»Für Geld? Dann wäre es ja Arbeit!«

Die Bewegung der Glücklichen Arbeitslosen polemisiert gegen den Erwerbszwang. Mit gut gestellten Fragen, charmanten Ideen und

ein paar konzeptionellen Schwächen: drei gute Gründe für ein Gespräch. Uli Hufen traf den »Glücklichen Arbeitslosen« Guillaume Paioli, inmitten von Hunderten verschwitzter Kulturarbeiter und -konsumenten während des Großevents Theater der Welt. Paoli hatte dort einen entspannten Vortrag gehalten, Titel: »Ist Arbeitslosigkeit wirklich ein Problem?«.

StadtRevue: Guillaume Paioli, sind Sie ein glücklicher Arbeitsloser?

Guillaume Paioli: Naja, arbeitslos bin ich, glücklich – das kommt drauf an. Es ist natürlich nicht so, dass wir uns als glückliche Arbeitslose präsentieren wollen. Es ist eher so eine Provokation ...

... das Glück kommt jedenfalls nicht vom Arbeitslos-Sein?

Genau. Nicht unbedingt. Vom Gegenteil aber auch nicht. Es gibt alle Kombinationen von Glück, Unglück, Arbeit und Nicht-Arbeit. Es gibt sogar Leute, die sind glücklich mit Arbeit!

Sind die Glücklichen Arbeitslosen ein Verein? Und wie viele gibt es?

Es sind Millionen! Aber wir haben keine Mitglieder. Es ist eine Idee. Jeder kann die Sache aufnehmen und weiterleiten.

Was machen Glückliche Arbeitslose so den lieben langen Tag?

Das kommt drauf an. Das Ziel der Sache ist, was wir die Zurückeroberung der Zeit nennen. Jeder kann machen, was er will. Ich zum Beispiel ...

...halte Vorträge, gebe Interviews...

ja, schreiben, lesen...

Ist das keine Arbeit?

Kommt auf die Fragen an!

Könnte es sein, dass Sie eine rein negative Definition von Arbeit haben, die alles ausschließt, was Sie selber tun?

Für mich ist Arbeit, was man für Geld macht. Es geht um das Müssen – weil man Geld braucht, muss man arbeiten. Was ich außerhalb dieser Erwerbssphäre mache, nenne ich nicht Arbeit. Wenn ich koche, arbeite ich nicht, ich koche. Ich mach’ das gern.

Und wenn Sie Geld dafür bekommen würden?

Dann wäre es Arbeit.

Und dann würden Sie es nicht mehr gern machen?

Wenn man gezwungen ist, es zu tun, um Geld zu verdienen, dann ist es nicht so angenehm. Mit Vorträgen ist es genau das Gleiche. Es geht um das Freiwillige.

Bei der Diskussion um Arbeit geht’s ja letzlich immer um das große Ganze, die Globalisierung, den Zustand der Welt. Bei Ihnen spürt man so einen Ekel an der Welt. Das hat etwas mitleidloses.

Wie sagen die Österreicher: »Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.« Das finde ich gut. Distanz muss sein, doch das schließt auf keinen Fall Mitleid aus. Aber diese Betroffenheitspose – dieses ‘ich leide für die ganze Welt’ – also nein. Natürlich gibt es viele Arbeitslose, denen es wirklich schlecht geht. Die Frage ist nur: Warum? Es fängt damit an, dass Arbeitslosigkeit immer ein Makel ist. Es wird nie als Möglichkeit wahrgenommen, etwas anderes aus seinem Leben zu machen. Wenn das anerkannt würde, ginge es den Arbeitslosen schon besser. Wenn die Nachbarn nicht so betroffen gucken würden.

Ist Ihre Vorstellung vom Leben ohne Arbeit für eine größere Menge von Leuten realisierbar?

Es gibt keine Alternative. Es gibt tatsächlich weniger Arbeit. All diese Modelle – das ist Simulation von Arbeit. Warum kann die Gesellschaft nicht akzeptieren, dass es weniger Arbeit gibt? Warum gibt man den Leuten nicht die Möglichkeit, für eine bestimmte Zeit frei vom Arbeitszwang irgendetwas zu tun?

Die Leute sollen also etwas tun und auch Geld dafür bekommen. Wie unterscheidet sich das
von Arbeit?


Es geht um die Zumutbarkeitsregeln. Alle Parteien sagen, dass die Leute gezwungen werden müssen etwas zu tun, wenn sie schon Geld vom Staat bekommen. Ich bin der Meinung, dass die meisten Menschen wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen. Man muss sie nicht zwingen, irgendeine sinnlose Arbeit, zum Beispiel in einem Call-Center, anzunehmen.

Gerade im Moment scheint es aber auf mehr Zumutbarkeit und Zwang hinaus zu laufen, so kann man zumindest die Vorschläge der Hartz-Kommission für eine neue Arbeitsmarktpolitik deuten.

Ich hoffe sehr, dass es jetzt Arbeitslosenproteste geben wird, nachdem diese Kommission ihre schönen Vorschläge gemacht hat. Dann werden wir auch präsent sein. Wir wollen aber erstmal die konkreten Pläne abwarten, die im August vorgestellt werden. Doch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, aber auch die Ausweitung der Zumutbarkeitsregeln – das ist völlig inakzeptabel. Wir sind dagegen, dass Leute wegen eines Arbeitsplatzes von Berlin nach Bayern umziehen müssen!

In einem Ihrer Texte ist vom »umhertobenden Beschäftigungswahn der Zeitgenossen« die Rede. Was stört Sie daran?

Mich stört diese unheimliche Beschleunigung, die alles Nachdenkliche, Kontemplative ausrottet. Natürlich kann jeder machen, was er will, aber es gibt einen bestimmten Rhythmus im gesellschaftlichen Leben, den ich viel zu hektisch finde. Gestern saß ich im Zug von Berlin nach Köln. Die Hälfte der Leute telefoniert oder sitzt am Laptop. Dieser Stress. Man kann nicht einmal mehr in Ruhe Zug fahren, ohne dieses Gefühl, überall in einem Büro zu sein.

Ziemlich antimodern, maschinenstürmerisch.

Nicht unbedingt antimodern, ich habe selbst einen Computer. Aber ich würde mir nie erlauben, den im Zug zu benutzen, wo Leute vielleicht ihre Ruhe haben wollen. Ich denke nicht, dass früher alles schöner war, aber ich glaube, dass viele Dinge überflüssig werden, wenn man nur mal kurz darüber nachdenkt, was man wirklich braucht und will. Jenseits vom Konsumzwang. Hab ich nicht was besseres zu tun als fernzusehen?

Das klingt alles recht vernünftig, privat gedacht. Bloß, kann man mit dieser Haltung etwas für Leute tun, die nicht die Wahlmöglichkeiten haben, die das Berliner Bohemeleben bietet?

Wir haben keine Zukunftsvision. Es geht
um eine andere Art und Weise, die Gegenwart zu betrachten. Es ist mir wichtig zu sagen: Die Welt ist nicht so, wie sie dargestellt wird. Überall wird eine ökonomische Sicht des sozialen Lebens erzählt, die überhaupt nicht zutrifft. Es stimmt nicht, dass vier Millionen Arbeitslose nur daran leiden, dass sie keine Arbeit haben. Natürlich gibt es solche, aber es gibt auch andere. Wie will man denn eine Zukunftsperspektive entwickeln, wenn man schon von einem falschen Bild der Gegenwart ausgeht? Man muss sich freimachen von der herrschenden Ideologie. Leider denkt die Antiglobalisierungsbewegung in den gleichen Kategorien wie die Leute, die sie bekämpfen wollen. Sie haben das gleiche Weltbild.

Sie lehnen also dieses Weltbild ab, rein negativ, anarchistisch.

Ja, das ist das eine. Das andere ist der Versuch, sich Zeit und Räume anzueignen, um Neues auszuprobieren. Ich bin gegenüber der Theorie immer sehr skeptisch. Erstmal muss man experimentieren, Erfahrungen in der Praxis sammeln. Nicht nur am Schreibtisch. Es ist eine soziale Angelegenheit – wir versuchen das in unserem unmittelbaren Umfeld.

Können Sie ein paar Beispiele nennen?

Es gibt zum Beispiel in der Nähe von Berlin arbeitslose Bauern, die immer noch Gemüse anbauen und das an arbeitslose Berliner liefern. Die Preise werden gemeinsam bestimmt. Auch in der Stadt gibt es viele Leute, die arbeitslos sind und sich trotzdem intensiv beschäftigen, in der Computerszene etwa. Es passiert viel außerhalb von Markt und Arbeitssphäre. Und da ist auch die größte Quelle der Kreativität. Möglich ist das natürlich nur, wenn die Leute von irgendwoher ein bisschen Geld bekommen. Deshalb ist das alles inoffiziell. Man darf dem Arbeitsamt natürlich nicht sagen, dass man an der Linux-Entwicklung beteiligt ist und darum keine Stelle gebrauchen kann.


Info:
www.diegluecklichenarbeitslosen.de:
Wie die Glücklichen Arbeitslosen entstanden sind
und was sie sonst noch zu sagen haben, kann man hier nachlesen, u.a. ein Manifest – trotz Theoriefeindlichkeit.

Guillaume Paioli ist gebürtiger Franzose und lebt in Berlin. Von ihm erscheint im September das Buch »Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche«, Edition Tiamat, 200 Seiten, 13 €.
Weitere Titel: »Erniedrigung genießen«, Alexander Verlag, Berlin 2001, 100 S., 7,80 €; »Sklavenmarkt, Utopie und Verlust«, Lukas Verlag, Berlin 2000, 150 S., 16,80 €.