»Man braucht eine gehörige Portion Dummheit«

Jan Böhmermann, Enfant Terrible des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, über Stehvermögen, die Spaßwelt der ARD und Giovanni Di Lorenzos Geheimnis

Er wird als »deutscher Hörfunk- und Fernsehmoderator, Satiriker, Filmproduzent und Autor« (Wikipedia) apostrophiert, seine Homepage kündigt den Demenzdorfbürgermeister an, sein Buch »Alles, alles über Deutschland« verspricht »Halbwissen kompakt«, wer noch ein Herz für Fernsehen hat, liebt seine Talkshow mit Charlotte Roche auf ZDF-Neo.

 

Aber das vielleicht Wichtigste ist: Jan Böhmermann hat es geschafft. Er hat es geschafft mit seinem lässigen, popkulturell-verschmitzten Humor im System der Öffentlich-Rechtlichen zu bestehen. Jedenfalls ist es bis jetzt gut gegangen. Wir wollten natürlich unbedingt wissen, wie das klappen konnte.

 

StadtRevue: Es fällt leicht, die Legende zu pflegen, dass im öffentlich-rechtlichen Fernsehen keine interessanten Typen hochkommen können …

 

Jan Böhmermann: Stimmt ja auch. Der letzte interessante öffentlich-rechtliche Typ war meines Wissens Jens Riewa.

 

… und dass fast alle in den relevanten Präsentatoren-Rollen bei ARD und ZDF letztlich von den Privaten stammen. Seien es Opdenhövel, Beckmann, Pilawa oder Hoffnungsträger wie Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf. Du stellst allerdings eine Ausnahme dar, du hast den Weg durch den Apparat der Allgemeinen Rundfunkanstalten Deutschlands geschafft. Sind die Voraussetzungen dort doch nicht so schlimm, wie man denkt?

 

Doch, schon. Man braucht Hartnäckigkeit, Ehrgeiz, eine gehörige Portion Dummheit und muss die große Kunst beherrschen, das System zu akzeptieren — dann hat man mit viel Glück seine Chance. Aber letztlich ist es unglaublich anstrengend und ermüdend. Bei der ARD ist das System der Star, da geht es dementsprechend gar nicht darum, junge Leute zu fördern, sondern einzig darum, ob das System in der Lage ist, Kreatives zu leisten. Ob das funktioniert, kann ja jeder für sich selbst beantworten.

 

Aber wenn man es dann mal geschafft hat, drehen sich dann nicht die Verhältnisse um und man hat im Öffentlich-Rechtlichen größeren Spielraum, einfach weil es viel mehr Kanäle gibt als bei den Privaten?

 

Ich kann mich nicht über Spielräume beklagen, immerhin bin ich bei der ARD sehr oft irgendwo rausgeschmissen worden. Bei Eins Live zum Beispiel.

 

Was war da?

 

Die knallharte Eins-Live-Chefetage bedeutete mir vor sieben Jahren: »Jan, im Radio moderieren ist nicht so dein Ding. Tschüss!« Da hatte ich allerdings gerade mein neues WG-Zimmer in Köln bezogen, hatte in meiner Heimat Bremen alles zurückgelassen. Ein ungünstiger Zeitpunkt, um dann diese Abfuhr aus der Radiobundesliga zu bekommen. Ich bin dann zum Hessischen Rundfunk gegangen und habe die ultracoole HR3-Morgenshow »pop&weck« moderiert, 35 Sendungen lang. Dort bin ich dann übrigens auch rausgeflogen — ich war nicht hip genug. Wenn dich die ARD auf die rechte Wange schlägt, schlägt sie dich auch auf die linke. Dann hat sie meistens keinen Bock mehr und sucht sich einen anderen Dummen. Doch die salzigen Wunden sind verheilt, heute ist meine Beziehung zur ARD von unerschütterlicher Liebe und tiefem Verständnis für die Unzulänglichkeiten des anderen geprägt.

 

Als du später wieder bei Eins Live warst und der Ärger mit Podolski wegen deiner Comedy-Reihe »Lukas’ Tagebuch« hereinbrach, hat man dir da den Rücken gestärkt?

 

Da kann ich mich nicht beklagen! Ich hatte die volle Unterstützung des WDR, beinahe bis zum Schluss. Trotzdem muss ich sagen, die ARD ist für polarisierenden Schabernack nicht gemacht. In der gebührenfinanzierten ARD wünsche ich mir eher Unterhaltung im überschaubaren Rahmen. Was witziges, augenzwinkerndes mit einer bassbesoffenen Ina Müller oder einem gut eingecremten Eckart von Hirschhausen zum Beispiel. Oder eine Sendung, in der Frank Elstner auf einem Elefanten durchs Studio reitet und der auch privat grundsympathische Frank Plasberg dazu clever-kluge Fragen stellt, das wäre doch auch schön. Der schelmische Ingo Zamperoni ist mein Geheimtipp für die nächste Saison! Irgendwas freches, frisches, was aber niemandem wehtut, mit dem man junge Leute unter 58 an den Sender binden kann, dass wünsche ich mir von meiner ARD.

 

Das ZDF befindet sich gerade auf anderen Wegen, wenn es um junges TV geht. Da wird einiges ausgespielt auf den digitalen Spartenkanälen zdf.kultur, zdf.neo und zdf.info, Sendungen wie die von Sarah Kuttner, neo.paradise mit Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf oder auch die Late Night Show von Stuckrad-Barre.

 

Keine Ahnung, was bei denen da jetzt los ist. Vielleicht ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum. Beim ZDF geht ein beängstigender Ruck durch den Laden, die nehmen Geld in die Hand und investieren in junge Leute und junge Formate. Hoffentlich merken die das bald und hören wieder auf damit. Mein sympathischer Seelenverwandter und lieber Freund Benjamin von Stuckrad-Barre ist übrigens demnächst mit seiner Show auf Tele 5 zu sehen. Erbauend zu wissen, dass den ersten ZDF-Digital-kanalstars der große Sprung ins richtige Premiumfernsehen gelungen ist.

 

Stört dich nicht, dass alles auf digitale Nebenschauplätze verlagert wird —
das Hauptprogramm aber unangetastet zu bleiben scheint?

 

Mir doch egal. Als 30-Jähriger ist der Tod noch auf meiner Seite. Spätestens wenn jemand merkt, dass Thomas Gottschalk nicht 120 werden wird, wird sich was ändern.

 

Du beschränkst dich nicht auf den TV-Job, du machst Radio, Podcasts, hast ein Buch geschrieben, machst Solo-Shows in Clubs — sind die vielen Hochzeiten auch dem prekären Umstand geschuldet, dass man als Freier in den Medien einen Jobcocktail benötigt, um überhaupt über die Runden zu kommen?

 

Ach, ich komme zurecht.

 

Jetzt zum Projekt, mit dem du momentan am präsentesten bist: Die Talkshow mit Charlotte Roche. Die Sendung lebt auch von Grenzübertritten. Das geht mitunter so weit, dass Farin Urlaub sich nicht an den Tisch setzen will, weil bei euch geraucht werden darf.

 

Bei aller Bescheidenheit — wir haben an dieser Stelle den Moment in der Popgeschichte erreicht, wo nicht Die Ärzte das peppig-freche Element sind und die Sendung und ihre Moderatoren schocken, sondern umgekehrt. Die Ärzte wurden nicht wegen Rüpelhaftigkeit aus dem Studio geschmissen, Farin ist erst gar nicht reingegangen, weil ihm die Show zu rüpelhaft war. Naja, machen wir uns mal nichts vor, Farin ist so alt wie meine Mutter.

 

Wen du in der Sendung weit über den üblichen Konsens hinaus angegangen hast, war Britt Hagedorn. Dabei arbeitet die mit »Britt« auf Sat 1 doch eigentlich im selben Genre: Talkshow.

 

Ich wollte sie mal fragen, wie moralisch okay sie es eigentlich findet, mit geistig Überforderten und anderen Grenzbehinderten, die sich weder wehren noch reflektieren können, Quote zu machen. Der Moment in der Sendung kam dabei recht spontan. Daher war mein kleiner moralischer Ausbruch mehr so auf WG-Küchen-Niveau. Entschuldigung.

 

Allerdings sind es gerade diese Ausbrüche, die in medialen Gesprächsrunden immer wieder legendäre Momente zu erzeugen wissen, ob es Nikel Pallat von Ton Stein Scherben ist, der mit der Axt auf den Tisch knüppelt, ob Kinski ausflippt oder der Boxer Norbert Grupe alias »Prinz von Homburg« einfach schweigt. Warum glaubst du, dass solche Ereignisse, die — wie Viagra nehmen— außerhalb einer Talksendung gar nicht so spektakulär anmuten, innerhalb dieses Formats derart unsterblich werden können?

 

Am meisten stört es doch, wenn du dich in so einer menschlichen Interaktion »falsch« verhältst. Einfach mal schweigen, wenn man reden soll: Da kann jeder mitleiden, das ist eben schrecklich. Durch überraschende Momente in einer Talkshow kann man Gäste dahin bringen, sich so zu zeigen, wie sie wirklich sind. Da nehme ich mich nicht aus, ich bin genauso gespannt, wie ich in unkalkulierbaren Situationen reagiere. Deswegen finde ich das Format Talkshow so toll, weil es einfach ist. Man muss nur nach dem Markus-Lanz-Prinzip eine Hand voll Leute finden, die nichts miteinander zu tun haben: Karl Lagerfeld, ein Holocaust-Überlebender, Indira Weis aus dem Dschungelcamp und vielleicht noch Wolfgang Kubicki. Eine bizarre Gästekonstellation, wo man sich als Zuschauer fragt, worüber wollen diese Menschen länger als fünf Minuten reden?

 

In eurer Sendung wird versucht, dieses »gute« Gespräch immer wieder auszuhebeln, ihr seid also eher der Anti-Lanz. Wann habt ihr eine tolle Show hingelegt — doch nicht wenn alles schön dahinfloss?…

 

Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Es ist nie eine gute Sendung, wenn ich hinterher denke, »das war jetzt aber eine gute Sendung!«

 

Diese Herangehensweise, vertraute Muster der Kommunikation zu demolieren, ist ja nicht neu. Schlingensief hat mit »Talk 2000« die Schmerzgrenze ausgelotet. Was kann man seinem Prinzip über eine Dekade später noch hinzufügen?

 

Im Unterschied zu Schlingensief müssen wir unseren Gästen keine Karotten in den Arsch schieben. Wir führen sie uns lieber selber ein.

 

Allerdings fand ich es sehr obszön, dass ihr in einer Sendung über die Erzählung der Gäste via Overvoice eure eigenen Gedanken gelegt habt. Also kommentiert habt, was der gerade sagt, beziehungsweise wie langweilig er euch vorkommt. Diese Form der Zumutung hatte ich vorher noch nie gesehen!

 

Ja, das ist wirklich wahnsinnig unhöflich von uns. Für diese Nummer, den Zuschauer mitunter gegen seinen Willen vom eigentlichen Gespräch auszuschließen, wurden wir ganz schön gehasst.

 

Hast du auf diese Gimmicks in der Post-Production denn Einfluss?

 

Klar.

 

Wie ergab sich überhaupt die Kombination von dir und Charlotte Roche?

 

Charlotte und ich haben uns beim Sex kennengelernt. Beruflich vereint uns der Hass auf Studioausstatter, die alles immer mit orangenen Panels, Hauptstadtkulissenbildern und Touchscreens vollknallen. Außerdem hassen wir Zuschauerschnitte. Nichts ist schlimmer als der Moment, wenn der Regisseur verlangt, coole Leute in den ersten Reihen abzuschießen — und sich die Kameraleute natürlich dadurch revanchieren, dass sie die faltigsten Mutanten einfangen. Und über solche Ausschlusskriterien hat sich dann unsere Show ergeben. Unsere Produktionsfirma bildundtonfabrik, die aus unsagbar guten und geschmackssicheren Absolventen der Kölner Kunsthochschule für Medien besteht, ist die dritte Kraft im Bunde. Ohne einander hätten wir bei ZDFkultur wahrscheinlich nie die 0,1%-Quotenschallmauer durchbrochen.

 

Hat Charlotte ihre Erfahrungen von großen Talkshows eingebracht, sie war ja mal bei »3 nach 9«?

 

Sie hat uns alle Geheimnisse dieses sagenumwobenen Talkshowdampfers verpetzt und mir verraten, warum Giovanni di Lorenzo bei den Zuschauern so gut ankommt. Ich verrate nicht, wie es geht, aber ich kann sagen: es funktioniert! Übrigens kamen damals, als Charlotte »3 nach 9« verlassen hat, absurde Kritikpunkte auf. Dass ihr Engagement nicht aufging, weil ihre Stimme zu piepsig wäre. Das fällt in unserer Show wirklich niemandem auf. Vielleicht weil meine Stimme noch piepsiger ist.

 

Was sind die Pläne für Staffel zwei, die im Herbst ansteht?

 

Wir machen alles genau wie in der ersten Staffel, nur umgekehrt. Am Sonntag, den 2. September 2012 um 22 Uhr geht es auf ZDFkultur weiter. Als Gäste wünsche ich mir Mahmud Ahmadinedschad, Joseph Kony, Goofy, Kim Jong Un und Thomas Gottschalk. Eingeladen sind sie alle — mal sehen, wer kommt. Langfristig ist unser Ziel, unserem größten Konkurrenten Günther Jauch die biedere Schwiegersohn-Maske vom Gesicht zu reißen und zu entlarven, wer er wirklich ist: ein stinkreicher Turbokapitalist mit zu großen Ohren.