Foto: Manfred Wegener

Neuland in Bayenthal: Es muss nicht immer Romantik und Anarchie sein

In Kalk, Ehrenfeld und Bayenthal sind im letzten Sommer »Urbane Gärten« entstanden. Auf Brachen werden in Kisten Kürbisse, Kräuter und Kartoffeln angepflanzt – so lange, bis die Bagger kommen und Häuser und Büros errichten. Bernd Wilberg hat sich auf dem Gelände von Neuland in Bayenthal umgesehen.

Hier begann alles mit einem Skandal. Der nordrhein-westfälische Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) hatte beschlossen, die Brachfläche an der Koblenzer Straße, wo einst die Dom-Brauerei stand, zu kaufen. Doch der Landesbetrieb schaltete den Kölner Bauunternehmer Paul Bauwens-Adenauer als Zwischenhändler ein. Der verdiente so in kurzer Zeit mehrere Millionen Euro. Zum Nachteil der Steuerzahler, sagen Kritiker.

 

Brachen besser nutzen

 

Auch Dorothea Hohengarten und Judith Levold, die beide als Journalisten arbeiten, recherchierten damals diesem Klüngel hinterher. Schließlich liegt das 16.500 Quadratmeter große Areal in der Nachbarschaft der beiden Südstädterinnen. Darüber seien sie, sagt Hohengarten, ins Nachdenken geraten: nicht nur über den kölschen Klüngel, sondern auch, wie Baugrundstücke, die oft jahrelang brachliegen, besser genutzt werden könnten.

 

Und da es auch in der Südstadt zu wenig öffentliche Grünflächen gibt, wie die beiden finden, kam Hohengarten vor rund einem Jahr schnell auf die Idee zu »Neuland«, einem »mobilen Gemeinschaftsgarten«. Der neue Grundstückseigentümer BLB sei kooperativ gewesen, sagen die beiden. Mobil bedeutet: Alles was angepflanzt wird — Kartoffeln, Tomaten, Zucchini, aber auch seltene Kräuter —, wächst in selbst gezimmerten Kisten heran: Gründe sind der kontaminierte Boden, aber auch, dass man mit Sack und Pack weiterziehen kann, wenn die Bagger einmal kommen.

 

Das könnte in drei Jahren passieren: Dem Vernehmen nach will der BLB hier ein neues Justizzentrum errichten, daneben wird es vermutlich wie immer Büros und den berüchtigten »hochwertigen Wohnungsbau« geben, den sich nur Reiche leisten können, sagt Hohengarten. Die Südstadt brauche aber mehr günstige Wohnungen und auch mehr Grün. Sie kämpft derzeit für das Grün. Aber man ist pragmatisch. »Wir werden uns sicher nicht vor die Bagger legen oder anketten«, sagt Judith Levold. »Wir wollen ja hier keine romantische Anarcho-Kiste hochziehen.«

 

Gemeinsam öffentlichen Raum gestalten

 

Entscheidungen werden basisdemokratisch getroffen. Donnerstags trifft man sich, um zu planen. Wer dann dabei ist, kann mit abstimmen. Das sei manchmal anstrengend, sagt Levold, doch bislang habe man immer einen Konsens erzielt. Nur grundlegend organisatorische Angelegeneheiten werden in einem Verein, dem neben Hohengarten und Levold noch fünf weitere Hobbygärtner angehören, intern geregelt.

 

Es geht grundsätzlich darum, über das Gärtnern etwas über die Natur, unseren Umgang mit ihr und Konzepte wie Nachhaltigkeit, Selbstversorgung und kurze Transportwege zu lernen. Aber es geht ebenso darum, dies gemeinschaftlich zu tun. »Köln hat zwar so viele Vereine und Gruppen, denen man sich anschließen kann«, sagt Hohengarten. »Das Besondere an Neuland aber ist, dass man hier gemeinsam öffentlichen Raum gestalten kann, wo geht das sonst?«

 

Es gibt keine privaten Beete, jeder sorgt für alle Pflanzen. Und wer mag, nimmt mit, was er braucht. Aber es gehe den Neuland-Gärtnern gar nicht so sehr um ein Kilo Gemüse für zu Hause, sagt Hohengarten. »Es geht darum, Wissen auszutauschen, und um Anerkennung in der Gemeinschaft.« Man sei erstaunt, was andere für Fähigkeiten hätten: beim Bauen, beim Gärtnern. Unterschiedlichste Menschen begegneten sich hier. »Das erlebt man so im Schrebergarten nicht«, sagt Hohengarten. Auch Levold findet, hier sei man »konstruktiv im Wortsinn: bauen, anpflanzen, ernten«.

 

Vorbild Prinzessinnengärten Berlin

 

Vorbild des Projekts sind, wie oft bei Urban-Gardening-Projekten, die Berliner Prinzessinnengärten. Allerdings: In Kreuzberg am Moritzplatz sind es 6000 Quadratmeter, ein Areal nicht mal halb so groß wie die in Bayenthal. Die gesamte Fläche zum Blühen zu bringen, das werde wohl hier so schnell nicht gelingen, glauben die beiden. Aber man hat viel vor: So ist geplant, Senioren eines benachbarten Altenheims mit Kindern zusammen zu bringen, auch Migranten will man noch stärker ansprechen. Da gibt es noch Nachholbedarf, sagt Hohengarten. 

 

Die Sehnsüchte der Gärtner sind vielfältig. Das wurde bei einer Diskussionsveranstaltung auf Neuland im Juni deutlich. Die Frage lautet: »Wie viel produktives Grün braucht unsere Stadt?«  Aus Berlin war Marco Clausen angereist. Der Mann mit dem Dreitagebart und der Schirmmütze vertritt die Prinzessinnengärten, jenes Erfolgsmodell für urbane Landwirtschaft.

 

Doch schnell geht es bei den rund dreißig Gästen um Grundsätzliches: Da wird diskutiert über eine Gesellschaft nach dem Peak Oil, die Abschaffung der Geldwirtschaft, die Entfremdung durch Arbeitsteilung. Andere schwärmen vom »archaischen Gefühl, die Hände in die Erde zu stecken«. Clausen und Hohengarten hören sich all das geduldig an. Dann meint Clausen, es gehe aber erst einmal darum, die Tomaten richtig zu düngen oder neue Pflanzkisten zu besorgen.  

 

Hochfliegende Theorien hier, die praktische Arbeit da. Das ist dann manchmal etwas anstrengend, lässt Judith Levold durchblicken. Ebenso lässt sich über die Gestaltung eines Urbanen Gartens streiten. Ein paar Leute hätten Sperrmüllsofas anschleppen wollen, erzählt Levold. »Aber wir wollen kein Freak-Camp sein, kein Bauspielplatz für Erwachsen.« Heute sorgt unter anderem ein befreundeter Schreiner für eine einfache, zweckmäßige Ausstattung.

 

Klare Strukturen und Fördermittel

 

Tatsächlich wirkt die Brache klar strukturiert. Ein bisschen alternatives Flair gehört dazu, aber wer hier zu Besuch ist, merkt schnell, welche Gäste diskutieren wollen und wer beherzt mit anpackt, wenn es darum geht, beim Umtopfen oder Düngen zu helfen. »Wir wollen kein Auffangbecken für Nöhler sein«, sagt Levold. »Wir sagen: Willst Du was, dann mach es!« Das funktioniert hier gut. Das von der BLB mit einem Drahtzaun eingehegte Gelände ist an zwei Seiten offen. Vandalismus hat es trotzdem nie gegeben. Stattdessen blüht alles. An dem kleinen Café gibt es vegane Snacks und Getränke. 

 

Der Klimakreis Köln, gegründet von der Kölner Rheinenergie, fand all die Ideen und das Konzept, das der Verein Neuland eingereicht hat, überzeugend. Gerade sind für zweieinhalb Jahre Fördermittel in Höhe von insgesamt 100.000 Euro bewilligt worden. Jetzt kann eine volle Stelle für einen Projektkoordinator eingerichtet und auch der dringend benötigte Wasseranschluss gelegt werden.

 

Zudem wird es noch mehr Workshops geben, mit Experten für Gärtnern und Stadtentwicklung. Dazu eine Küche, um das, was hier geerntet wird, gemeinsam zuzubereiten. »Klar, jetzt sind wir ein wenig etabliert«, sagt Judith Levold. »Und wahrscheinlich kommen bald alle Politiker und Verwaltungsleute und sagen, wie toll sie das alles immer schon gefunden haben — und dass es sowas eben nur in Kölle gibt.«