Trans Europa Express

Stabil Elite betreiben Ahnenforschung in Düsseldorf

Wenn der Labelboss beim Interview durchgehend am Tisch sitzen bleibt, dann scheint ihm seine Band von besonderer Wich­tigkeit zu sein. Zumindest das, was über sie in der Öffentlichkeit verlautbart wird. Und so schaltet sich Marc Knauer vom ehemals in Köln, inzwischen in Berlin beheimateten Label Italic Recordings schon gleich bei der ersten Frage mit ein: Was es denn mit den goldenen Stickern auf sich habe, die auf den Promo-CDs von Stabil Elite kleben? »The Sound Of Young Düsseldorf« hieß es noch auf der »Gold«-Single – für das im März erscheinende Album »Douze Pouze« wurde der Claim schon in »The Sound Of Young Europe« umformuliert.

 

»Paris ist näher an Düsseldorf als Berlin«, rechtfertigt sich Knauer, »deshalb Europa. Das kommt ursprünglich von Motown: ›Sound of Young America‹. Dann gab es das Postcard-Label mit ›Sound of Young Scotland‹, und in Düsseldorf gibt es nun mal auch einen Sound. ›Sound Of Young Germany‹ wäre als Weiterführung etwas piefig gewesen.« Die Band hat von den Aufklebern gar nichts gewusst, stellt sich heraus, immerhin fällt es Sänger Nicolai Szymanski nicht schwer, den Sound of Düsseldorf einzugrenzen: »Kraftwerk und Krautrock, Klaus Dinger, Neu!, La Düsseldorf – meinetwegen auch DAF, die ganze Sache, die Ende der 70er stattgefunden hat, das ist die Referenz, die man bei uns gerne wählt.«

 

Während viele junge Bands den Vergleich scheuen und ihre Musik ungern in einen eindeutigen historischen Kontext stellen lassen, verhält es sich bei Stabil Elite genau anders herum. Die drei Mittzwanziger knüpfen an eine Tradition an, die eigentlich längst Musikgeschichte ist. Elektronische Musik wurde seit Ende der Neuen Deutschen Welle nicht in Düsseldorf weiterentwickelt, wenige Ausnahmen wie Kreidler bestätigen die Regel. Im popkulturellen Kontext ist die Stadt seither so relevant wie Hannover, Dortmund oder Bielefeld. Als Marke hat sich Düsseldorf trotzdem halten können. Sollte man die Musikszene der Stadt im Ausland kennen, dann wohl am ehesten wegen Kraftwerk.

 

Tatsächlich klingen die ersten vier Tracks auf »Douze Pouze« beinahe zu hundert Prozent nach Kraftwerk: die minimalen, statischen und relativ basslosen Beats, zu denen man nicht tanzen können soll, die naiven, retro-futuristischen Keyboard-Melodien, der tonlose, repetitive Gesang – alles scheint nach Lehrbuch durchgeplant und wurde mit reichlich Geschick bis ins letzte Detail ausgefuchst. Dazu passt der Hang der drei Jungs zu strengem Design: das Stilleben auf dem Albumcover, die schlichte Typographie, die akkurat gescheitelte Frisur von Keyboarder und Produzent Lucas Croon, das Posing mit altem analogen Gerät auf den Pressefotos und die Album-Teaser im Internet, für die Stabil Elite mit ausdruckslosen Minen Sound-Schnipsel von einem alten Kassettenrekorder abspielen lassen.

 

»Wir finden diese Kraftwerk-Ästhetik super, fänden es aber langweilig, ein ganzes Album so zu machen«, entkräftet Lucas etwaige Plagiatsvorwürfe. »Wir arbeiten Stück für Stück und wollen jedes Mal was anderes machen, so wie es sich entwickelt.« In den weiteren Songs kommen andere Klangfarben hinzu. Ein ­Live-Drummer (Thomas Klein von Kreidler) springt ein, ein Bassist spielt groovige Disko-Licks, Martin Sonnensberger schlägt auf der E-Gitarre den Backbeat  – und plötzlich muss man nicht mehr an »Die Roboter« denken, sondern an »Love Is The Drug« von Roxy Music! Nur dass der Musik durch den nüchternen Gesang jeglicher Schwulst abgeht. Auch wenn man sich einen stimmlichen Ausbruch an mancher Stelle vielleicht sogar wünscht, bleibt auf diese Weise zumindest der techno-logische Gesamteindruck intakt.

 

Die Texte von Nicolai Szymanski fügen sich ins Bild. Abstrakte Miniaturen, die sich meist einer vordergründigen Bedeutung entziehen. Oft handelt es sich um sorgsam gedrechselte Zwei- oder Vierzeiler, die lediglich die Essenz von irgendetwas zum Ausdruck zu bringen scheinen. Benötigt man zur Entschlüsselung vielleicht eine ganz spezielle Formel? Eine Theorie, der Nicolai eher widerspricht: »Man ist gut beraten, wenn man die Texte so wörtlich nimmt wie möglich, man muss keine übergeordnete Metaphorik suchen. Es ist sehr assoziativ, wenn ich ein Stück höre, dann beschreibe ich die Bildwelten, die sich bei mir auftun. Das mache ich gerne ein bisschen verquer, ich bin ja kein klassischer Songwriter, das ist eher eine strukturelle Sache.«

 

Ein Drittel der Tracks kommen ganz ohne Gesang aus. Ein Synthie-Sound übernimmt dabei oft die Melodieführung und es kommen einem unweigerlich Titelmelodien diverser Serien der späten 70er und frühen 80er Jahre (Klaus Doldingers »Ein Fall Für Zwei«-Thema!) in den Sinn. »Solche ›Themes‹ fand ich schon immer das Beste an einer Serie«, bestätigt Lucas. Kommt also nicht von ungefähr, dass Stabil Elite ihren Bandnamen dem 1970 gedrehten, visionären deutschen TV-Film »Das Millionenspiel« entnommen haben. Die auf authentisch getrimmte Mediengroteske wird immer wieder von Werbeeinspielungen des fiktiven Stabil-Elite-Konzerns unterbrochen.

 

Ganz schön viel rheinische Kulturgeschichte, die diese junge Band aufarbeitet. Was der Sache bislang noch fehlt, ist das revolutionäre Moment, das gerade eine Band wie Kraftwerk zu ihrer Zeit ausgezeichnet hat. Große Styler sind Stabil Elite schon jetzt – sollte es ihnen allerdings zukünftig gelingen, aus ihrem Stilbewusstsein heraus auch die ein oder andere brandneue Idee zu formulieren, hätten sie die Chance, ein wirklich bedeutender Act aus Düsseldorf zu werden.