Das Residenz in Köln Anfang Februar, Foto: Manfred Wegener

Vom Filmpalast zum Wellnesstempel

Im März eröffnet in Köln das erste Premiumkino nach dem Vorbild der Berliner Astor Filmlounge. Wir haben uns einen Luxusabend auf dem Ku’damm gegönnt

»So viele Sakkos sieht man sonst nur im Theater«, sagt meine Begleitung mit Blick auf die Besucher im Foyer der Astor Filmlounge. Für den Abend im Berliner Luxuskino hat sie sich selbst auch ausgehfein gemacht. Ein anderes Publikum als im Programmkino war schließlich zu erwarten. Vor der Bar stehen Kinogänger in einer Schlange, um sich den im Eintritts­preis enthaltenen Cocktail abzuholen. 14 Euro fürs Parkett, 16,50 Euro für die Loge mit Fußhocker zahlt man, fast doppelt soviel wie im Multiplex am Wochenende. Einige Mittdreißigerpärchen gönnen einander einen besonderen Abend, ansonsten sind Ehepaare älteren Semesters dort. Ein Publikum zwischen Staatsoper und Komödie am Kurfürstendamm.

 

Wo Multiplexe ihr Publikum mit 3D locken, werden reifere Kinogänger mit sogenannten Premium-Angeboten aus dem Wohnzimmer gelockt, ein Trend, der sich in den USA und Australien etabliert hat. In Deutschland war Cinemaxx-Mitgründer Hans-Joachim Flebbe mit dem 2008 als »Astor Film Lounge« wiedereröffneten Filmpalast der Erste, der diesen Trend aufnahm.

 

»Der Antipastiteller oder die Scampi de luxe?«

 

Kleine stilistische Fehltritte gibt es allerdings schon im Foyer des Premiumkinos. Rote Stehtische erinnern an Messestände, die Gitarrensoli der Hintergrundmusik wirken im edlen Ambiente deplatziert. Dafür gibt es an den geschwungenen Tresen gesalzene Nüsse und gebrannte Mandeln, aber selbstverständlich kein Popcorn. Preise und Programmauswahl sorgen außerdem dafür, dass sich Teenies nicht ins Luxuskino verirren.

 

Der Platzanweiser leitet durch den schönen, aber auch steril sanierten Saal, man sinkt in Ledersessel. Ein Tischchen zwischen den Sitzen schafft Platz für Getränke und Abstand zum Nachbarn. »Der Antipastiteller oder die Scampi de luxe?« Ein herbeigewunkener Kellner nimmt die Bestellung auf. Sechs von ihnen huschen durch die Reihen, schleppen Tabletts mit bunten Cocktails, mikroskopischen Eisportionen, Weinkaraffen. Auch die Scampi sind angekommen, sonderlich »de luxe« sind sie nicht. Beim Italiener an der Ecke bekommt man bessere für die Hälfte. Das Publikum scheint es nicht zu stören, der außergewöhnliche Kinoabend ist beschlossene Sache. Das Konzept geht auf. Die 250 Plätze sind an diesem Mittwochabend fast alle besetzt.

 

Plötzlich ist sie da, die Magie der Vergangenheit

 

Auch die Kinoketten haben das Premium-Segment für sich entdeckt. Im Berliner Sony Center, im Essener Cinemaxx oder seit Kurzem auch im UCI Düsseldorf bietet man vor allem technische Superlative: die größte Leinwand der Stadt, High-End-Soundanlagen und obligatorische Ledersessel eingepasst in den Mehrzweckhallencharme der Multi­plex-Säle. Astor-Betreiber Flebbe setzt dagegen auf die Nostalgie renovierter alter Filmtheater. Das Konzept soll in Köln im gerade für 2,8 Millionen renovierten Residenz fortgeführt werden.

 

Im Durchschnitt seien die Besucher 39 und überwiegend gut situiert, sagt Michael Grochtmann, Marketingchef des Astor. Heute Abend liegt der Durchschnitt eher bei Ende 50. Die Mischung aus Komfort und Nostalgie bedient offenbar perfekt die Bedürfnisse der Gruppe der 40- bis über 60-jährigen Kinogänger, die in den letzten zehn Jahren von 21 auf 33 Prozent gewachsen ist. »Zuschauerzuwächse im hohen zweistelligen Bereich« habe das Astor jährlich zu verzeichnen, so Grochtmann. Eine Ausnahme in einer Branche, die seit Jahren versucht, den Besucherschwund mit 3D-Zuschlägen auszugleichen.

 

Sanft orangenes Licht erhellt den Saal, während die Vorfilme laufen, Kinogänger der Premiumklasse wollen nicht im Dunkeln nach Antipasti stochern. Plötzlich wenden sich die Köpfe nach oben zur 1952 von Gerhard Fritsche entworfenen muschelförmigen Decke. LED-Leuchten tauchen sie in wechselnde Lichtstimmungen. Violett, blassblau und scharlachrot, heben sie die filigrane Konstruktion hervor. Plastischer als jeder 3D-Effekt – plötzlich ist sie da, die Magie der Vergangenheit. Für einen Augenblick fühlt man sich zurückversetzt in die Zeit, als der Ku’damm noch Kinomeile war: Filmpalast-Gefühl. Dann teilt sich der silberne Vorhang und das Licht erlöscht.

 

Berlin hat imposantere Programmkinos mit mehr Atmosphäre

 

Kein Handyklingeln, kein Kichern, kein Strohhalmschlürfen. Nur das leise Klirren von Gläsern an Karaffen und das behagliche Knarren der Lederhocker. Aber lange bleibt es nicht leise. Schon bei der Eröffnungsszene der französischen Erfolgskomödie »Ziem­lich beste Freunde« platzen Lacher hervor. Die Geschichte über zwei ungleiche Freunde passt mit ihrer dekorativen Sozialproblematik und der hohen Gagdichte perfekt zu diesem Abend. Es lacht sich gelöst nach Prosecco und Scampi.

 

Nach 100 kurzweiligen Minuten schälen sich die meisten zufrieden aus den Sesseln. Der Film hat meiner Begleitung gefallen, trotzdem ist sie ein wenig enttäuscht. Die Sitze seien schon bequem, der Service komfortabel. Stilsicher sei das Luxuskino aber nicht. Berlin habe imposantere Programmkinos mit mehr Atmosphäre.

 

Lichtspielhäuser für das Opernpublikum

 

Filmpaläste der Vergangenheit waren die Operhäuser der kleinen Leute. Sie boten einen Abend voller Glamour für wenig Geld. Die Luxuskinos der Gegenwart sind dagegen Lichtspielhäuser für das Opernpublikum, bieten gutsituierten Bürgern einen exklusiven Abend.

 

»Schön, dass es am Schluss nicht so traurig wurde«, sagt eine Frau beim Aufstehen zu ihrer Tochter. Im Filmpalast der Zukunft wird Kino zum kulinarischen Event, das Lichtspielhaus zum Wellnesstempel: bekömmlich, ohne schwer auf dem Magen zu liegen, nicht ganz billig, aber ungemein angenehm.

 

 

Das »Residenz – eine Astor Film­lounge« (Kaiser-Wilhelm-Ring 30-32), so der offizielle Name, eröffnet voraussichtlich Mitte März