Rund um die Uhr erreichbar: Hebamme Nicole Heuger | Foto: Manfred Wegener

Schwierige Geburt

Jede vierte Hebamme ist aufgrund der Einkommenssituation aus der Geburtshilfe ausgestiegen. Auch in Köln finden immer mehr Frauen keine Hebamme...

Wie eine alte Dampflok auf Hochtouren, so rauscht und zischt es, wenn Nicole Heuger mit ihrem Hand-Ultraschallgerät auf der Suche nach kindlichen Herztönen ist. Die 33-Jährige hält ihren Kopf nah an den Bauch von Erika Pratt-Hopp. »Ganz schön quirlig ihr Baby, es dreht sich ständig weg!«, sagt die Hebamme und streicht weiter mit dem Dopton, so nennt man das tragbare Gerät, über die kleine Bauchwölbung.

 

Erika Pratt-Hopp ist in der 18. Schwangerschaftswoche und liegt auf einem Sofa. An den hellgelben Wänden hängen großformatige Fotos von Babys, Blumen stehen herum, vom Garten scheint die Morgensonne herein. Das hektische Pumpen, das blechern aus dem Mikrofon des Geräts schallt, wird lauter und regelmäßig. »Hier ist es!«, ruft Nicole Heuger und die beiden Frauen strahlen sich an wie zwei alte Verbündete. Beide lauschen eine Weile den Herztönen. »Ihrem Baby geht es ausgezeichnet«, sagt Nicole Heuger.

 

22,44 Euro für die Vorsorge-Untersuchung

 

Wenn Schwangere die Vorsorgeuntersuchungen bei Nicole Heuger wahrnehmen, was im Wechsel mit dem Gynäkologen möglich ist, geht es nicht nur um Blutdruck, Eisenwerte oder darum, ob das Baby von Größe und Gewicht in die Normtabellen passt, sondern auch um Partnerschaft, die älteren Kinder oder den letzten Urlaub. »Für mich steht die Frau im Mittelpunkt. Sie soll sich rundum sicher und selbstbewusst fühlen und ihre Schwangerschaft genießen.« Eine solch individuelle Betreuung ist zeitintensiv: »Ich schaue nicht auf die Uhr«, sagt Heuger. Mal dauere eine Vorsorge eine halbe Stunde, mal eineinhalb. Finanziell lohnt sich das Engagement nicht: Nicole Heuger bekommt für eine Vorsorge-Untersuchung gerade mal 22,44 Euro netto.

 

Seit acht Jahren ist sie freiberufliche Hebamme, mit vier Kolleginnen arbeitet sie in einer Hebammenpraxis in Sülz. Heuger betreut Schwangere von Beginn bis zur Geburt, bei der sie ausschließlich für die Gebärende da ist, bis zum Wochenbett. Als sogenannte Beleghebamme (siehe Info) ist sie täglich rund um die Uhr erreichbar. Rund vier bis fünf Mal im Monat klingelt nachts das Telefon. »Die beliebteste Zeit für Geburtswehen ist zwischen 1 und 3 Uhr«, sagt sie und lacht.

 

Dafür arbeitet sie mindestens sechzig Stunden pro Woche, kann nichts planen, trinkt keinen Alkohol. »Wenn ich doch mal ins Konzert gehe, rufe ich vorher bei den Frauen an und frage nach, ob alles okay ist«. Für die Geburt selbst, die mal vier, mal acht, mal zwanzig Stunden dauert, bekommt sie 243 Euro. Ihr durchschnittlicher Stundenlohn liegt bei rund 7,50 Euro. Dies hat eine aktuelle Studie des Gesundheitsministeriums bestätigt. Die meisten ungelernten Arbeiter haben einen höheren Satz, auch wenn deren Job nicht täglich über Leben entscheidet.

 

Kaum stemmbare Versicherungskosten

 

4.242 Euro müssen freiberufliche Hebammen wie Nicole Heuger, die auch Geburtshilfe anbieten, ab Juli für ihre Berufs-Haftpflichtversicherung zahlen, das sind gut 500 Euro mehr als bisher. Zwar geht bei Geburten heutzutage  immer weniger schief, aber wenn, dann kosten Schadensfälle Millionen. Schon seit Jahren macht die Verteuerung der Policen den freiberuflichen Hebammen zu schaffen: Seit 1992 stiegen die Versicherungskosten von 180 Euro auf 2.400 Euro. Für viele Hebammen ist der stetige Anstieg bei nahezu stagnierenden Einnahmen nicht mehr zu verkraften.

 

Nachdem der Streit zwischen den Hebammenverbänden und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) schon seit Monaten kocht, haben sich die Parteien Mitte Juli zunächst auf eine Ausgleichszahlung geeinigt, die sich ausschließlich auf die Geburtshilfe bezieht. So gibt es für Hausgeburten nun 78 Euro mehr, Geburtshäuser erhalten 220 Euro mehr pro Geburt.

 

Ungelöste Honorar-Debatte

 

Die Honorierung bleibt für alle unzufriedenstellend, am schlimmsten betroffen sind derzeit die Beleghebammen, deren Satz um 13 Euro pro Geburt angehoben wurde. Keinen Konsens gab es bei der grundsätzlichen Erhöhung der Gebühren. Der Hebammenverband will weiter eine bessere Honorierung aller Posten erkämpfen. Anfang August hat der Verband eine Schiedsstelle angerufen. Schlichterin ist die frühere Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), ein Ergebnis wird im Spätherbst erwartet.

 

»Das Angebot ist eine Frechheit. In der Öffentlichkeit feiern die Kassen es als grandiose Einigung, dabei ist es nur das Wiedererlangen des Status quo. Und der war vorher auch schon unhaltbar«, sagt Barbara Blomeier, zweite Vorsitzende des Hebammenverbandes NRW. »Wir haben keinen Euro mehr auf dem Konto und sind auf dem Stellenwert des Ehrenamts angelangt.« Blomeier kündigt weitere Proteste an, wenn das Ergebnis der Schiedsstelle nicht  zufriedenstellend ausfällt: »Wir haben Plan B in der Schublade. Wir lassen uns von den Krankenkassen, die Milliardengewinne einfahren, nicht abspeisen.« Für die Zukunft zeichnet sie ein düsteres Szenario: »Wenn alles so bleibt wie bisher, dann ist Feierabend. Dann gibt es bald keine Hebammen mehr.«

 

Jede vierte Hebamme hat schon jetzt die Geburtshilfe — das Herzstück des Berufes — aufgegeben, um die teure Haftpflichtprämie zu vermeiden. »Die Frauen hören reihenweise auf«, so Blomeier. Allein in der Hebammenzentrale in Bielefeld waren im letzten Quartal 2011 sechzig junge Mütter ohne Wochenbett-Betreuung gemeldet. Auch beim Kölner Hebammen-Netzwerk melden sich täglich zwei bis drei Frauen, die keine Hebamme finden.

 

(Alb-)Traumjob Hebamme: kein Geld, keine Anerkennung

 

Jana Langensiepen aus Nippes ist eine der Hebammen, die ihren Job gerade schweren Herzens aufgegeben hat. Insgesamt acht Jahre arbeitete sie als freiberufliche Hebamme, im Herbst beginnt sie ein Studium der Medizinpädagogik. »Letztes Jahr habe ich mit Geburten aufgehört, jetzt orientiere ich mich ganz neu. Ich bin kreuzunglücklich darüber«, sagt sie. »Wenn ich mehr verdienen würde, würde ich sofort weitermachen. Der Beruf ist immer noch meine Erfüllung.«

 

Allein, um die teure Haftpflichtprämie zu bezahlen, musste sie 18 Geburten im Jahr betreuen, rechnet Jana -Langensiepen vor. »Mehr als 45 Beleggeburten im Jahr, mit ständiger Rufbereitschaft kann man nicht annehmen, sonst macht man sich kaputt. Und Kolleginnen mit kleinen Kindern können dies überhaupt nicht leisten.« Die 34-Jährige hat durchschnittlich siebzig Wochenstunden gearbeitet, ihr jährliches  Nettogehalt lag bei weniger als 20.000 Euro. »Davon kann ich keine Rücklagen bilden, im Alter müsste ich von Hartz IV leben.«

 

Aber nicht nur der zähe Kampf ums Geld, auch der um die Anerkennung hat Langensiepen müde gemacht: »Ein Arzt sagte mal zu einer Schwangeren, die ihre Vorsorge bei mir machen wollte: Sie gehen ja auch nicht zum Hausmeister, wenn sie krank sind.« Jana -Langensiepen hofft auf die Akademisierung des Berufsstandes, die von den Verbänden gefordert wird. »Wenn Hebammen an die Unis kommen, hört vielleicht die ewige Diskussion um rosa angezogene Putzfrauen im Kreissaal auf.«