Und hinter der Spalte die Ewigkeit: Mars Volta

Transzendenz in Dauerschleife

Diese Punks haben es weit gebracht:

Mars Volta sind die Progressive-Rocker unserer Epoche

Troisdorf, Krefeld, Dormagen, Gütersloh – wer in diesen Tagen eine Band der großen Ären des Blues, Psychedelic oder Progrock erleben will, muss in die Diaspora, ganz tief in die Provinz nach Deutsch-Sibirien. Yes, Uriah Heep, Nazareth, oder irgendeine Deep-Purple-Mutation treiben dort ihr Unwesen. Auf den Weg macht sich freilich keiner: Gäbe es in Köln ein nennenswertes Publikum für diese Dinosaurier mit schlechter Rentenperspektive (deshalb der Zwang zur Tour), würden sie ja hier spielen.

 

Schnitt. Ein schöner, klarer Frühlingsabend vor sieben Jahren, die Live Music Hall ist ausverkauft, das Publikum ist jung, viele Punks, Skater, Kids, die sonst lupenreinen Hardcore hören. Sie alle sind voller Elan, Enthusiasmus, man tobt, rast, aber alles ganz friedlich und entspannt, eine angenehm verschwitzte Atmosphäre. Seid ihr bereit zum Abtauchen in warmen Matsch?

 

Mehr Eklektizismus geht nicht, mehr Progrock auch nicht

 

Auf der Bühne steht eine Combo und spielt und spielt und spielt, ohne Ansatz, ohne Pause, unfassbar lange Instrumentalpassagen, die sich Carlos Santana und Igor Strawinsky in nächtlichen Dauertelefonaten hätten ausgedacht haben können. Dazu Eunuchengesang wie von einem komplett weggetretenen Peter Gabriel oder Freddie Mercury auf 45RPM, dann wieder Punk-Metal-Knüppelei, atonal tönende Ausflüge in den Funk – mehr Eklektizismus geht nicht, mehr Progrock auch nicht. Wehende Haare, überdimensionierte Sonnenbrillen: Mars Volta. Ihnen wird allerdings der Gang nach Troisdorf erspart bleiben.

 

Es ist eine der eigentümlichsten Erfolgsstorys der jüngeren Pop-Historie: Mars Volta dürften mittlerweile mehrere Millionen von ihren sechs (je nach Zählweise sieben) Alben abgesetzt haben – in den Nuller Jahren, wohlgemerkt, in denen doch für Rockbands immer weniger ging an Albumverkäufen.

 

Mars Volta sind Maßlosigkeit

 

Es sind maßlose Konzeptalben: maßlos in ihrer Verrätselung, in der Anstrengung, bizarre, traurige, dramatische, pathetische Geschichten über Tod und Auferstehung zu erzählen, maßlos in der Energieausschüttung, maßlos im immer ausufernderen Songwriting, maßlos im Ausstellen von Virtuosität. Es müssen gigantische Produktionsbudgets sein, die sie verpulvern.

 

SIE – das sind der Sänger und Texter Cedric Bixler-Zavala und der Gitarrist und Konzeptualist Omar Alfredo Rodriguez-Lopez, sie sind Mars Volta, alle anderen Musiker sind Staffage (konsequent machen SIE einen Unterschied zwischen Mars Volta und der Mars Volta Group, die die Suiten aufführt). Und SIE werden geliebt, nicht von alten Säcken, sondern von der Jugend, von der weltweiten Hardcore-Szene. Sicher, SIE waren früher At The Drive-In, die vielleicht wichtigste Hardcore-Band der 90er Jahre, da bringen SIE eine Menge street credibility mit.

 

Aber erklärt das ihren dauerhaften Erfolg? Woher die Leidensfähigkeit ihrer Fans, die sich 80-minütige Alben anhören, die ein einziger Exzess sind? Mal überfrachtet wie ein Rollenspiel, das es mit der Realität aufnehmen will (»Frances The Mute« von 2005), mal megawuchtig-aggressiv, als wären wir gezwungen, die Hundert-Meter-Rekordläufe Usain Bolts in der Dauerschleife anzuschauen (»The Bedlam in Goliath« von 2008), mal vergrübelt-elegisch, sich gar nicht um Rock-Ansprüchen scherend (»Noctourniquet« von 2012).

 

Ein hypergrelles, irreal science-fiction-haftes Kalifornien verkörpern Bixler-Zavala und Rodriguez-Lopez (und ufern nicht schon diese Namen aus?): Surfen auf Lava, das kommende Erdbeben als inneres Erlebnis. In ihrer Verschwendungslust, ihrer Überambitioniertheit sind sie derzeit unerreicht. Hätten sie auch nur ein Gran weniger Willen und Talent, sie könnten Gegenstand einer Hollywood-Satire über größenwahnsinnige, aber irgendwie liebenswerte Rock-Spinner sein. Aber sie sind nicht liebenswert. Sie flößen Respekt ein.

 

Überflutung im Dauermodus und hemmungsloses Freaktum

 

Also, was erklärt ihren Erfolg? Braucht jede Epoche eine Art utopisch-romantisches Korrektiv, hemmungsloses Freaktum, das sich nicht an Eingeweihte, sondern an ALLE (ja, großgeschrieben) richtet? Mag sein, aber wer hätte dieses Korrektiv in den 80ern oder 90ern verkörpert? Das gab es einfach nicht. Transzendieren Mars Volta die Enge einer oft rigiden Jugendkultur, indem sie ihre Codes ins Endlos-Kosmische zerdehnen und sie so jugendlichen – und gar-nicht-mehr-so-jugendlichen – Ausbruchsphantasien Flügel verleihen? Wohl eher.

 

So unterschiedlich ihre Alben auch sind, ihre gemeinsame Grundlage besteht darin, dass die beiden Masterminds auf Überflutung im Dauermodus setzen, auf Überforderung (eben Maßlosigkeit), angetrieben durch von keinerlei Selbstzweifeln angekränkelte Künstler-Egos.

 

Sie kennen keine beschaulichen Momente, selbst wenn es ruhiger wird: Ruhe ist ihnen nur ein Moment der Dynamik. Innegehalten wird einzig, um wenig später umso ungezügelter loszustürmen. Das sorgt auf Dauer – und sie gehen immer auf die lange Distanz – für eine gewisse Eintönigkeit. Als Hörer taumelt man ab einem bestimmten Zeitpunkt bloß noch durch diesen Sound, was aber auf ihren Konzerten ein durchaus wünschenswerter Zustand ist.

 

Vielleicht ist das Problem jener Bands, die zu diesen Strafexpeditionen in die deutsche Provinz antreten müssen, dass sie bei all dem Ernst, mit dem sie ihren wohl schon damals aus der Welt gefallenen Rock betrieben, den Wahnsinn nie wirklich zuließen: Hinter all dem Prog-Gewichse verbirgt sich einfach simpel runtergespielter Rock mit abgeschmackt alteuropäischer Attitüde. Mars Volta wird man das nie vorwerfen können.