Auf gepackten Kisten: Gerhard Klas, Birgit Morgenrath, Karl Rössel und Albrecht Kieser (v.l.n.r.), Foto: Manfred Wegener

Kollektiver Feierabend

Nach fast dreißig Jahren schließt das Rheinische JournalistInnen Büro

»Medien reflektieren die Gesellschaft. Wir wurden gegründet, als man Gegenöffentlichkeit groß geschrieben hat. Das ist heute nicht mehr so«, sagt Birgit Morgenrath. Die 57-Jährige steht zwischen Umzugskisten in einem hellen Büroraum in der Südstadt. Es sind die letzten Tage einer Institution in der Kölner Medienlandschaft. Nach fast dreißig Jahren schließt das Rheinische JournalistInnen Büro (RJB) zum Jahresende für immer die Türen. »Wir haben keine Nachfolger gefunden«, sagt Albrecht Kieser. »Ehe jetzt einer nach dem anderen abkleckert und der letzte das Licht ausmacht, machen wir das lieber zusammen,« sagt der 62-Jährige.

 

Alles beginnt im Jahr 1982, als vier Absolventen der »Kölner Schule – Institut für Publizistik« die Gründung eines Journalistenbüros beschließen. »Rheinisch« im Namen bezieht sich auf die von Karl Marx herausgegebene »Rheinische Zeitung« und deutet auf die Ausrichtung hin: streng antikapitalistisch, systemkritisch, kollektivistisch. Alle Einnahmen fließen auf ein gemeinsames Konto, am Monatsende werden Einheitslöhne ausgezahlt. Von den Gründern ist heute nur noch Karl Rössel dabei – gemeinsam gewirtschaftet wird bis zuletzt. »Das ist wie eine Mini-Sozialversicherung, auch wenn man verreist, recherchiert, einen Hänger hat oder bei längerer Krankheit. Als Freelancer hängst du da ja sofort auf Hartz IV«, sagt Kieser.

 

Die Themen des RJB sind von Beginn an nicht bunt oder menschelnd, der Fokus liegt auf Sozialpolitik und Internationalismus. Die Mitglieder recherchieren zu Tricks von Unternehmern, die die Gründung von Betriebsräten verhindern wollen, verfassen Mitte der 80er Jahre eine breit rezipierte Studie zur »Neuen Armut« oder berichten über das Schicksal jüdischer Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland in Australien. Das RJB arbeitet dabei nicht für kleine linke Postillen, sondern vor allem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aus ökonomischen Gründen und um mehr Menschen zu erreichen.

 

Die Textarbeiter verstehen sich nicht als objektive Beobachter, sondern als Mitkämpfer. »Uns war immer wichtig, dass wir uns durch Mitarbeit in politischen Initiativen erden. Eine Gleichzeitigkeit von Aktivismus und journalistischer Arbeit«, erzählt Kieser. Nach dem Motto »Das Mikro denen, die sonst nicht zu Wort kommen« arbeitet man eng zusammen mit »Kein Mensch ist illegal« oder dem Kölner Arbeitslosenzentrum (KALZ). Durch die Kollektivstruktur können sich die Journalisten nicht nur aufwändige Recherchen leisten, sondern auch Mitglieder freistellen, um Veranstaltungen zu organisieren oder an Demos teilzunehmen. So machen die RJBler 2007 einen »Betriebsausflug« zum G8-Gipfel nach Heiligendamm. Auch auf lokaler Ebene sind sie aktiv, zuletzt bei der Solidaritätskampagne für den in der Türkei inhaftierten Schriftsteller Dogan Akhanli.

 

Dreißig Jahre Rheinisches JournalistInnen Büro, das heißt auch dreißig Jahre Konfrontation. Mal gibt es Ärger mit dem Auswärtigen Amt wegen eines Beitrags über deren Lageberichte, mal mit dem DGB, weil das RJB aufdeckt, dass auch Stiftungs-Namensgeber Hans Böckler kein Förderer der betrieblichen Mitbestimmung war. In Köln sorgt besonders der Konflikt mit dem Medienhaus M. DuMont Schauberg für Furore, nachdem ein RJB-Beitrag die Eltern von Alfred Neven-DuMont mit Arisierungsgeschäften in Verbindung gebracht hat. Nicht selten gibt es auch Ärger mit den Sendeanstalten, die sich an den prinzipientreuen Journalisten die Zähne ausbeißen. »Das waren oft heftige Auseinandersetzungen«, erinnert sich Kieser.

 

Und nun das Ende nach fast 30 Jahren. Woran liegt es, dass niemand die Arbeit fortführen möchte? »Der Umsatz, den du erzielen musst, um den Einheitslohn auszubezahlen, ist nach heutigen journalistischen Maßstäben so hoch, dass du den als Einsteiger kaum erzielen kannst«, sagt Kieser. »Leute, die politisch hier reingepasst hätten, haben da das Handtuch geworfen.«

 

Für Birgit Morgenrath ist der Rückgang kritischen Journalismus ein Trend in den Medien, speziell den öffentlich-rechtlichen. »Das ist schon länger feststellbar. Auf Konferenzen von Verdi bis zur ARD wird gesagt: Kritischer Journalismus ist unser ›Markenzeichen‹! Aber er kommt dann doch nur um 23.45 Uhr«, sagt sie. Früher habe es mehr Formate gegeben, zweistündige Features über die »Dritte Welt«, ausführliche Sondersendungen zu sozialen Themen. Auch Kieser hält die Entwicklung für schlecht: »Gerade in einer Zeit, in der wegen der Krisen alles nach kritischem Journalismus schreit, machen die Leitungen bei dieser politischen Haltung mit, alles kleinzukochen. Damit die Menschen nicht rebellisch werden, damit die Sache nicht aus dem Ruder läuft.«

 

Zum zwanzigjährigen Bestehen des Büros schrieb 2002 ein befreundeter WDR-Redakteur: »Gäbe es das RJB nicht schon seit zwanzig Jahren, es müsste hier und heute erfunden werden«. Ab Januar 2012 ist dieser Wunsch wieder aktuell.