Foto: © Christian Leiber — Opera National de Paris

Kino ohne Film

Opernübertragungen im Residenz und Cinenova, Fußballspiele

im Cinedom: In digitalisierten Kinos lässt sich jeder Inhalt auf

die Leinwand bringen. Fluch oder Chance?

Digitale Technik macht es möglich: Konzert-, Show- und Sportereignisse können in 2- oder 3D live auf Kinoleinwände gebeamt werden – oder auch Videospiele, bei denen die Zuschauer das Geschehen mitbestimmen. Erfolge verbuchen vor allem Theater- und Opernübertragungen. Kritiker warnen angesichts der neuen Möglichkeiten vor großen Umwälzungen in der Filmbranche: davor, dass es kleineren Filmverleihern im sowieso schon immer enger werdenden Veröffentlichungskalender schwerer fallen könnte, ihre Filme in die Kinos zu bringen und sich gegen die neue Konkurrenz durchzusetzen, dass der »alternative Content« im Kino bald zum Normalfall und Film zur Ausnahme werden könnte.

 

In Köln und näherer Umgebung waren das UCI in Hürth und der Cinedom bisher die einzigen Kinos, die Show-, Sport- oder Klassikübertragungen im Programm hatten. Jetzt wagen sich auch andere auf das Terrain, während sich der Kölner Marktführer Cinedom eher zurückhaltend gibt. Theaterleiter Friedl Kunow stellt fest, dass viele Filmverleiher mittlerweile ganz selbstverständlich Inhalte wie Oper oder andere Live-Events in ihrem Portfolio anböten, der Cinedom konzentriere sich jedoch in erster Linie auf sein Kerngeschäft Kino im »klassischen« Sinne. Bei der Fußball-WM 2008 sei man mit Begeisterung dabei gewesen, bei Konzerten entscheide die Qualität, bei Videogames gebe es kein ihm bekanntes Geschäftsmodell. »Die Digitalisierung bietet zweifelsohne neue Wege für die Kinos. Ob sie ganz neue Welten eröffnet, bezweifle ich. Die schönste, weil intimste und emotionalste Illusion in einem Kinosaal erzeugt für mich immer noch ein Film«, meint Kunow. »Wenn ein Kino sich daneben dank Digitalisierung noch eine gesunde Basis für die Präsentation von anderen Inhalten schafft, umso besser.«

 

Auch Jennifer Schlieper, verantwortlich für die Programmplanung im Cinenova, findet es positiv, jetzt andere Inhalte zeigen zu können: »Man hat viel mehr Möglichkeiten für die Zuschauer und kann mehr Menschen erreichen.« Vielleicht könne man mit dem neuen Angebot bei Operninteressierten sogar Lust aufs Kino wecken. Seit September können sich Klassikliebhaber im Cinenova Opern wie »Falstaff« und »Carmen« oder auch Ballett aus der Pariser Oper anschauen. Das Cinenova hat eine ganze Saison gebucht. »Bei unserem Zielpublikum kommt das bestimmt gut an«, vermutet -Schlieper. Opern- und Ballettaufführungen seien allerdings nur exklusive Sonderveranstaltungen, die einmal im Monat ausgestrahlt würden. Die Karten kosten 20 Euro inklusive Begrüßungsgetränk. Schlieper bekommt viele Angebote für alternative Inhalte, auch Konzerte oder Rockfestivals. Doch zunächst wolle man schauen, wie das Publikum die neuen Angebote annimmt, bevor man mehr anbiete.

 

Im Residenz hat sich Kinoleiter Andreas Lünstroth schon beim Umbau des Kinos zur edlen »Astor Film Lounge« Gedanken gemacht, welche Inhalte man den Gästen noch anbieten könne. Dazu gehören Lesungen ebenso wie Theater- oder Opernaufführungen. Ab Oktober stehen Live-Übertragungen aus dem Moskauer Bolschoi-Theater und der New Yorker Metropolitan Opera auf dem Plan. Um sie zeigen zu können, wurden eine Satellitenanlage aufs Dach gesetzt und jede Menge Kabel gezogen. Opernübertragungen passen nicht in ein Multiplex-Kino, ist Lünstroth sicher: »Der exklusive Rahmen macht uns so erfolgreich.« Die Donizetti-Oper »L‘elisir d‘amore« mit Anna Netrebko am 13. Oktober ist bereits ausverkauft, für Verdis »Otello« mit Renée Fleming gibt es noch wenige Karten. Sie sind nur im Vorverkauf erhältlich und kosten 30 Euro.

 

Lünstroth glaubt, dass das Ausstrahlen von alternativen Inhalten für Kinobetreiber als wirtschaftliches Standbein immer wichtiger werden wird. Für Herbst und Winter seien zusätzlich Matineen mit Konzert- oder Opernmitschnitten geplant. Fußballübertragungen kämen für sein Kino nicht in Frage, doch Games gegenüber sei er aufgeschlossen. Als Konkurrenz zum eigenen Filmprogramm sieht er die neuen Angebote nicht, weil sie die Ausnahme bildeten.

 

Auch Joachim Kühn, Mitinhaber des Kölner Filmverleihs Real Fiction und der Filmpalette, sieht die Entwicklung gelassen: »Wenn sich die Vorführungen anderer Programme auf Einzelveranstaltungen beschränken wie bisher, wird das kein Problem für uns als Verleiher.« Das Platzieren eigener Filme sei dadurch nicht schwieriger geworden. Das Problem sei eher, dass es für das konventionelle Filmangebot in Köln zu wenig Leinwände gebe. »Wir haben in der Filmpalette in den letzten Wochen mehrfach kurzfristig Erstaufführungen ins Programm genommen, die sonst gar nicht zu sehen gewesen wären.«

 

Doch was ist das Kinoerlebnis noch wert, wenn vom selbstgedrehten Handyvideo bis zur Lieblings-TV-Serie jeder Inhalt auf die Leinwand gebracht werden kann? Droht nicht bei der ohnehin immer unübersichtlicher werdenden Zahl von Filmneuerscheinungen, dass das ehemals Besondere eines Kinobesuchs verwässert wird? Andererseits kann Kino zum demokratischen Ort werden, wenn es dank digitaler Technik einfacher wird, einen Saal für Privatvorführungen zu mieten und zum Beispiel auch eigene Filme in großem Stil und kleinem Kreis zu sehen, wie beispielsweise im Kino in der Glashütte in Porz möglich. Außerdem können gerade Opern- und Ballettübertragungen die Möglichkeiten für besondere Kinoerlebnisse erweitern. Eins ist sicher: Das Kino wird sich verwandeln und vielleicht sogar neu erfinden.