Chefsache

Marc Günther im Schauspiel und Peter F. Raddatz in der Geschäftsführung bilden zwei Drittel des neuen Intendantenteams der Kölner Bühnen, die nun Schauspiel Köln und Oper Köln heißen. Das letzte Drittel, ein Opernintendant, wurde bei Redaktionsschluss noch immer gesucht. Alexander Haas und Gesa Pölert sprachen mit Marc Günther, zuletzt Schauspieldirektor in Graz, über seine Pläne für Sprechtheater und Tanz nach zehn Jahren Günter Krämer und Torsten Fischer.

StadtRevue: Herr Günther, welche Maßnahmen haben Sie getroffen, um das Kölner Schauspiel von seiner unteren Spielklasse wieder, wie Sie sagten, in die »Bundesliga« zu befördern?

Günther: Im Hinblick auf die künstlerische Einschätzung meiner Vorgänger, liegt es mir fern, zu sagen, sie hätten das Haus in die Regionalliga gebracht. Es hat hier Probleme gegeben, aber die möchte ich nicht beurteilen. Günter Krämer ist ein a-class-Regisseur, der das Haus mit wesentlichen Akzentsetzungen geführt hat. Ich glaube, die Hauptaufgabe wird darin bestehen, das Publikum wieder zu gewinnen. Die Fama des Hauses ist ja im Moment ein bisschen fürchterlich, was ich allerdings gar nicht so sehe. Ich erlebe viele Produktionen an anderen Theatern: Köln arbeitete zuletzt nicht so abgrundtief viel schlechter als andere Häuser.

Trotzdem soll sich ja etwas ändern.

Wir werden von sieben auf zehn Premieren pro Spielzeit im Schauspielhaus erhöhen. Zudem haben wir die Anzahl der fest angestellten Schauspieler erhöht auf jetzt 33, wobei der Anteil des Frauenensembles vergrößert wurde. Dann versuchen wir über Diversifikation des Spielplans – seitens der Erzählweisen und seitens der Thematik – verschiedene Publikumsschichten anzusprechen. Das klassische »Bildungsbürgertum« ist ja schon rein quantitativ nicht mehr so stark, damit kriegt man kein Theater mehr voll. Das Publikum fährt heute mehr auf den Neuheitsreiz ab. Wenn wir insgesamt Glück haben, wird sich ein Mainstream ergeben, so dass man »da hin geht«.

Lässt dieser Mainstream Raum für eine spezifische künstlerische Position?

Die 90er Jahre wurden stark von Frank Castorf und seinen Schülern bestimmt: Heranziehen der Stücke an einen Themenkomplex über die Einfügung anderer Texte, Respektlosigkeit vor Klassikern zu Gunsten des ganz eigenen Atems eines Abends – in einem Wort: Dekonstruktivismus. Ich glaube, das ist vorbei. Es war sehr wichtig, das tun zu können. Aber ich glaube, dass Theater Entwicklungen durchläuft, in seiner Ästhetik und in seiner Denke. Und wohin es momentan läuft, ist die »Rückkehr« zum Narrativen, das aber nicht naiv erzählend sein darf, sondern mit allen Erfahrungen arbeitet, die gemacht worden sind. Ich finde zum Beispiel »Kabale und Liebe« in Michael Thalheimers Hamburger Inszenierung in diesem Sinne eine hervorragende Arbeit.

Ihre Chefdramaturgin Heike Frank sagte, eine Linie im neuen Spielplan des Schauspiels sei das Interesse an Regiepersönlichkeiten. Warum ist Thalheimer nicht darunter?

Es gibt mit ihm einen Gastregievertrag für 2003/04. Aber wir haben Ola Mafaalani, eine Regisseurin, von der ich ungeheuer viel halte. Sie ist eine Migrantin durch die Welt: in Damaskus geboren, in Kassel aufgewachsen, hat dann im Ruhrgebiet gelebt und seit 15 Jahren ihren Lebensmittelpunkt in Holland. Sie ist stark durch die holländische Schule beeinflusst, von Leuten wie Johan Simons und Luk Perceval. Bei uns wird sie »Othello« inszenieren.

Langfristig würden Sie an den Kölner Bühnen gerne wieder eine feste Tanzcompagnie installieren. So lange es noch nicht so weit ist, haben Sie für die kommende Spielzeit der Schweizer »Alias Compagnie« unter Guilherme Botelho eine Eigenproduktion des Schauspiel Köln übertragen. Warum gerade Alias?

Wenn man in Köln das Zeichen »Tanz« wieder setzten will, dann möchte ich ihn auch auf die große Bühne bringen. Alias arbeitet genau in die Richtung, wie ich mir das für Köln vorstelle: auf ganz hohem Niveau erzählendes Ballett zu machen. Klassische Stücke mit ausgestopften Höschen und Tutu ertrage ich persönlich überhaupt nicht mehr, trotzdem ist auch Handlungsballett ein wichtiger Teil der Tanzgeschichte. Und die Gegenbewegung zu dieser Form, etwa William Forsythe, dessen Arbeit ich über alles schätze, hat ihre Heimat in Frankfurt und kommt Gott sei Dank im Juni 2003 hierher als Gastspiel. Was wir selber produzieren, soll etwas ganz anders sein: wieder eine Art von Handlungsballett zu denken – mit der ganzen Erfahrung, wie im Schauspiel, die inzwischen erarbeitet worden ist.

In der Halle Kalk wird es unter dem Titel »H.E.I.S.S.« eine Reihe des zeitgenössischen Tanzes geben, koproduziert mit dem freien Organisationsteam »tanz performance köln«. Was steckt dahinter?

Es war ganz hochwertig, was die uns angeboten haben: Bekannte Tänzer erarbeiten mit bekannten Choreografen Soli, im Sinne von Wunsch- oder Traumstücken. Wir werden teils Produktionen zeigen, die es schon gibt – etwa von und mit Jan Fabre und Erna Omarsdottir -, aber es wird auch eine Uraufführung geben.

Geld für Tanz ist rar an den Kölner Bühnen – wo haben Sie es zusammengekratzt?

Eigentlich war geplant, zehn klassische Schauspielproduktionen zu machen. Wir haben jetzt das Geld für eine dieser Produktionen in eine Tanzproduktion gegeben. Die kostet uns rund 250.000 Euro, eine Summe, die wir nicht alleine tragen könnten, wenn uns nicht dankenswerterweise die Kunstsalon-Stiftung und die Tanzsociety des Kunstsalons unterstützen würden. Die Gastspiele vom Nederlands Dans Theater und Ballett Frankfurt gehen auf den Opern-Gastspieletat.

Ihr Gesamtetat ist in der ersten Spielzeit mit 48,5 Millionen Euro etwas höher als zuletzt bei den Vorgängern...

...aufgrund der mit dem Intendantenwechsel verbundenen Kosten. Die Erhöhung reicht aber im Grunde nicht aus, deshalb eröffnen wir im Schauspiel auch erst am 31. Oktober.

Mit »Othello«. Sollen mit dem Klassiker auch heutige Probleme beleuchtet werden?

»Othello« ist das Stück der Stunde im Hinblick auf eine thematische Schiene unseres Spielplans: Öffentliches vs. Privates, Fremdes vs. Eigenes. Dass wir Europäer das Fremde bestimmt haben, wird auch in Koltès\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\' »Rückkehr in die Wüste« beschrieben, das wir ebenfalls zeigen. Auch »Antilopen« von Henning Mankell hat genau damit zu tun, und auch Websters »Herzogin von Malfi«, beides Stücke unseres Spielplans.

Das Webster-Stück wird Günter Krämer inszenieren, der ebenso wie Torsten Fischer weiterhin hier arbeiten wird. Sind die Kompetenzen zwischen altem und neuem Team endlich geregelt?

Wir sind dabei – mit Günter Krämer ist es bereits unter Dach und Fach, mit Torsten Fischer gibt es Verhandlungen – die Dinge zu regeln. Mehr kann ich dazu nicht sagen, bevor die Abmachungen nicht unterschrieben sind. Es wird zwischen Fischer und mir einen klaren modus vivendi geben.

Sie haben angekündigt, das Haus Diskussionen, auch städtischen, zu öffnen. Wie wird das aussehen?

Ich nenne mal unsere »Kölner, die die Welt bedeuten« als eine von drei Veranstaltungsreihen in dieser Richtung. Das ist eher eine boulevardeske Reihe: Der Hausherr lädt ein, immer am Anfang eines Monats und zu einer späten Stunde. Da sollen Menschen in Gesprächen über Köln zusammen kommen.

Biolek im Theater? Genau so verträglich?

Ich würde das vielleicht etwas unverträglicher machen. Aber es soll auch unterhaltsam sein. Wenn Sie unbedingt wollen, ist das Biolek im Theater. Aber ich werde versuchen, dabei nicht zu kochen (lacht).

Schade! – Aber noch mal zum Tanz: Haben Sie im Blick auf das langfristige Ziel einer residenten Kölner Tanzcompagnie bereits konkrete Vorstellungen?

Mein größter Wunsch: Zwischen eineinhalb und drei Millionen Euro extra pro Jahr. Ich glaube davon könnte man eine sehr gute Compagnie zusammen bringen, die hier resident ist, aber Theater der umliegenden Region mit bespielt und von denen auch bezuschusst wird – sodass die Unterhaltskosten für Köln geringer würden.

In Bonn hat der designierte Intendant Weise allerdings gerade Altstar Johann Kresnik verpflichtet. Was bedeutet das für Ihr Modell?

Das ist für diese Idee natürlich ein schwerer Rückschlag. Man hätte reden müssen über so eine Entscheidung. Für unsere Konzeption bleibt so im Moment nur Aachen übrig, und das ist ein bisschen mager.


Spielzeiteröffnungspremieren:

Oper Köln: »Der Rosenkavalier« von Richard Strauss, R: Günter Krämer, 5.10.;

Schaupiel Köln: »Othello« von William Shakespeare, R: Ola Mafaalani, 31.10.;

Tanz: »H.E.I.S.S.«, zeitgenössischer Solo-Tanz in Koproduktion mit tanz performance Köln, 25.11.-14.12., Halle Kalk