Verloren für die SPD: Cornelie Wittsack-Junge | Foto: Manfred Wegener

Die Conny aus Chorweiler

Die Grüne Cornelie Wittsack-Junge regiert in Kölns einziger Jamaika-Koalition

An einem verregneten Vormittag wie diesem kann es am Pariser Platz in Chorweiler ein wenig trostlos wirken. Die Menschen stehen vor dem Kiosk am U-Bahn-Ausgang, die Hochhäuser verhindern zu viel Lichteinfall, der Gasthof »Bier und Brezel« hat noch nicht geöffnet. Der große Versammlungssaal im zwei Türen weiter gelegenen Bezirksrathaus ist leer. 

 

In Cornelie Wittsack-Junges Büro im dritten Stock ist die Stimmung anders: Die 56-Jährige ist energiegeladen und lacht viel. Die Bilder vom Problem-Veedel, von »Asi-Town«, von dem sozialen Brennpunkt in Köln, vom Synonym für sozialen Abstieg sind nicht ihre. »Klar gibt es hier auch Probleme, aber ich möchte den Kölner Norden anders ins Bewusstsein bringen.«

 

Zur Begrüßung verteilt sie jede Menge Materialien: über den Kulturpfad Chorweiler, über die Klezmer-Tage, über die Filmschule Chorweiler. »Bei vielen Kölner Politikern bin ich als Conny Chorweiler bekannt. Das ist fast schon mein Markenzeichen.«

 

Blickt man aus dem Fenster, schaut man auf die »Neue Stadt«, jenes grandios gescheiterte Bauprojekt aus den 70er Jahren. Die größte Plattenbausiedlung in Nordrhein-Westfalen. Klar, die meisten der Häuser sind in einem katastrophalen Zustand, sagt Wittsack-Junge, fast alle stehen unter Zwangsverwaltung. Und klar, viele Menschen hier sind von Transferleistungen abhängig.

 

Nicht nur Brennpunkt

 

Aber die Siedlung ist nur ein Ausschnitt jenes Stadtbezirks, dessen Chefin Wittsack-Junge ist. An der Wand hängt ein Bild, das in einem Schnappschuss die ganze Bandbreite Chorweilers erahnen lässt. Weidende Kühe sind da zu sehen, im Hintergrund die Skyline der »Neuen Stadt«.

 

»Chorweiler ist einerseits städtisch, andererseits richtig ländlich. Das ist ganz entscheidend«, sagt sie. Zahlen machen dies deutlich: Im Stadtteil Chorweiler leben 76 Prozent Migranten, in Esch oder Worringen knapp zwanzig Prozent. Und während Chorweiler dicht besiedelt ist, wohnen in Fühlingen durchschnittlich weniger als 500 Menschen auf einem Quadratkilometer.

 

Kein einfacher Job sei das, sagt Wittsack-Junge, so viele unterschiedliche Menschen zueinander zu bringen. »Natürlich gibt es eine Hemmschwelle und Fremdheitsgefühle zwischen den Stadtvierteln und den Rheindörfern. Da muss man Situationen schaffen, wo die Leute sich mal kennenlernen.« In Chorweiler nennen sie das »Schnüffelparty« - das klingt netter als »Bürgerempfang der Bezirksvertretung«. Bei der Vermittlung kommt ihr auch ihr Beruf zugute. Sie ist Lehrerin an der Tages- und Abendschule Köln. »Das ist beides eine Form der Mediation«, sagt sie — und haut einen echten Pädadogen-Witz raus: »Aber ich verteile natürlich als Bürgermeisterin keine Strafaufgaben.«

 

Selbst zur Schule gegangen und aufgewachsen ist Wittsack-Junge in Nippes. Die erste Hälfte ihres Lebens verbrachte sie dort und in Riehl, seit Mitte der 80er Jahre wohnt sie in Pesch. »Der Kölner Norden ist meine Heimat«, sagt sie. Die Karriere verlief für eine Grünen-Politikerin typisch. Sie und ihr Mann, der für die Grünen im Rat der Stadt sitzt, kamen über eine Kindergarten- und eine Lärm­schutzinitiative in die Politik.

 

»Es muss ja auch mal Alternativen geben zu Rot-Grün«

 

»Meine erste politische Aktivität datiert allerdings von 1972. Da lief ich mit dem »Willy wählen!«-Button rum. Ich war sehr politisiert: Ost-West-Verträge, Demos gegen Langstreckenraketen, so etwas.« Parteimitglied wurde sie erst mehr als zwanzig Jahre später, mit Ende 30. Be­­zirksbürgermeisterin ist sie seit 2009 — in einer in Köln einzigartigen Jamaika-Koalition. Sehr zum Ärger der SPD. Wittsack-Junge bereut den Schritt nicht: »Die Zu­­­sam­menarbeit mit CDU und FDP ist erfolgreich. Es muss ja auch mal Alternativen geben zu Rot-Grün.«

 

Die Koalition erfordert weite Wege. Nicht nur im übertragenen Sinne. Man muss viele Kilometer machen als Bezirksbürgermeisterin in Kölns zweitgrößtem Flächenbezirk. Von Chorweiler nach Worringen und zurück, dann noch zur Arbeit nach Mülheim und Müngersdorf, dann nach Hause nach Pesch. Da kommt was zusammen.

 

Zumal die Verkehrsmittel ein Problem sind. »Mein Kollege Andreas Hupke in der Innenstadt hüpft mal kurz in eine der Bahnen, die pausenlos kommen. Das kann ich nicht.« Innerhalb des Stadtbezirks ist man mit Bussen unterwegs, die bloß bis 21 Uhr fahren und sonntags gar nicht. Es gibt eine S-Bahn, aber die kommt häufig zu spät oder fällt aus.

 

Die Verkehrsprobleme sind Sache der Stadt und der KVB, aber was die Kommunikationsprobleme zwischen den vielen Sprachgruppen angeht, geht Wittsack-Junge mit gu­­tem Beispiel voran: Sie lernt Türkisch, aber es geht bloß schleppend voran. »Ich bin abends meistens zu kaputt, um noch zu lernen«, sagt sie. Zum Abschluss gibt sie aber doch noch eine Mini-Kostprobe: Nas?ls?­n?z?« — Wie geht es Ihnen? — und »Görü?ürüz!« — Wir sehen uns! Immerhin.