Das Wichtigste ist der Schulfrieden

Im Sommer 2000 zeigt eine Kölner Lehrerin Gewalttätigkeiten ihrer KollegInnen gegen SchülerInnen an. Seitdem ist die Bezirksregierung bemüht, die Frau loszuwerden. Im Juni 2002 schließlich versuchen die Behörden, in ihre Wohnung einzudringen, um sie einem Psychiater vorzuführen

Einbruch als Einschüchterungsversuch

Zuerst hatte ich nur den Eindruck, mit dem Türschloss stimmt etwas nicht, dann stellte ich fest, dass auch die Sicherheitsleiste locker war, ich konnte sie mit einem Handgriff entfernen.« Angelika T.* meldet den versuchten Einbruch bei der zuständigen Polizeiwache Nippes. Es ist Donnerstag, der 20.6.02. Das seien wahrscheinlich Zigeunerkinder gewesen, mutmaßen die beiden Polizeibeamtinnen, die die Angelegenheit vor Ort zu Protokoll nehmen.

Versuchter Zwang zur psychiatrischen Untersuchung

Was Angelika T. zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, ist, dass die Polizei selbst – im Auftrag der Stadt Köln – versucht hat, in ihre Wohnung einzudringen. Das bestätigt tags drauf der Polizeibeamte Hessing von der zuständigen Polizeiwache. Das ältere Ehepaar, das über Angelika T. wohnt, bezeugt den Vorfall, der sich bereits am Montag, den 17.6. zugetragen hat: Die Polizei habe morgens um acht bei ihnen geschellt, berichtet der Nachbar, er habe sie ins Haus gelassen, woraufhin die zwei Polizisten und drei Männer in Zivil sich an Frau T.s Tür zu schaffen gemacht hätten. Auf ihre Nachfrage, ergänzt seine Frau, habe einer der Uniformierten gesagt: »Wir sind von der Polizei, und die Herren sind von der Stadt Köln. Das hier hat alles seine Richtigkeit.«

Das mag für die beteiligten Polizeibeamten zutreffen – die haben nur Amtshilfe für die Stadt Köln geleistet. Diese wiederum beruft sich auf einen Beschluss des Amtsgerichtes vom 6. Mai, der der Betreuungsstelle der Stadt Köln – zuständig für Vormundschaftsangelegenheiten – »das gewaltsame Öffnen und Betreten der Wohnung der Betroffenen sowie eventuelle notwendige Maßnahmen zur unmitttelbaren gewaltsamen Durchführung der Vorführung« einräumt, d.h. Angelika T. sollte einer zwangsweisen psychiatrischen Untersuchung zugeführt werden.

Angelika T. deckt verbale und physische Gewalt an SchülerInnen auf

Für sie hat nichts mehr seine Richtigkeit. Die 51-Jährige arbeitet seit 28 Jahren als Lehrerin, zuletzt an der Hauptschule Paul-Humburg-Straße im nördlichen Stadtteil Longerich. Im Sommer 2000 sieht sie sich als Zeugin vom Hörensagen mit mehr oder minder schweren Gewalttätigkeiten ihrer KollegInnen gegenüber SchülerInnen konfrontiert. Diese zeigt sie Anfang September 2000 bei ihrem obersten Dienstherren, heutiger Regierungs- und ehemaliger Polizeipräsident Jürgen Roters, an. Der Bezirksregierung legt sie damals eine 30 Seiten starke Dokumentation vor, die u. a. aus Berichten von 83 betroffenen SchülerInnen und ZeugInnen besteht. »Die haben sich damals an mich gewandt, als sich herumsprach, dass ich ihnen glaube«, erzählt Angelika T. Sie protokolliert die Aussagen, die Daten, die Vorfälle – und die Namen der LehrerInnen. Die SchülerInnen erzählen von Kopfnüssen, von Schlägen in den Nacken, Boxen auf den Oberarm, »in den Schwitzkasten nehmen«. Mehrere Mädchen berichten, sie seien häufiger von einem Lehrer in der Toilette eingeschlossen worden. Angelika T. selbst hat sie dort mehrmals wieder herausgeholt. Die SchülerInnen sprechen auch von einem rüden Umgangston seitens des Lehrpersonals: Ausdrücke wie »Arschloch« oder rassistische Ausfälle wie »Sind wir hier auf dem türkischen Bazar, dass man handeln kann?« waren nach Angaben der SchülerInnen keine Einzelfälle.

Drohungen, Strafvereitlung

Kurz nachdem Angelika T. die Missstände zur Anzeige gebracht hat – was ihre dienstliche Pflicht war –, beginnt das, was Kurt Werner von der European Antimobbing Association eine »Hexenjagd« nennt. Die Lehrerin wird abgeordnet, sprich: einer anderen Kölner Schule zugeteilt. Der neue Schulleiter wird aufgefordert, der Bezirksregierung Bericht über die Lehrerin zu erstatten. Ihr wird angedroht, dass sie vom Dienst suspendiert wird, »sollte es Anlass zu weiteren vergleichbaren Beschwerden geben«. Über sie beschwert hatte sich der Direktor der Schule Paul-Humburg-Straße, Klaus Wieczorek. An ihn hatte die Bezirksregierung inzwischen Angelika T.s Dokumentation weitergeleitet, und er setzte offenbar – Kurt Werner spricht von Strafvereitelung – die beschuldigten Lehrer in Kenntnis. Das geht aus den Details von Wieczoreks Stellungnahme vom 9.9.00 hervor, in der er sich schützend vor die LehrerInnen stellt: »Kein Kollege und keine Kollegin dieser Schule schlägt und misshandelt Schüler vorsätzlich und ständig.« Bei den Aussagen der SchülerInnen habe man es »vielfach mit böswilligen Äußerungen zu tun«, Frau T. habe »durch Abfragen der Schüler erst die Lust an der Aussage geweckt«.

Auch Eltern klagen an

Auch ein halbes Dutzend Eltern stellten im Herbst 2000 Strafanzeige gegen LehrerInnen der Hauptschule Paul-Humburg-Straße. Eine von ihnen ist Karola Hamacher, die selbst als Erzieherin in einem Kindergarten arbeitet. Ihr Sohn, der mittlerweile die Schule gewechselt und seinen Realschulabschluss hat, sei sehr ungerne in die Paul-Humburg-Schule gegangen: »Dort hat Gewalt eine Rolle gespielt«, sagt Frau Hamacher, »physische und verbale, die Kinder fühlten sich heruntergesetzt.« Einmal werden Sohn und Mutter von der Polizei verhört, nach rund einem Jahr werden die Ermittlungen eingestellt. Die zur Anzeige gebrachten Vorfälle, so die Begründung, seien nicht erheblich genug. So wird mit allen Elternanzeigen verfahren, einige hatten in der Zwischenzeit ihre Strafanträge zurückgezogen. Von SchülerInnen ist zu hören, sie seien von LehrerInnen unter Druck gesetzt worden. »Frau T.s Vorwürfe entsprechen der Wahrheit, ich kann das nur bestätigen«, sagt Karola Hamacher, die sich lobend über die pädagogischen Fähigkeiten der Lehrerin äußert: »Sie ist toll mit den Kindern umgegangen, mein Sohn hat bei ihr am besten gelernt.«

Keine Stellungnahme seitens der Schulleitung

Schulleiter Klaus Wieczorek verweigert gegenüber der StadtRevue jede Stellungnahme: »Ich habe keine Lust mehr. Ich verstecke mich jetzt einfach mal hinter meinem Dienstherrn«, sagt er und meint damit die Bezirksregierung. Die tut seit nunmehr anderthalb Jahren das Ihre, um die Vorwürfe zu den Akten legen zu können – und die unbequeme Lehrerin loszuwerden.

Statt den Vorwürfen nachzugehen, ermittelt die Staatsanwaltschaft nun gegen die Klägerin selbst...und unterdrückt Dokumente

Mit Schreiben vom 16.11.01, rund ein Jahr also nachdem Angelika T. die Missstände zur Anzeige gebracht hat, stellt die Staatsanwaltschaft Köln das Ermittlungsverfahren in der Sache ein: Man habe keinerlei Anlass für eine Anklageerhebung gefunden, so heißt es in der Begründung. Stattdessen richten sich die Vorwürfe nun gegen die Lehrerin selbst: Nach dem Ergebnis der Zeugenbefragung stünde fest, so die Staatsanwaltschaft, dass Angelika T. »eine gezielte Kampagne gegen das Lehrerkollegium durchgeführt hat, um sich den Weisungen des Schulleiters widersetzen zu können«. Grundlage dieser negativen Beurteilung ist u.a. auch ihre Personalakte bei der Bezirksregierung, aus der ein positives Zeugnis eines früheren Schulleiters auf unerklärliche Weise verschwand. Als sie das Dokument selbst einreicht, erklärt die Staatsanwaltschaft den Beurteilungszeitraum für »nicht maßgeblich«, ihr Vorwurf der Urkundenunterdrückung wird ohne Begründung zurückgewiesen.

Stattdessen erhält sie wenige Tage später ein Schreiben vom Amtsgericht Köln, in dem Richter Harald Reske kundtut, dem Vormundschaftsgericht sei »die Sorge mitgeteilt worden, dass Sie Ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr wahrnehmen können sollen. Aus diesem Grunde wird geprüft, ob Ihnen ein Betreuer (Vormund, Anm. d. Red.) zur Seite gestellt werden soll.« Auf Angelika T.s schriftliche Nachfrage, worin diese angebliche Sorge bestünde, teilt Reske mit, Anlass sei ihr juristischer Schriftverkehr mit dem Verwaltungsgericht Köln und die diversen Ermittlungsverfahren, die sie in Gang gesetzt habe. Reske wiederholt die hanebüchene Begründung in einem Telefonat mit der StadtRevue und gibt ansonsten zum Entmündigungsverfahren gegen Angelika T. keine Auskunft, weil dies ein »laufendes Verfahren« sei.

Der Schriftwechsel zwischen der Lehrerin und zuständigen Ämtern, Gerichten, Bezirksregierung, Ausschüssen und Staatsanwaltschaft füllt nach inzwischen anderthalb Jahren mehrere Aktenordner. Sie hat sowohl gegen ihre Abordnung an eine andere Schule als auch gegen ihre inzwischen erfolgte Zwangspensionierung Rechtsmittel eingelegt. Sie hat der Einstellung der Ermittlungen widersprochen, sie hat sich an den Petitionsausschuss des Landtags gewandt, Dienstaufsichtsbeschwerden in Gang gesetzt, hat an allen möglichen Stellen versucht, sich Gehör zu verschaffen und sich zur Wehr zu setzen. Erfolglos. »Ihre Widersprüche und Beschwerden werden von den Gerichten willentlich verschleppt«, kommentiert Kurt Werner. Beim Sichten der Akten kommt der Eindruck auf, dass unter Umgehung und wohl wollender Interpretation gesetzlicher Bestimmungen zugunsten der Beschuldigten verhindert werden soll, dass das mögliche Ausmaß von Gewalt an Kölner Schulen an die Öffentlichkeit dringt.

»Dann würden Köpfe rollen, so hat mein Bruder wörtlich gesagt«, erinnert sich Angelika T. Ihr Bruder, selbst leitender Polizeibeamter in Köln, wurde im Februar 2002 von der Bezirksregierung zu einem Gespräch mit seiner Schwester aufgefordert. Was August Gemünd, persönlicher Referent von Jürgen Roters, gegenüber der StadtRevue als »höchst verantwortliches Verhalten« bezeichnet – man habe durch dieses Gespräch »klären wollen, ob Frau T. suizidgefährdet sei« – wertet die Lehrerin als Bespitzelung und Druckmittel: »Mein Bruder hat mich im Auftrag der Bezirksregierung aufgefordert, mich rückwirkend als ›zeitweilig geistig verwirrt‹ auszugeben. Dann würde man mich ordentlich pensionieren, das Entmündigunsverfahren würde aufgehoben.« Sie geht darauf nicht ein, wendet sich stattdessen zum wiederholten Male an die Presse. Die Bild-Zeitung veröffentlicht im März 02 einen kurzen Artikel. Der WDR, der Angelika T. schon im Herbst 2000 für Radio und Fernsehen interviewt hatte, sendete nicht, weil schon damals die Bezirksregierung mit dem Hinweis intervenierte, es laufe ein psychiatrisches Verfahren gegen Angelika T. Das erfuhr Kurt Werner auf Nachfragen vom zuständigen Redakteur.

Am 8.3.02 teilt Richter Reske Angelika T. erneut mit, der »Inhalt ihrer eigenen Post« sowie »einige Telefonate mit dem Verwaltungsgericht und der Bezirksregierung« gäben Anlass für eine psychiatrische Untersuchung. Sie wird »in ihrem eigenen Interesse« aufgefordert, sich bei Dr. Hans-Martin Schuchardt in Köln-Ostheim einzufinden. Es handelt sich jedoch nicht um einen gerichtlichen Beschluss, sondern um ein einfaches Schreiben auf Amtsgerichtbriefpapier. Reskes Wunsch – denn um mehr handelt es sich ohne Beschlussgrundlage nicht – folgt Angelika T. nicht. Sie leistet auch Dr. Schuchardts mehrmaligen Aufforderungen, sich in seiner Praxis einzufinden, keine Folge. Den ersten tatsächlichen Gerichtsbeschluss gibt es erst am 6.5.02, auf dessen Grundlage man versucht, in ihre Wohnung einzudringen. Beim nächsten Mal würde man nachts mit der Feuerwehr kommen, droht Reske der Lehrerin in einem Telefonat am 26.6.02 an.

Angelika T. wird von den Behörden und Gerichten sukzessive in die Nähe einer psychischen Erkrankung gerückt. Jemanden als krank zu bezeichnen heißt jedoch, ihn herabzusetzen. »Unter Güteabwägungen können Einzelinteressen schon mal leiden«, kommentiert August Gemünd den Vorgang, schließlich habe der »Erhalt des Schulfriedens« auf dem Spiel gestanden. Und der sei immer noch das Wichtigste.

* Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt