Mikro-Patriotismus

Materialien zur Meinungsbildung /// Folge 128

Manche Menschen richten einen beträchtlichen Teil ihrer Aufmerksamkeit darauf, gefährliche politische Äußerungen zu erkennen. Es ist richtig, alles zu untersuchen; das Große zeigt sich oft im Kleinen. Doch wie bei jeder Leidenschaft kann einem das Maß abhanden kommen: Ist es nicht wichtiger, Menschen in Not zu helfen, als zu wissen, wie man sie korrekt bezeichnet? 

 

Ich kannte jemanden, er hieß Fucki, und der passte sehr genau auf. Mich beschämte, wie oft er mir sprachliche Unachtsamkeiten nachweisen konnte. Er erklärte, welche Wörter ich nicht mehr verwenden sollte, weil schlechte Menschen sie auch benutzten. Am Anfang erschien er mir geistreich, am Ende wirr.

 

Alles fand Fucki »fascho«

 

Aber was ist daran fascho, wenn der Kontrolleur in der Straßenbahn den Fahrausweis sehen will? Es ist lästig, vielleicht auch demütigend. Aber soll man deshalb mit hochrotem Kopf »Heil Hitler, Herr Blockwart!« schreien?  

 

Ich musste neulich an Fucki denken. Jemand hatte Oma Porz’ Deutschlandfähnchen aus dem Blumenkasten geklaut. Ich fand das gemein. Aber mir wurde heftig widersprochen. Freilich von Menschen, die ins Stadion gehen und viel größere Fahnen schwenken: die des Fußballklubs. Sie sagen, dass ihr Verein nie foulspielt und sind empört, wenn die Zeitlupe das Gegenteil zeigt.

 

Was der Verein aber ist, wo doch ständig die Spieler wechseln, ist genau so unklar und quasi-religiös wie das, worauf Patrioten stolz sind. Da dachte ich, dass der Lokalpatriotismus sträflich unterschätzt wird.

 

Er wäre doch nie ernst gemeint, heißt es

 

Dabei ähnelt er sehr seinem großer Bruder, dem Patriotismus, in der Weise, wie er Grenzen zwischen Menschen zieht. Hier wie dort beschwört man eine Abgrenzung, die auf etwas beruht, für das niemand etwas kann: für seinen Geburtsort zum Beispiel oder dessen Fußballklub.

 

Noch weniger kritisiert und geächtet wird das, was ich Mikro- oder Cliquen-Patriotismus nennen möchte. Dieser bestimmt sich über noch Nebensächlicheres, für das man nichts kann oder das bloßes Geschmacksurteil ist.

 

In all eure Kneipen mit den Sperrmüllsofas riefe ich gern hinein: »Ich unterstütze eure Kritik an der Regierung, und wenn es der Sache dient, trage ich dafür auch solche Brillen wie ihr, aber ich kann trotz aller Bemühungen keinen Gefallen an Dub-Reggae und HipHop finden, sondern höre gern Phil Collins, weil das im schönsten Sommer meiner Jugend lief, und was ihr immer Theorie nennt, das finde ich unverständlich, weil die Sätze so lang sind (und ich glaube, ehrlich gesagt, dass auch ihr das nicht so gut versteht, wie ihr vorgebt); ich mag lieber Katzen-Krimis, jetzt ist‘s raus, denn die entspannen mich, und meine vergilbten Theodor-Fontane-Taschenbücher aus Schulzeiten, die mag ich, da sind die Sätze nämlich lang, aber man versteht sie.« — Was dann?

 

Dann ist man draußen

 

Dann ist man ausgegrenzt, ein Opfer jenes Mikro- oder Cliquen-Patriotismus, der immer dort gedeiht, wo Menschen zusammenkommen, um unter sich zu bleiben. Was das mit dem großen Patriotismus zu tun hat?

 

Dazu könnte man sagen: »Ja, habt ihr überhaupt mal aufmerksam Phil-Collins-CDs gehört? Oder Katzen-Krimis gelesen? Warum sind der FC St. Pauli und Kapuzenpullis besser als das? Wie empört wäret ihr wohl, wenn ich über eure Flugzettel die Nase rümpfte, obwohl ich sie nicht gelesen, sondern nur davon gehört habe und nassforsch sagte, dass ich für so etwas echt keine Zeit habe?« 

 

Ich hätte mir gewünscht, dass Oma Porz dies hätte erwidern können. Aber Oma Porz geht nicht in solche Kneipen, sie sitzt vor dem Fernseher und ist froh, dass man ihr nicht auch noch die Geranien rausreißt. Oma Porz hat ein Fußballspiel geguckt, sie hält immer für den schwächeren Verein. Aus Prinzip. Wer aber für die Schwachen hält, dem gönne ich ein dummes Fähnchen im Blumenkasten.