Hemdsärmeliger Alleinunterhalter: Josef Wirges, Foto: Manfred Wegener

Der Busch­kowsky von ­Ehrenfeld

Josef Wirges ist der Klassensprecher unter den Bezirksbürgermeistern

Josef Wirges raucht American Spirit. Das ist ein wenig überraschend. Man hätte eher HB erwartet, oder Reval, so etwas. Nein, nein, sagt Wirges, die hier seien gut, ohne Zusatzstoffe. »Damit huste ich gesünder«, sagt er und lacht ein langes und lautes Lachen, das tatsächlich in ein kurzes Husten mündet.

 

Den 59-Jährigen ein politisches Urgestein zu nennen, ist fast untertrieben. Die Ehrenfelder Bezirksvertretung kann man sich kaum ohne ihn vorstellen: 1975 wurde erstmals getagt, Wirges ist seit 1979 mit von der Partie, seit 1997 als Bezirksbürgermeister.

 

Mittendrin statt nur dabei

 

Immer unterwegs, immer vorne mit dabei, ob als Fürsprecher der Moschee, bei der Sorge um die Gentrifizierung des Stadtteils oder bei der jüngsten Diskussion um die Schlecker-Frauen. Eine Art Heinz Buschkowsky für Ehrenfeld.

 

Das Lokale liege ihm eben am Herzen, sagt er: »Ich bin ein Bezirksmensch. Rat wäre sicherlich möglich gewesen, aber das wollte ich nicht.« Wirges ist erster Sprecher der Kölner Bezirksbürgermeister. Er ist der Aktivposten im derzeit schwelenden Kampf für mehr Kompetenzen der Bezirke.

 

Darüber spricht er lang und breit, immer wieder kommt er darauf zurück, bringt Beispiele, schlüpft in verschiedene Rollen. Mal ist er Bezirksvertreter, der in sanftem Kölschen Idiom einen Radweg fordert, dann ist er Ratsmitglied, das mit unfreundlicher Stimme die Idee ablehnt.

 

Wirges ist es gewohnt, vor und mit Menschen zu sprechen, Menschen zu überzeugen, Menschen für sich einzunehmen. Wenn er über das Underground spricht, merkt man: Das ist nicht sein Metier, er geht da nicht hin. Trotzdem kommt es gut rüber, überzeugend. Klar sind auch Floskeln dabei. »Solidarität ist keine Einbahnstraße«, sagt er, und tatsächlich auch, dass man die Menschen dort abholen müsse, wo sie sind.

 

Sein wichtigstes Stilmittel ist der Humor: Wirges ist ein Spaßmacher, ein hemdsärmeliger Alleinunterhalter Kölscher Prägung. Wenn er ausgiebig über einen eigenen Witz lacht, schaut er sein Gegenüber mit einem lässigen Schulterzucken an und schiebt noch ein »Ja klar« hinterher. Wie ein Comedian, der seinem Publikum die Chance gibt, den Witz noch mal sacken zu lassen oder überhaupt erst zu verstehen.

 

Schon im nächsten Moment springt er vom Späßemachen wieder zur Politik. Dann wird seine Stimme eine Oktave tiefer, und er spricht über die schulpolitischen Leistungen, die man errungen habe in den vergangenen Jahrzehnten.

 

Eigentlich wollte er Pastor werden

 

Bei der SPD ist der »Sozialdemokrat in dritter Generation« seit 1970. »Ich bin gleich mit 18 eingetreten, das war für mich klar.« Auch seine Mutter ist heute im Seniorenheim immer noch aktive Sozialdemokratin, erzählt er stolz. Aufgewachsen ist Wirges in Ehrenfeld. »Ich habe in der Takustraße das Laufen gelernt. Insgesamt bin ich fünf Mal umgezogen in meinem Leben. Immer innerhalb von Ehrenfeld.«

 

Nach der Mittleren Reife macht er eine Ausbildung im nicht-technischen Verwaltungsdienst. Bei der Kirche. »Ich wollte mal evangelischer Pastor werden«, sagt er und scheint einen Moment unschlüssig, ob es nun mit einem Witzchen oder mit Ernsthaftigkeit weitergeht. »Ich habe dann aber die Beamtenlaufbahn eingeschlagen und bin Bürokrat geworden.« Mittlerweile ist er seit über dreißig Jahren Gesamtpersonalratsvorsitzender beim Deutschen Städtetag

 

»Wir hatten damals viel Kirchenrecht, das kommt mir jetzt zugute bei vielen Diskussionen.« Auch bei den Auseinandersetzungen um die Moschee in Ehrenfeld: Der Streit um den Bau an der Venloer Straße machte Wirges überregional bekannt. Der WDR produzierte gar eine Langzeitdokumentation, mit ihm im Mittelpunkt.

 

Die Briefe, die Wirges im Laufe der Jahre zur Moschee bekommen hat, hat er alle aufgehoben. »Das sind vier bis fünf Aktenordner voll«, sagt er mit einer wegwischenden Handbewegung. »Das geht von fundamentalistischen Christen bis hin zu knallharten Nazis.« Auch Morddrohungen waren dabei. Noch heute muss er sich einiges anhören. »›Da kommt das Türken­arschloch‹, das gibt’s schon«, erzählt er.

 

Engagiert im Kampf gegen rechts

 

Für sein Engagement erhielt Wirges 2009 das Bundesverdienstkreuz. Das hatte er zuvor schon mal abgelehnt, »weil zu viele Nazis das bekommen haben. Aber beim zweiten Mal sollte ich ausdrücklich auch für meinen Kampf gegen rechts ausgezeichnet werden. Das fand ich dann gut«, sagt er.

 

Dieser Kampf ist für ihn elementar, nicht erst seit den Diskussionen um die Moschee. Da wird auch gleich seine Stimme schärfer, er wettert gegen die Pro-Köln-Demonstration in Ehrenfeld am 8. Mai, und die hiesige CDU, die bei der Wahl zur Seniorenvertretung mit den Rechtsextremen paktiert hat.

 

Vor lauter Reden kommt Wirges dabei kaum zum Rauchen. Geschätzte zwanzig Minuten braucht er für eine einzige Zigarette, lässt sie immer wieder ausgehen, zündet nochmal an. Hat ihn eigentlich das Rauchverbot getroffen? »Ich führe diese Diskussion nicht mehr, ich gehe einfach raus zum Rauchen. Manchmal frage ich mich aber, ob es nicht andere Themen gibt, über die man besser streiten könnte als diese Scheißraucherei. Aber da kommt gleich jemand: ›Das kannst du nicht sagen, du bist Bürgermeister.‹?« Und dann lacht Josef Wirges noch mal lang und laut. Ja klar.