Hollywood im Rechtsrheinischen: Boris Sieverts und Bruno Peters auf dem Kalkberg, Foto: Manfred Wegener

Kalker Gipfelstürmer

Eine Begehung des Kalkbergs mit Boris Sieverts und Bruno Peters

Blauer Himmel, minus neun Grad. Leichter Raureif liegt noch auf den Gräsern und Brombeerranken. Gegen neun Uhr verlassen wir zusammen mit unseren beiden Bergführern Boris Sieverts und Bruno Peters das Basislager an der Kalk-Mülheimer-Straße und nehmen den Gipfel des Kalkbergs über die Ostflanke in Angriff. Der Aufstieg ist kurz, aber steil, Zäune sind zu überwinden. Danach geht es den Bergrücken entlang bis zum oberen Plateau des Massivs, von dem sich eine atemberaubende Ansicht bietet: Von Refrath über die A 4 und die Innenstadt bis nach Kalscheuren und in die Eifel. Mitten im rechtsrheinischen Köln stellt sich plötzlich ein Gefühl urban-alpiner Erhabenheit ein. Das wird sich bald ändern.

 

Am 20. Dezember 2011 hat der Rat der Stadt beschlossen, auf dem Kalkberg eine zentrale Station für Rettungshubschrauber einzurichten. Die Proteste von Bürgerinitiativen in Kalk und Buchforst gegen die zusätzliche Lärmbelastung wurden ignoriert, mögliche andere Standorte wie die Messe in Deutz oder das Krankenhaus in Merheim fielen durch. Als Ausgleich bietet die Stadt den Bewohnern den Einbau von schalldämmenden Fenstern an; außerdem soll der Autobahnzubringer B 55 mit Flüsterasphalt versehen werden.

 

Der Kalkberg ist sicherlich keine Schönheit, doch Boris Sievers ist bekannt für seine Stadttouren, die den Blick schärfen für Stadtlandschaftstopologien außerhalb des gängigen Sightseeingprogramms. Seit 2005 hat er auch die Route »Große Freiheit Kalk« im Programm, die eine Begehung des Kalkbergs einschließt. Für Sievers ist der Hügel mit der »linksrheinischen Beurteilungsmatrix« und ihrer Orientierung an der radialen Ringstruktur gar nicht zu begreifen. Um den Unterschied klar zu machen, vergleicht er die innerstädtische Wildnis mit den begrünten Kohlehalden im Ruhrgebiet. Auch sie erheben sich plötzlich mitten in der Stadt, dienen als Naherholungsgebiet und stellen einen völlig eigenen urbanen Landschaftstyp dar. Bruno Peters von der Bürgerinitiative in Kalk wohnt mitten auf dem ehemaligen CFK-Gelände und sieht den Kalkberg etwas profaner: Er sei eine ideale Ergänzung zum Bürgerpark an der Barcelona-Allee, der von den Bewohnern begeistert angenommen werde.

 

Trotz des Ratsbeschlusses planen Peters und Sievers bis zur Errichtung der Station 2014 zahlreiche Aktionen. Den an das Hollywood Sign erinnernden »KALKBERG.ORG«-Schriftzug hat man schon im Januar dieses Jahres angebracht; jetzt sollen Bergwege angelegt werden, vor allem von der Mülheimer Stegerwaldsiedlung aus. Sievers und Peters denken über Open-Air-Kino nach; der Theaterjugendclub »Rheinische Rebellen« plant ein Sommercamp; Gottesdienste sollen auf dem Kalkberg abgehalten und eine Hütte zum Übernachten errichtet werden.

 

Wo die Politik nur Brachland wahrnimmt, sieht Sievers den Kalkberg als zentralen Bestandteil der rechstrheinischen städtischen Identität. »Es ist ein heimatbildender Moment, wenn man den Kalkberg besteigt«, sagt der Stadtführer und möchte die Bewohner von Kalk und Buchforst einladen, den Landschaftsflecken zur Begegnungsstätte zu machen. Nur nach dem Abstieg vom Gipfel ist es vorbei mit der Erhabenheit: Das Café eines Baumarktes bringt uns wieder auf den Boden der Tatsachen.

 

 

INFO:

Der Kalkberg liegt zwischen dem Autobahnzubringer B 55, der Kalk-Mülheimer Straße und der Stegerwaldsiedlung. Nach dem Ratsbeschluss vom Dezember sollen dort bis Herbst 2014 für 11,3 Millionen Euro Landeplätze für zwei Hubschrauber, ein Hangar und eine Tankstation errichtet werden. Insgesamt wurden 44 Standorte nach Kriterien wie Zentralität, Lärm, Nähe zu Krankenhäusern oder Verfügbarkeit geprüft, nichtsdestoweniger fiel die Entscheidung auf das dicht besiedelte und sowieso schon als Hochlärm­areal ausgewiesene Gelände zwischen Kalk und Buchforst. Die Verwaltung wurde beauftragt, den Kalkberg von einem privaten Eigentümer anzukaufen. Nach Cyanid-Funden im Grundwasser ist derzeit allerdings nicht klar, inwieweit die frühere Hochdeponie der Chemi­schen Fabrik Kalk (CFK) kontaminiert ist.