Fotos: Manfred Wegener

Mehr Brüsseler Plätze!

Köln wirbt als lebendige, weltoffene Stadt. Wenn dies nicht nur Phrasen des Tourismus-Marketings sein sollen, muss sich die Stadtgesellschaft endlich

darüber verständigen, was dies tatsächlich bedeutet

Seit Jahren kommen an warmen Sommerabenden mehrere Hundert Menschen am Brüsseler Platz zusammen. Das zeigt zunächst einmal, wie lebendig diese Stadt auch jenseits der großen kommerziellen Events sein kann. Doch wenn sich die Anwohner vom Lärm belästigt fühlen, entsteht ein Interessenkonflikt. Zu glauben, dass dieser sich mit Verordnungen und Gesetzen aus der Welt schaffen ließe, ist ein grundlegendes Missverständnis. Derzeit besteht keine juristische Handhabe, Menschen zu verbieten, die sich auf dem öffent­lichen Platz aufzuhalten. Und das sollte auch so bleiben, die Konsequenzen während sonst weitreichend, sie widersprächen einer toleranten, weltoffenen Stadt.

 

Balance der Lebensentwürfe auf engstem Raum

 

Immer schon ist die Stadt der Ort unterschiedlicher Bedürfnisse und Lebensentwürfe gewesen. Sie lassen sich nicht vereinheitlichen, sie können nur ausbalanciert ­werden. Der Moderationsprozess, der seit 2009 am Brüsseler Platz läuft, zeigt eben das: Es muss darum gehen, Kompromisse auszuhandeln, nicht Maximalforderungen durchzusetzen.

 

Das Recht auf Nachtruhe absolut zu setzen, hätte zudem Folgen: Müssten in letzter Konsequenz dann nicht auch zentrale Straßen für den Autoverkehr gesperrt werden? Und wollte man zukünftig die Bereiche für Wohnen und ­Freizeit wieder trennen, entstünden leblose Innenstädte; in Köln sieht man die Folgen abends auf der Hohe Straße und Schildergasse.

 

So gut man auch verstehen kann, das Anwohner genervt sind: In der Art, wie eine Hausverwaltung anordnet, um 22 Uhr die Tür abzuschließen oder zwischen 13 und 15 Uhr die Mittagsruhe zu wahren, kann man keine Großstadt gestalten. Schon gar keine wie Köln, deren eng bebaute Innenstadt mit rund 130.000 Menschen äußerst dicht besidelt ist.

 

Köln ist im Gegensatz zu den meisten anderen Kommunen eine wachsende Stadt, eben wegen ihres Flairs. Zudem studieren hier rund 70.000 Menschen. Viel zu lange hat die Stadtplanung die damit einhergehenden Anforderungen igno­riert. Und so ist der Brüsseler Platz einer der wenigen attraktiven öffentlichen Räume im Zentrum. Wer die Menschen von dort vertreiben will, verschiebt nur das Problem.

 

Die einzige Möglichkeit, den Brüsseler Platz vom massiven Ansturm zu entlasten, ist es, Alternativen in der Innenstadt zu bieten. Doch die anderen Plätze, viele davon einst architektonische Schmuckstücke, haben kaum noch gestalterische Qualität. Sie sind — wie Barbarossaplatz, Neumarkt, Ebertplatz, Friesenplatz — den Ansprüchen des Autoverkehrs, der Gewerbetreibenden und einer reibungslosen Führung der Konsumen­tenströme geopfert worden. Das, was man im Jargon der Stadtplaner Aufenthaltsqualität nennt, ist hier längst nicht mehr gegeben. Wer wollte abends am Rudolfplatz sitzen?

 

Köln leidet unter schlechter Planung

 

Zudem werden Potenziale kaum genutzt: Es ist absurd, wie wenig der Rhein und seine Ufer die Phantasie der Politik zu beflügeln scheinen; man denke nur an die Tristesse zwischen Hauptbahnhof und der Bastei am Ebertplatz. Eine Chance gegen dieses Elend bietet der »Städtebauliche Masterplan für die linksrheinische Innenstadt«, den der Frankfurter Stadt­planer Albert Speer 2008 entwickelt hat. Speers Büro hat erkannt, wie sehr die Lebensqualität in Köln unter den Folgen schlechter Planung leidet. Seine Vorschläge zur Umgestaltung des Neumarkts und des Ebert­platzes wären erste Schritte.

 

Aber noch mehr ist nötig. Es ist geboten, sich grundlegend über die Vorstellungen städtischen Lebens zu verständigen. Wenn die CDU jetzt ein Symposion zur Problematik am Brüsseler Platz fordert, ist das einerseits also eben deshalb sinnvoll. Andererseits jedoch ist der Vorstoß zu diesem Zeitpunkt ein Affront gegen das Moderationsverfahren. Denn am Brüsseler Platz wird seit drei Jahren versucht, die Interessen aufeinander abzustimmen: Ab 22 Uhr spricht derzeit der Ordnungsdienst die Platznutzer an, Rücksicht auf die Anwohner zu nehmen, ab Mitternacht werden diese angehalten, woanders weiter zu feiern. Momentan werden sie weitere Maßnahmen erprobt, aber die CDU will nicht mehr warten.

 

Es ist verwunderlich: Köln soll im Städtemarketing hartnäckig als Event-Stadt profiliert werden. Lärm, Müll und organisatorischer Aufwand werden dafür in Kauf genommen, weil es sich wirtschaftlich zu rentieren scheint. Aber wenn Menschen jenseits eines kommerziellen Rahmens zusammenkommen und öffentlichen Raum nutzen, werden sie plötzlich zum Problem. Dieser Widerspruch ist es, worüber auf einem Symposion als erstes zu reden wäre.