Satt sehen

Mit »Objects. Food. Rooms.« im Bonner Kunstmuseum zeigt

Thomas Rentmeister, was die zeitgenössische Plastik kann

Und es gibt sie doch. In einem Seitenraum stehen zwei dieser glänzenden, glatten, dieser verführerisch gerundeten Dinger aus poliertem Polyester. Mit vergleichbaren Arbeiten etablierte sich der 1964 im westfälischen Renken geborene Thomas Rentmeister in den 90er Jahren, damals noch in Köln ansässig, als einer der interessantesten Plastiker seiner Generation.  Waren es damals amorphe, comicnahe Dingwesen und seltsam vitale Blasen, die ihre wunderbaren Rundungen hinter spiegelnd blanken Oberflächen verbargen, so sind es nun zwei  PKW-Körper, Kombi und Limousine, deren belebt-bewegte Formen in der großen Einzelausstellung des Künstlers im Bonner Kunstmuseum zu sehen sind. 

 

Für diese beiden organischen Autoskupturen aus der neusten Produktion kommt der mittlerweile in Berlin lebende Rentmeis-ter nach fast zehnjähriger Unterbrechung auf einen markanten Werktyp zurück, der zum Klischee hätte werden können, wenn er nicht beizeiten weitere, andere Formfindungen, Materialien und Strategien in seine Arbeit integriert hätte. So wenig er auf Kunststoffgebilde festgelegt werden will, so wenig sollen die seit Ende der 90er Jahre  entstandenen Schokocremeinstallationen, Kühlschrankskulpturen oder minimalistischen Papiertaschentuchstapelungen das Bild dominieren. So kommen sie in der aktuellen Schau – wenn überhaupt –  nur sparsam dosiert vor. »Objects. Food. Rooms.« ist die erste institutionelle Präsentation Rentmeisters im Rheinland seit zehn Jahren. Eine Retrospektive ist es nicht, vielmehr eine kluge Kombination früher Arbeiten aus den 80er Jahren, die in der Zeit seines Studiums in Münster und Düsseldorf entstanden, und neuster Stücke aus den letzten Jahren. 

 

Dinge, Speisen, Räume verspricht der Ausstellungstitel. An Platz mangelt es wahrlich nicht, die Räume haben es in sich,  die Aufzählung der Dinge, die dort zu Skulpturen verwandelt wurden, wäre endlos. Allein das Nahrungsangebot ist etwas einseitig – lediglich Nutella gibt es zu sehen und zu atmen, davon aber reichlich. Und so ist ein zunächst seltsam leer erscheinender Saal doch gefüllt: Je nach Aufenthaltsort ist es der schokoladig-fette süße Geruch des Brotaufstrichs oder der diskretere, linde Duft von Penatencreme oder eine schwer fassbare Mischung aus beidem. Als unsichtbare Wolke schwebt diese Mixtur im Raum, körperhaft und nicht zu greifen. Das Olfaktorische als unberechenbare Dimension des Plastischen ist ein frappierender Aspekt der Arbeit Rentmeisters. Zumal wenn es sich um so assoziationsträchtige Gerüche handelt wie die der beiden Kindheitszutaten, die lange schon zu den Werkstoffen des Künstlers gehören. Zu riechen und zu sehen sind sie jeweils in Reinform als bewegt aufgetragene, gespachtelte  Masse zweier monumentaler monochromer Reliefs – oder ist es eher eine Art Malerei, Malereiparodie? –, die sich hell und dunkel an zwei gegenüber liegenden Wänden. 

 

Eine ganz andere Art Reibungswärme entwickelt ein Nachbarsaal. Dort stehen vier identische Objekte aus verchromtem Edelstahlrohr, vier Meter hohe U-förmige Bügel. Zwischen diesen weit auseinander gerückten, hoch aufragenden Designstücken – übergroßen Haltern für Toiletten- oder Küchenpapierrollen – hängen dürftige Girlanden aus Papierresten. Die schicke Lächerlichkeit des raumfüllenden Ensembles präsentiert eine Mischung aus Zuviel und Zuwenig, demonstriert die Kluft zwischen Anspruch und Realität, Kühle und Kläglichkeit. Neben dieser verschwenderisch ausgedehnten Leere ist eine dreist-rührend um Aufmerksamkeit heischende Szene platziert. Man blickt herab auf ein blond gelocktes kleines Mädchen, das, zwei Hockern zugewandt, ihr von einer Mütze  abgeschirmtes, unsichtbares Gesicht in den Armen verbirgt. Was das einzige menschliche (Puppern)Wesen inmitten all der Kunstsachen bewegt, bleibt offen – und hat doch, irgendwie, natürlich mit den Dingen in ihrem Rücken zu tun.

 

Ob »Muda« sie erfreuen und trösten oder noch weiter ängstigen würde, wird nicht zu erfahren sein. Mit dieser monumentalen Arbeit im größten Raum der Ausstellung hat Rentmeister seine bislang wohl aufwändigste Installation errichtet. Aus fast allem, was weiß ist, besteht dieses erheiternde und zugleich verstörende Gebilde. Ohne Zahl ist die Menge der alltäglichen Gegenstände und Materialien, die hier – umweht von Waschpulver- und Penatencremeduft – gestapelt, gelehnt, gekantet, gestreut, gestützt, geschoben, gehoben, gepresst, gemischt sind.

 

Diese anschauliche Enzyklopädie plastischer Möglichkeiten ist kein wahlloses Wirrwarr. Schon mit geringem Aufmerksamkeitsaufwand wird die Sorgfalt des Arrangements ersichtlich. Muda, ein Begriff des Leanmanagement, bezeichnet nach Wallace J. Hopp »jede menschliche Aktivität, die Ressourcen verbraucht, aber keinen Wert erzeugt.« Hier aber ist ein unüberschaubares Ganzes aus zahllosen Einzelheiten zu bestaunen, eine verblüffende, befremdliche, verschwenderisch-großzügige Raumkunstlandschaft, an der man sich kaum wird satt sehen können.