Köln ist nicht Siegen-Wittgenseint: Blick vor die Wand in der ComediaFoto: Manfred Wegener

Klare Kante in der Kultur

Ein Gespräch mit dem Kultur­berater Reinhart Richter über den Kölner Kulturentwicklungsplan und seine notwendige Aktualisierung.

Lange nichts mehr gehört vom Kölner Kulturentwicklungsplan (KEP). 2009 wurde er vom Rat der Stadt mit dem Ziel beschlossen, Perspektiven für Köln als Kulturstandort zu formulieren. Seitdem ist er aus der öffentlichen Diskussion verschwunden, und zwar völlig. Dabei sollten doch gerade in finanziell schwierigen Zeiten die Leitlinien des KEP für Orientierung sorgen.

 


StadtRevue: Herr Richter, Sie haben kürzlich bei einer Podiums­diskussion in Köln darauf hingewiesen, dass der Kölner KEP keine Perspektiven für Menschen unter 25 enthält. An welche Angebote denken Sie dabei?

 

Reinhart Richter: Die jungen Leute haben nach meiner Wahrnehmung zahlreiche neue Kulturen, neue Themen, neue Kommunikations- und Arbeitsformen entwickelt, die geprägt sind durch Globalisierung und Internationalisierung. Die Art und Weise aber, wie bisher Kulturaktivitäten organisiert und durchgeführt werden, erreicht die 25-Jährigen oft gar nicht oder wird von ihnen nicht akzeptiert. Da diese Zielgruppen maßgeblich unsere gesellschaftliche Entwicklung und unsere Kulturentwicklung beeinflussen werden, braucht es Rahmenbedingungen, in denen sie ihre Arbeitsformen und Themen einbringen können.

 

Der Kölner KEP stammt aus dem Jahr 2009. Viele Projekte wie zum Beispiel das Kinderkulturhaus sind schon über den beschriebenen Zustand hinaus. Wie lässt sich ein KEP aktuell halten?

 

Es ist nötig, die Entwicklungen in Gesellschaft und Kultur wahrzunehmen, sich darüber klar zu werden, welche Veränderungen sie bei Zielen und Maßnahmen nötig machen, um  die entsprechenden Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. In unserer Gesellschaft gibt es immer weniger Kinder, die dafür aber zunehmend aus bildungsfernen Familien stammen. Da gilt es Konzepte zu entwickeln, wie diese Familien nicht nur in die kulturelle Bildung, sondern auch in die Mitwirkung an kultureller Arbeit einbezogen werden. Ein weiteres Beispiel betrifft die Folgen des digitalen Zeitalters für die Stadtgesellschaft. So hat die Stadt Siegen-Wittgenstein ein digitales Kulturhandbuch entwickelt, in dem alle Kulturinformationen der Stadt verzeichnet sind und das eine aktualisierungsfähige Zustandbeschreibung der kommunalen Kultur bietet. Die Evaluation muss einmal im Jahr stattfinden und ist Aufgabe des Kulturdezernats, das dabei auf Foren mit Fachleuten aus der Kultur und anderen gesellschaftlichen Entwicklungsbereichen diskutiert. Der Kölner KEP verfügt allerdings noch nicht über ausreichend eindeutige evaluierungfähige Ziele.

 

Die Haushaltslage in Köln ist prekär. Wie kann man auch in finanziell angespannten Zeiten die Ziele des KEP im Auge behalten?

 

Der Kölner KEP hat den Charakter einer Wunschvorstellung. Gerade wenn die Budgets schrumpfen, ist es umso wichtiger, strategische Ziele zu haben und Entscheidungen zu treffen, wo man Prioritäten setzt. Wenn man etwas für wichtig hält, muss das Vorrang bekommen, gegebenenfalls auch zulasten von etablierten Einrichtungen. Das ist immer schmerzhaft, weil große Kultureinrichtungen eine Aura haben, die bewirkt, dass jede Kürzung einem Tabubruch gleichkommt. Aber wenn man über die Kulturentwicklung einer Stadt nachdenkt und auf neue gesellschaftliche Entwicklungen reagieren will, muss man auch unbequeme Fragen stellen. Um in schwierigen Haushaltslagen trotzdem Innovation zu ermöglichen, könnte man die Kulturetats einer Stadt in der Spitze linear um ein Prozent kürzen und diese Mittel dann in einen Innovationsetat Kultur einbringen, auf den sich Kulturschaffende oder Einrichtungen mit Projekten bewerben.

 

Sie haben bei der Kölner Podiumsdiskussion vor der »Verführung zur gebauten Kulturinvestition« anstelle von Investitionen in Kulturschaffende gewarnt.

 

Häufig sind Verwaltung und Politik überfordert, weil die strategischen Kompetenzen im Durchschnitt zu wenig entwickelt sind. Deshalb gibt es eine starke Tendenz, Entscheidungen bezogen auf Projekte zu fällen und sie nicht in einem politischen Kontext zu beurteilen. Ein typisches Beispiel ist die Elbphilharmonie in Hamburg, deren Baukosten explodieren und deren Betriebskostenzuschuss sich vermutlich auf zusätzliche vier bis fünf Millionen Euro erhöht hat. Andererseits gibt Hamburg für seine Kinderkulturarbeit gerade einmal 400.000 Euro im Jahr aus, die im wesentlichen von Sponsoren und Mäzenaten aufgebracht werden. Nach meiner Vorstellung müssten die Rahmenbedingungen für Kinderkulturarbeit einen wesentlich höheren Stellenwert in der Politik haben.

 

Seit Jahren bemüht sich die Kölner Kulturpolitik erfolglos um die Schaffung adäquater Spielstätten für die freie Szene, gleichzeitig werden die Städtischen Bühnen für 250 Millionen Euro saniert. Wie lässt sich hier ein ausgewogenes Verhältnis herstellen?

 

Da stellt sich die Frage, wie wichtig man die freie Szene und ihre Spielorte nimmt. Ich könnte mir vorstellen, dass man in Investitionsvorhaben für öffentliche Kulturgebäude einen Anteil einplant, der für die freie Szene eingesetzt wird. Wenn man 250 Millionen für die Sanierung der Städtischen Bühnen veranschlagt, wären das 2,5 Millionen für Spielstätten der freien Theaterszene. Genauso könnt man beim Bau eines Kunstmuseums einen Zusammenhang zur Atelierförderung herstellen. Das wäre unproblematisch möglich, wenn man es denn politisch will. Wenn sie heute öffentlich 2,5 Millionen mehr für die freie Szene fordern würden, laufen sie damit frontal gegen die Wand. Nur — wenn man eine Grundsatzentscheidung für eine auf Sparten und nicht auf Kultureinrichtungen bezogene Investi­tionspolitik trifft, dann ist das rea­lisierbar.

 

INFO: Reinhart Richter hat Volks- und Betriebswirtschaft studiert. Er arbeitete zunächst als Hochschulreferent der Stadt Osnabrück und übernahm dann die Leitung des dortigen Kulturamts. Nach elf Jahren gründete er die Richter Beratung (richter-beratung.de), die auf Kulturentwicklungsplanung, Verwaltungsmanagment und Politikreform spezialisiert ist.