Foto: Manfred Wegener

Die letzten Abenteurer

Autoverkehr macht unsere Städte unwohnlich, gefahrvoll und hässlich.

Mit Vernunft ist dem verkehrspolitischen Irrationalismus nicht beizukommen.

 

Will nicht sparen, nicht vernünftig sein /
Kommt nur das gute Super rein ... /
Das macht Spaß, ich geb Gas 
 
Markus, »Ich will Spaß«

 

Wenn sich die Autofahrer jetzt empören, dass die Benzinpreise steigen, wirken sie wie ein Junkie, der seinen Dealer anfleht, er möge ihm den Stoff billiger geben. Auch Autofahrer sind süchtig, sie gieren nach Kraftstoff. Sie können nicht davon lassen. Schlimmer noch: Sie möchten sich nicht einmal vorstellen, wie es wäre, darauf zu verzichten.

 

Wie jede Sucht lässt sich auch diese rechtfertigen. Es stimmt ja auch: Die heutige Arbeitswelt ist dermaßen auf Mobilität ausgerichtet, dass die einen Menschen von A nach B fahren, während die anderen in der entgegengesetzten Richtung unterwegs sind. Das Versprechen, dass die moderne Kommunikationstechnik den Transport von Menschen und Material verringern würde, entpuppt sich unter der Doktrin eines nie endenden Wachstums als Lüge. Die Politiker erwägen jetzt aufgrund der Spritpreise, die Pendlerpauschale zu erhöhen. Als wäre das eine Lösung.

 

Das Auto: Genussmittel und Kultobjekt

 

Eine andere Erklärung, weshalb verkehrspolitische Überlegungen auf das Auto fixiert bleiben, tritt nicht so offenkundig zutage: Der Personenkraft­wagen ist keinesfalls bloß Transport-, sondern vor allem Genussmittel. Es geht eben nicht darum, dass eine Strecke zurückgelegt wird; es geht vielmehr darum, dies auf eine bestimmte Weise zu tun. Das Versprechen, das darin liegt, lautet: Freiheit, Individualismus, Souveränität.

 

Aufgrund dieser eigentlich wahllosen Attribute gleicht das Auto einem anderen Genussmittel: der Zigarette. Rauchen galt lange als Ausdruck von Selbstbestimmtheit. Auch das lässt sich vernünftig nicht begründen; schließlich macht Nikotin nicht souverän, sondern abhängig.

 

Aber das Image verfing jahrzehntelang im kollektiven Gedächtnis: mittels der Reklame und ihrer Versprechungen, mittels einer bildgewaltigen Popkultur, mittels Lobbyarbeit der Tabakindustrie. Mittlerweile gilt es als Makel, zu rauchen. Doch all die Aufklärungskampagnen, die an Einsicht und Vernunft appelierten, konnten diesen Imagewandel nicht herbeiführen. Er wurde allein befördert durch gesetzlichen Nichtraucherschutz und Werbeverbote.

 

Soll man also Autos verbieten? Nein, ebenso wenig wie Zigaretten. Aber ihre Nutzung müsste geregelt, das heißt, mit den Interessen aller abgeglichen werden. Dass dies den Autofahrern so unvorstellbar und anmaßend erscheint, liegt daran, dass das Auto ein Fetisch ist.

 

Pro Karre bis zum Kollaps

 

Mit Vernunft ist seiner Verehrung nicht beizukommen. »Automobil« — Magisches liegt schon in der Bezeichnung: etwas, dass sich »von selbst« bewegt. Dabei ist es mitnichten ein perpetuum mobile, im Gegenteil: Der Tiger im Tank frisst Sprit, um auf der Überholspur jagen zu können. Das Quasi-Religiöse klingt unter anderem im »Verkehrsopfer« an. Denn wenn geboten ist, Menschen und Güter schnellstmöglich zu  transportieren, dann nehmen wir es eben hin, dass einige auf der Strecke bleiben.

 

Es braucht Kraft, diesen magischen Bann zu brechen: Vorstellungskraft. Ende November 1973 wurde es surreal in Deutschland. Die Autobahnen, jenes urdeutsche Symbol für Perfektionismus und maximale Effizienz, waren leer. Nichts hätte die »Grenzen des Wachstums« — so ein zeitgenössisches Schlagwort — besser bebildern können. Endzeitszenario oder Vorbote eines New Age?

 

Vereint waren Befürworter wie Gegner, Autonarren wie Ökofreaks bloß in der Faszination, die von diesen vier »Autofreien Sonntagen«, die der Ölkrise geschuldet waren, ausging. Heute ist die Ölkrise längst ein dauerhafter Zustand. Doch auf das Auto wollen wir nicht verzichten.

 

Obwohl wir ahnen, dass der motorisierte Individualverkehr zum Kollaps führt. Nicht nur wegen verstopfter Verkehrsadern droht den Metropolen der Infarkt. Auch Luftverschmutzung und Lärm mindern unsere Lebensqualität. Wer möchte noch in diesen Innenstädten leben?

 

Automobilität und Stadtplanung

 

1959 veröffentlichte der Stadtplaner Hans Bernhard Reichow sein Buch »Die autogerechte Stadt«. Städte für den Autoverkehr zuzurichten, bedeutete, Wohnsiedlungen, Arbeitsplätze und Freizeitangebote räumlich getrennt anzulegen. Reichows Buch trug den Untertitel »Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos«. Doch dieser Weg bestand nur darin, dem Autoverkehr mehr öffentlichen Raum zuzuschlagen. In Köln sind die Nord-Süd-Fahrt, der Barbarossaplatz und der vom Verkehr umtoste Neumarkt die Folge jener stadtplanerischen Mode.

 

Dass Städte wie Köln dadurch unattraktiv geworden sind, erkannte 2007 auch der Frankfurter Stadtplaner Albert Speer, der einen »Masterplan für die linksrheinische Kölner Innenstadt« erstellen sollte. Nach einer einjährigen Bestandsaufnahme kam er zu dem Ergebnis, dass Köln für Fahrradfahrer und Fußgänger attraktiver werden müsse. Seine Auftraggeber, ein Verbund aus Unternehmern der Region, knirschten mit den Zähnen. Speer war ihnen bislang nicht als Öko-Utopist aufgefallen. Er war es auch nicht geworden; aber er war auf der Höhe eines stadtplanerischen Diskurses.

 

Doch die Hohepriester des Autokults sind einflussreich. Die Lobby des motorisierten Individualverkehrs — Autoindustrie, Mineralölkonzerne, Unternehmer — setzt die Politik unter Druck. Jedes Tempolimit, jede verkehrsberuhigte Straße wird als staatliche Willkür gegeißelt. Der ADAC gab 1974 die Parole »Freie Fahrt für freie Bürger!« aus. Heute behauptet die Kölner Industrie- und Handelskammer, Arbeitsplätze seien gefährdet, wenn der Vorrang des Autos infrage gestellt würde, wenn Fahrspuren verringert und keine neuen Parkhäuser gebaut würden. Es ist jene alte Denkungsart, deren Kategorie Quantität, nicht Qualität, ist.

 

Dabei versuchen Stadtplaner immer häufiger, den Städten die Aufenthaltsqualität zurückzugeben, die dem Autoverkehr geopfert wurde. Junge Familien hält es kaum noch in den Innenstädten. Sie ziehen an den Stadtrand oder ins Grüne, um dort zu wohnen, wo es ruhiger und weniger gefährlich ist.

 

Mythos mobile Unabhängigkeit

 

Allerdings: Ein Autobahnanschluss in der Nähe soll es schon sein. Der moderne Mensch will alle Optionen. Wie keine zweite technische Erfindung scheint das Automobil dies zu garantieren. In diesem Pathos bedingungsloser Freiheit finden dann auch der herrschende Wirtschaftsliberalismus und die subkulturellen Mythen der Selbstverwirklichung zusammen.

 

Künstlerisch wird dieser Mythos im Road Movie ausgestaltet. Der amerikanische Highway steht für Unabhängigkeit schlechthin. Road Movies, deren Helden mit Bus und Bahn fahren, sind nicht bekannt. Selbst Aussteiger, wie die Beatniks der 50er oder die Hippies der 60er Jahre, wollten Abenteuer motorisiert erleben. Der Highway ist der direkte Weg zum Horizont und dem Glück, das dahinter liegt.

 

Die populäre Musik beschwört diese Verheißung. Die Rockband AC/DC — Ähnlichkeiten mit dem Kürzel ADAC sind rein zufällig — bringt diese Engführung von säkularem Futurismus und religiöser Verheißung auf den Punkt: »Keine Stoppschilder, Geschwindigkeitsbeschränkungen / Keiner kann mich bremsen / Ich bin auf meinem Weg ins Gelobte Land.« Im Duktus entspricht dies den aktuellen Kampagnen von ADAC und IHK.

 

Auch der deutsche Straßenverkehr lässt sich unter liberalen Vorzeichen deuten. »Sich nicht stoppen lassen« — die Aggression auf den Straßen entspricht dem Konkurrenzkampf im Wirtschaftsleben. Und dem Autofahrer bieten sich im eigenen PKW Möglichkeiten, wie sonst nur demjenigen, der anonym im Internet surft.

 

Straßenverkehr als Parabel

 

Es scheint paradox: Wir versichern uns unserer Individualität, wollen diese aber nicht zu erkennen geben. Nicht umsonst haben viele Sportwagen getönte Scheiben. Doch die liberale Ideologie, wonach der Egoismus eines jeden wie in Mandevilles »Bienenfabel« letztlich allen zum Vorteil gereiche, wird im Straßenverkehr ad absurdum geführt. Viele Staus entstehen, weil Autofahrer sich eben nicht kooperativ verhalten.

 

Früher wiesen sich Fahranfänger noch durch einen Aufkleber am Heck aus, damit sich routinierten Verkehrsteilnehmer entsprechend rücksichtsvoll verhalten mögen. Doch bewirkte dies nur das Gegenteil. Die Lehre daraus lautet, dass man im Straßenverkehr keine Schwäche zeigen darf.

 

So ist der Autofahrer der Held, der sich im Kampf bewähren muss, als Kraftprotz oder listenreich. Er ist der moderne, der technisch hochgerüstete Abenteurer, der sich den Raum erschließt. Es ist jener Topos, den die Autowerbung mit der klassischen Zigarettenwerbung gemein hat.

 

Im Typus des Autofahrers verschmilzt die Apotheose der Freiheit und die der technischen Perfektion: eine Mensch-Maschine, deren letztes Abenteuer es ist, sich im Agnesviertel noch einen freien Parkplatz zu erkämpfen. Oder eben gegen ein übermächtiges Imperium zurückzuschlagen, das ihm den Sprit nicht billiger geben will.