Logik des Eigensinns

Wie Howe Gelb seine Karriere als Rockstar verhindert hat

Die besten Ideen sind die einfachen, aber man kommt schwer auf sie. Deshalb sollte man mit den genial einfachen Einfällen sparsam umgehen. Heißt es. Man macht es also am besten nicht wie Howe Gelb: ganz viele Geistesblitze ausschütteln und sie wild kombinieren, bis zur Unkenntlichkeit. Und sich dann darin verlieren.

 

2002 veröffentlichte der Bluesgitarrist, Sänger und Wüstenforscher mit seiner Stammband Giant Sand »Cover Magazine«, ein opakes, verrätseltes Album, das ausschließlich aus Cover-Versionen bekannter Country-, Blues-, Rock- und, äh, TripHop-Songs besteht. Keine Frage, dass sich alle Songs wie Kompositionen von Gelb anhören, es ihm also – mal wieder! – weniger um Geschichtsrekonstruktion und Kanonbildung geht, sondern um radikale Anverwandlung – Auflösung von Geschichte im halböffentlichen Kosmos Gelbs.

 

Autodestruktiver Cover-Mash-Up

 

Das zeigt sich am brutalsten – brutal deshalb, weil Gelb immer autodestruktiv arbeitet – an der Kombination zweier Hits: Marty Robbins »El Paso« und Neil Youngs »Out On The Weekend«, die Country-Schnulze und der melancholische Rock-Klassiker – zusammengezwungen zu einem Stück.

 

Denkste! Gelb hatte entdeckt, dass beide Songs die gleichen Harmonien aufweisen und man organisch vom einen in den anderen switchen kann. Und arbeiten sie textlich nicht auf grandios dialektische Weise gegeneinander zusammen? In »El Paso« die kitschige Story von Liebe, Eifersucht und Tod, in »Out on the Weekend« stattdessen nicht die Sehnsucht der Liebe, sondern die Sehnsucht nach ihr; hier Mord und Totschlag in der Provinz, dort die Träumerei von Landflucht. »El Paso« und »Out On The Weekend« – da hätten wir einen dieser Geistesblitze mit Anspruch auf Eintrag in die Rock-Lexika.

 

Und was tut Gelb? Zerschmirgelt seinen Mash-up mit reingrätschenden Gitarren, klapprigem Klavier und ostentativ unaufwändiger Aufnahmetechnik, am Ende ist alles in Verzerrung und Feedbacks, in Krach und Gejaule ersoffen. Kein Hit mehr, und von der schönen Idee bleibt nur noch die Erinnerung.

 

No Country for Gelb Man

 

Sagen wir es noch einmal: Wo Calexico seit zehn Jahren stehen – in der Wüstenhitparade ganz weit oben, irgendwo zwischen ZDF-Freizeitstrand und »No Country for Old Men« –, da hätten Howe Gelb und Giant Sand stehen müssen. Wäre ihm nicht dauernd sein Eigensinn durchgebrannt; hätten sich Calexico (Vielleicht wegen Gelbs Eigensinn? Wer weiß das schon!) nicht vor zwölf Jahren unwiderruflich von Giant Sand abgespalten. Ja, abgespalten, denn Calexicos John Convertino und Joey Burns gaben für lange Zeit die Rhythmusgruppe Howe Gelbs. Gelb ist auf Convertino nicht gut zu sprechen.

 

Aber er hat weitergemacht, seinen Wohnsitz nach Aarhus verlegt (der Liebe wegen), ohne sein Häuschen in Tucson ganz aufzugeben, hat weiter Alben mit unverschämt verlockendem kommerziellen Potential (»Sno’ Angel Like You«, »Arizona Amp and Alternator«) so arrangiert und aufgenommen, dass sie zwar nach großer Kunst klingen, aber eben nicht mehr nach Festivalmucke mit lustig Trompete blasenden Mexikanern und coolen Indie-Kids an der Gitarre. Außerdem ist man mit 56 Jahren und mehreren erwachsenen Kindern auch kein Indie-Kid mehr, ja, wissen wir, Danke, Herr Gelb, für die Ermahnung.

 

Erfinder der Country-Rock-Oper

 

Er hat weitergemacht und jetzt den ganz großen, den gigantisch großen Wurf gewagt. Mal wieder musste er irgendein Pop-Format sprengen. Aus Giant Sand wurde Giant Giant Sand – seine nunmehr dänische Stammband ergänzt um Streicher, einen Trompeter, die Pedal-Steel-Spielerin Maggie Bjorklund (aktuell mit Jack White unterwegs), zahlreichen Gastsängern (u.a. Brian Lopez), einem Kinderchor.

 

Vier Studios bemühte er und brachte dennoch alles binnen eines Jahres über die Bühne. Aus einem bloß weiteren Konzeptalbum wurde »Tucson«, eine siebzigminütige Country-Rock-Oper, laut Gelb die erste überhaupt – aber wer will eigentlich sonst in diesem Sub-Sub-Genre reüssieren?

 

Man kann freilich einwenden, dass die Idee einer »Oper« vor allem eine clevere Idee ist, heterogenes Song-Material und überbordende Spiellust (19 Songs!) in ein Konzept zu bringen, das diese Heterogenität legitimiert. Denn offen gesagt (aber es wird auch niemand überrascht sein): »Tucson« ist ganz gewiss keine Oper etwa im Sinne von »Tommy« (das muss der Maßstab sein!), die meisten Songs stehen für sich, drei bis vier könnten sich als echte Hits erweisen, mal wieder…

 

Keinerlei besondere Formanstrengung herrscht vor, die innere Einheit einer Oper fehlt und die Story – mehr angedeutet, als ausgeführt, ein Roadmovie samt Lovestory und anderen Hochrisikoprojekten, mit Tucson als hassgeliebtem Fixpunkt – und die Story ist recht besehen auch keine. Aber Gelb meint es ernst, hat seinem Opus magnum eine Art Libretto beigelegt, beharrt stolz auf den Zusammenhang der Stücke.

 

Eigenartig und merkwürdig

 

Tatsächlich ist »Tucson« von einer eigenartigen Strenge. Gelb, der übrigens gar nicht aus Arizona stammt, sondern aus Pennsylvania, ist eigensinnig, aber kein Chaot. Ein Meister der Form, vollgesogen mit Wissen, Skills und Geschichten, aber halt ein Meister, der sich schnell mit sich langweilt und darum immer weiter ziehen muss, immer weiter.

 

Er ist sein eigenes Road Movie, ein Einzelgänger inmitten eines flirrenden Netzwerks, ein Post-Eklektiker, ein schüchterner Charismatiker. Also irgendwie merkwürdig. Seine Live-Shows sind bestechend.