immer wieder selbst davon zu überzeugen, dass das möglich ist. Das ist alles, was wir tun können: uns den Tatsachen zu stellen und selbst aktiv zu werden.


Namen von der Redaktion geändert