Ödipus: Der blinde König tanzt

Es geht um die Kinder. Ohne die es weder Vater, Mutter, Familienglück, noch Familienleid gibt. Die Plage zu Beginn dieser Tragödie besteht denn auch genau darin: Die Äcker tragen keine Früchte, die Frauen kriegen keine lebenden Kinder. Ein krankhafter Stillstand. Der Grund dafür ist ein Kind namens Ödipus. Es sollte nicht geboren werden aus Furcht vor dem Orakel, das den Eltern die fürchterlichsten Taten des Sprösslings voraussagte: Mord am Vater und Inzest mit der Mutter.

 

In Jan Decortes Fassung des »Ödipus« von Sophokles erinnert sich Mutter Jokaste alias »Madam«: »sein vater Laios / wollte kein kind / weil er es gehört / hatte / aber ich hab ihn / blau gemacht / und er mich / voll«. Kein sehr redseliges Drama, sondern fast lakonisch. Und ohne Chor. Dafür tanzt es, das Völkchen. Aber keine höfischen Schritte und Formen, der Regisseur und Choreograf Wim Vandekeybus, der vor wenigen Jahren selbst Vater wurde, ist ja berühmt fürs wuchtig Körperliche, die ständige Flucht vor dem Stillstand und vor hübscher Künstlichkeit.

 

So lässt er seine acht Tänzer und sich selbst als Ödipus auf dem schwarzen Boden wie blindlings im Kreis über einander rennen und durch die Luft wirbeln, fallen, aneinander ziehen und drücken. In diese aufgescheuchte Welt treten die Musiker mit Schlagzeug, Akkordeon, E-Gitarre und scheuchen mit: Der rockende Roland van Campenhout stellt Laios dar, wortlos, aber nicht tonlos; eine Figur, über die in der Tragödie eigentlich nur gesprochen wird und der Vandekeybus zum Recht der Sichtbarkeit verhilft.

 

Nach »Monkey Sandwich« ist »Ödipus / Bêt Noir« die zweite Koproduktion von Ultima Vez, der Brüsseler Company von Vandekeybus, mit dem Kölner Schauspielhaus, das diesmal nicht für einen Film, sondern für die ganz filmlose Bühne vier Schauspieler beisteuert, darunter Birgit Walter als Jokaste, Königin, Mutter, Gattin. Die flämischsprachige Ver­sion hatte bereits im Sommer 2010 in Amsterdam Premiere und sorgte in Wien wegen eines Babys auf der Bühne für ein typisch österreichisches Skandälchen.