Die Baumhausbesetzer

Seit April haben Aktivisten den Hambacher Forst bei Kerpen besetzt. Sie wollen verhindern, dass der Wald dem Braunkohle-Tagebau geopfert wird. Jetzt droht die Räumung

Wer Thomas Waldmann besuchen will, muss klettern, 15 Meter hoch. Der 23-Jährige wohnt in einem Baumhaus im Hambacher Forst bei Kerpen, zwischen Aachen und Köln. Die Aussicht ist fantastisch. Der Wald besteht aus alten Hainbuchen und Stieleichen, an manchen Tagen kann der gebürtige Österreicher Rehen und Wildschweinen zuschauen. Es wäre ein paradiesisches Fleckchen, würde nicht nebenan, keine 200 Meter entfernt, ein riesiges Loch klaffen.

 

Tagebau rafft Dörfer und Wald dahin

 

Seit 1978 trägt der Energieriese RWE auf einer mittlerweile 4000 Hektar großen Fläche das Erdreich ab, um Braunkohle zu gewinnen. Der Hambacher Tagebau ist der größte in Europa. Dafür war die Umsiedlung ganzer Ortschaften und die weitgehende Rodung des Hambacher Forsts nötig, was seit den 80er Jahren immer wieder zu Protesten von Umweltverbänden, Bürgerinitiativen und der angrenzenden Gemeinden führt. Von den ursprünglichen 5500 Hektar Wald sind nur noch 1000 Hektar übrig. Der Rest gleicht einer Mondlandschaft.

 

RWE wird hier planmäßig so viel Kohle abbauen, dass nach Ende des Tagebaus nur noch ein riesiger Krater zurückbleibt. Das gigantische Loch soll dann mit Wasser gefüllt und in fünfzig bis hundert Jahren der zweitgrößte See in Deutschland nach dem Bodensee werden. Nach Einschätzung des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) würde dieser künstliche See jedoch durch den Schadstoffaustrag versauern.

 

Zwischen zehn und zwanzig Bewohner zählt das Protest-Camp im Hambacher Forst derzeit. Thomas Waldmann, den sie hier im Camp »Clumsy« nennen, ist mit einigen anderen nach einem Klima-Fest im April einfach im Wald geblieben. Sie halten seither die Bäume besetzt. Um die Abholzung des verbliebenen Waldes zu verhindern, wollen sie ausharren und notfalls mehrfach in ihren Zelten und Baumhäusern überwintern.

 

Internationale Waldbesetzer-Szene

 

Sie stehen mit ihrem Protest nicht allein. Waldbesetzungen sind ein recht neues, aber bereits international verbreitetes Phänomen, in Schottland etwa konnte auf diese Weise ein geplanter Tagebau verhindert werden. Waldmann gehört seit rund drei Jahren zur international vernetzten Waldbesetzer-Szene. Er trägt bunte Rastalocken, hat keinen festen Wohnsitz und trampt von Camp zu Camp. Wie die anderen Aktivisten steht er mit der Sonne auf und geht zu Bett, wenn sie untergeht.

 

Auf Annehmlichkeiten der Zivilisation verzichtet der Sohn eines österreichischen Politikers. Er sagt, er könne sich mittlerweile kaum noch vorstellen, in geschlossenen Räumen und erst recht nicht in einer Stadt zu wohnen. Für ihn ist es wichtig, in einer kleinen Gesellschaft zu leben, in der jeder jeden kennt und alle Verantwortung für alles übernehmen. Hier im Wald gebe es keine Hierarchien, nur gemeinsame Absprachen, sagt Waldmann. So sind im Camp etwa Alkohol und andere Drogen tabu. 

 

Leben im Protest-Camp

 

Die Waldbesetzer haben eine Warmwasser-Solardusche und eine mehrgeschossige Komposttoilette errichtet. Ein Erdkühlschrank hält die Nahrung frisch, die Waldmann und seine Mitstreiter aus den Mülltonnen von Lebensmittelgeschäften herausgefischt haben. Mais, Bohnen, Rucola oder Feldsalat werden in einem Beet angebaut, gekocht wird damit natürlich vegan. Ein keltisches Rundhaus aus Lehm, in dem Feuer gemacht werden kann, soll die Gruppe über den Winter bringen. Es gibt einen Umsonst-Laden, in dem Kleider- und Bücherspenden der Bevölkerung angeboten werden.

 

Der Kontakt mit den Menschen vor Ort ist den Waldbesetzern wichtig. Sie empfangen Besucher, führen sie durch das Camp und die sogenannte Todeszone, wie sie den abgeholzten Streifen zwischen der Mondlandschaft des Tagebaus und dem Wald nennen. Und wer möchte, kann sich von Waldmann wortgewandt die Gesetzesgrundlagen des RWE-Tagebaus und dessen Auswirkungen auf die Umwelt schildern lassen.

 

Know-how- & Skill-Sharing

 

Wie man ein Baumhaus baut, hat sich Waldmann selbst beigebracht. Ansonsten hilft man sich im Camp gegenseitig. Im Juli fand im Hambacher Forst eine »Skill-Sharing-Woche« statt, bei der etwa hundert Besucher ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in Workshops und Vorträgen miteinander teilten.

 

Das Programm liest sich wie das Vorlesungsverzeichnis einer Universität für Polit-Aktivisten: Die theoretischen Grundlagen werden in Veranstaltungen wie »Grundlagen einer freien, kooperativen und selbstbestimmten Bildung und Wissensvermittlung«, »Nachhaltiger Aktivismus« oder »Freie Menschen in freien Vereinbarungen« vermittelt. Im praktischen Teil werden Kurse wie »Wasserrohre löten« oder »Bau eines Blockade-Tripods« angeboten.

 

Dennoch sind die Bewohner keineswegs optimistisch, dass sie den Tagebau aufhalten können. Sie kennen die Gesetze. Der BUND hatte bereits vor Jahren bis hin zum Bundesverfassungsgericht gegen die 1995 erfolgte »Zulassung des 2. Rahmenbetriebsplanes für die Fortführung des Tagebaus bis 2020« geklagt und verloren.

 

Erneute Klage gegen Tagebau Hambach

 

Doch der Umweltverband hat jetzt eine neue Klage gegen den Tagebau Hambach eingereicht. Sie stützt sich darauf, dass es durch den Ausbau der erneuerbaren Energien inzwischen Alternativen zum Braunkohleabbau gibt. Bund-Anwalt Dirk Teßmer rechnet sich gute Chancen aus: »Aufgrund neuer Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Reichweite von europäischen Richtlinien zum Schutz von Natur und Umwelt sowie erweiterter Rechtsschutzmöglichkeiten von Umweltverbänden kommt der Tagebau neu auf den Prüfstand«. »Einen Bestandsschutz aufgrund uralter Genehmigungen des Braunkohleplans Hambach gibt es nicht mehr.«

 

Noch dulden RWE und Polizei die Waldbesetzung. Das aber dürfte sich ändern, wenn die Vogelschutzsaison Anfang September ausläuft. Aber wann und wo genau die RWE weiter rohden wird, teilt der Konzern auch auf Anfrage nicht mit. Die Waldbesetzer bereiten sich aber bereits auf die Räumung vor. Sie wollen sich auf ihren Baumhäusern anketten. Mit Seilen könnten dann immer noch Essenvorräte von einem Haus zum nächsten geleitet werden. So wird es in jedem Fall dauern, das Camp zu räumen und so wird das Thema in die Schlagzeilen kommen. Eben das ist Teil der PR-Strategie der Besetzer. Man wolle die Menschen endlich aufrütteln, sagt Waldmann.