Mit dem Stechschritt in die Subversion

Endlich als Songwriter zu entdecken: Antony & The Johnsons

Antony Hegartys Stimme ist das vielleicht eindrucksvollste Organ der letzten zehn Jahre im häufig so schnöden Popzirkus. Auf all seinen früheren Platten steht diese Stimme im Zentrum, unantastbar, unverrückbar. Sein Durchbruchsalbum »I am a Bird Now« (2005) wartet mit Momenten emotionaler Intensität auf, die sich fast schon ins Unangenehme wenden.

 

Antony singt mit einer brüchigen, manchmal zittrigen Stimme von hochpersönlichen Metamorphosen, seinem ewigen Wunsch, als Frau aufzuwachen. Er singt von Begehren, Verderben, Schuldgefühlen, ewiger Angst und nahendem Tod. Es ist eine Welt unendlicher Dramatik, die die Bands um ihn herum wie oberflächliche Halbidioten mit lachhaft unterkomplexen Texten dastehen ließ. Hegarty schmuggelte hochspezielle Gender-Themen in den Mainstream. 

 

Heute ist die Künstlerpersönlichkeit Antony Hegarty fest etabliert, die Wucht des Debüts hat er nicht mehr erreicht. Nun also »Cut The World«, die man wohl als avancierte Best-Of-Platte verstehen muss. Abseits des neuen Titelstücks sind alle Songs neuarrangierte Live-Versionen, die er in Kopenhagen mit dem Dänischen Nationalen Kammerorchester aufnahm. Sieben Jahre nach seinem Durchbruch tritt seine Stimme in den Hintergrund. Ein gutes Signal? 

 

Durch die orchestrale Wucht, den dichten Soundteppich wird diese Stimme eingemeindet. Andererseits haben diese Versionen einen überraschenden Effekt: Stärken (und Schwächen) des Songwritings treten umso deutlicher zutage. Im Rückblick war die Ehrfucht vor Antonys Stimme so groß, dass die Songs manchmal zu sehr in den Hintergrund traten.

 

Nicht jede Umsetzung funktioniert. »Kiss my Name« krankt an einem militärischen Stechschrittbeat und allzu klischeehafter Geigenumbrandung. Böse gesagt: Das hat schon Gassenhauerqualität. Aber vielleicht ist das eine neue Erkenntnis dieses Albums: Man kann Antony Hegarty endlich als Songwriter entdecken, er hat tatsächlich unsterbliche Songs geschrieben. Für einen Moment können wir seine Stimme vergessen. Es ist für die große Öffentlichkeit die Möglichkeit, einen Klassiker zu hören, der sich sonst in Sperrigkeit flüchtete. 

 

Diese Verweigerungshaltung gibt es auf »Cut The World« nur ein einziges Mal. Das zweite Stück »Future Feminism« ist ein fast achtminütiger Mitschnitt eines Bühnenmonologs, in dem Antony das Publikum überzeugen möchte, patriarchalische Strukturen hinter sich zu lassen und sich den femininen Zyklen zu unterwerfen. Da blitzen wieder diese Momente auf: Awkwardness, scheues Flirten, Obskurität, emotionale Intellektualität. Es ist eine weitere Anstrengung, radikal anderes Gedankengut in den Mainstream zu schleusen. Man muss ihm zuhören.