Umdeutung zur Episode — Frank Möller am Ort der Katastrophe; Foto: Manfred Wegener

Die Katastrophe geht weiter

Vor drei Jahren ist das Historische Archiv eingestürzt. Die Stadt hat nichts daraus gelernt

Am dritten Jahrestag des Archiveinsturzes, bei dem zwei Menschen starben, eine Veranstaltung mit dem Slogan »Mitten im Leben« zu untertiteln — das ist bestenfalls gedankenlos. Aber es ist schlimmer. Denn Gedanken hat man sich bei der Stadt Köln schon dazu gemacht, wie man der Katastrophe vom 3. März 2009 gedenken will.

 

Am »Tag der Archive« kann man sich von 11 bis 17 Uhr über die Zukunft des Kölner Stadtarchivs und der verschütteten Bestände informieren — in Porz-Lind, mit freundlicher Unterstützung eines Möbelhauses. OB Jürgen Roters schickt seine Stellvertreterin Elfi Scho-Antwerpes auf die Schäl Sick. Und die Band Erdmöbel, deren Name eine launige Umschreibung für Sarg ist, tritt zur musikalischen Unterhaltung auf. All das ist nicht zu fassen, aber all das ist eben Köln. 

 

»Kein Anlass, wieder neues Vertrauen in das Handeln der Stadt zu setzen«

 

»Die Stadt scheint den Tag des Einsturzes zu einer bloßen Episode umdeuten zu wollen«, sagt Frank Möller. Er ist Vertreter der Initiative »Köln kann auch anders«. Sie wurde gegründet, um die politische Kultur in Köln zu ändern. Es gebe noch viel zu tun, sagt Möller. Von der Archivkatastrophe ist er persönlich betroffen: Als Historiker hat er im Archiv geforscht, er schreibt an einer Biografie des Kölner Verlegers Joseph Caspar Witsch. »Nur zufällig war ich am Tag des Einsturzes nicht dort«, sagt er.   

 

Aber Möller forschte nicht nur, er hatte dem Archiv auch zahlreiche zeitgeschichtliche Dokumente überlassen. Er war in den sozialen Bewegungen der 70er Jahre engagiert, hatte Flugblätter, Zeitungen und Protokolle gesammelt, ein »Archiv des Alternativen Schrifttums« mitaufgebaut. Er habe darauf vertraut, dass diese Dokumente im Historischen Archiv gut aufgehoben seien, so Möller. »Das Frustrierende ist, dass ich bis heute überhaupt keinen Anlass sehe, wieder neues Vertrauen in das Handeln der Stadt zu setzen.« 

 

»Die Stadt verfolgt ein strukturkonservatives Gesamtkonzept«

 

Möller zeigt auf einen Papierstapel. Er hat sich das »Fachkonzept für das Historische Archiv der Stadt Köln bis zum Jahr 2050« ausgedruckt. Mehr als siebzig Seiten, versteckt im Internetauftritt der Stadt. Möllers Resümee: Die Stadt verfolge ein »strukturkonservatives Gesamtkonzept«. Es werde ein Archiv geformt, »das vor allem verwaltungskonform ist.«

 

Tatsächlich steht im Archiv-Konzept, es solle weniger archiviert werden, weil es einen Erfassungsrückstand gebe. Deshalb ist nur noch ein Sechstel für private Nachlässe und Sammlungen vorgesehen — »ergänzend zu den städtischen Unterlagen«, wie es auf Seite 37 heißt. »Städtische Sozialgeschichte und außerparlamentarische Aktivitäten können spätere Generationen dann vermutlich kaum rekonstruieren«, meint Möller. 

 

Auch die Erfolgsgeschichten, die über die Tagespresse verbreitet werden, ärgern ihn. Es heißt, 95 Prozent der Archivalien seien geborgen. Doch Möller fragt sich, wie man das seriös abschätzen will, wo doch die 30 Regalkilometer unsortiert auf mittlerweile 20 Asyl-Archive verteilt worden sind. Selbst wenn es stimme, dass davon 65 Prozent bloß mittel oder leicht beschädigt seien, sei es ohne detaillierte inhaltliche Kenntnisse einzelner Bestände unmöglich, die Dokumente wieder in die ursprüngliche Ordnung zu bringen.

 

»Weitere Verluste sind vorprogrammiert«

 

»Denn, wenn niemand weiß, wo ein einzelner Brief oder eine Notiz hingehört, ist es fast so, als ob das Dokument zerstört wäre. Man kann nichts mehr damit anfangen.« Um all das wieder in die alte Ordnung zu bekommen, solle sich die Archivleitung stärker um Nachlassgeber, Wissenschaftler und ehemalige Mitarbeiter bemühen, die vor allem die Bestände des 20. Jahrhunderts kennen, fordert Möller. »Aber das geschieht nicht. Weitere Verluste sind programmiert.«

 

Nur schlechte Nachrichten? Immerhin wird es doch ein neues Archiv am Eifelwall geben: modern, repräsentativ, sicher, architektonisch reizvoll — ein »Bürgerarchiv«. Aber Möller sagt: »Was soll das sein, ein Bürgerarchiv? Das ist doch selbstverständlich, dass jeder Bürger rein darf.« Wenn man die Idee  ernst nehmen würde, sagt er, müsste man vielmehr den Service verbessern, unnötige Gebühren abschaffen und die fachwissenschaftliche Kompetenz im Archiv stärken. 

 

Deshalb hat Möller beschlossen, für »Köln kann auch anders« ein Dossier zur Archiv-Politik der Stadt vorlegen. Und dann sagt er noch: »Ich schreib das auf, und vielleicht liest das in fünfzig Jahren jemand und erfährt zumindest, dass es zur offiziellen Lesart der Stadt, wie ein Archiv auszusehen hat, auch ganz andere Vorstellungen gab.«