Dorffilm war gestern

Das Afrika-Filmfestival Jenseits von Europa feiert seinen 20. Geburtstag. Ein Gespräch mit Filminitiativ-Mitglied Karl Rössel über das Kino des Kontinents

StadtRevue: Wie hat sich das afrikanische Kino seit der Gründung des Festivals vor 20 Jahren entwickelt?

 

Karl Rössel: Zur Beantwortung würde ich gerne einen Schritt weiter in die Vergangenheit zurückgehen. Das afrikanische Kino ist ja viel jünger als das der anderen Kontinente, weil es erst nach der Unabhängigkeit vieler Staaten in den 60er Jahren entstehen konnte. Ousmane Sembène hat 1962 den ersten unabhängig produzierten Film im Senegal gedreht, andere Filmemacher, insbesondere aus Westafrika, folgten. Danach gab es eine nächste Generation, die sich ab den 80er Jahren von bestimmten Formen des Kinos der Gründungsväter verabschiedet hat, von Kammerspielen und vom sogenannten »Dorffilm«. Die Entwicklung ging hin zu neuen Formen, die auch inspiriert waren vom internationalen Kino. Seit den 90er Jahren ist das Kino aus Nord- und aus Südafrika sehr präsent. Das spiegelt sich auch seit einigen Jahren in der Auswahl des Festivals wider.

 

Was sind die Gründe für diese lokalen Entwicklungen?

 

In Marokko gibt es seit dem Ende der 90er Jahre eine neue Förderpolitik. Für Fernsehwerbung muss ein bestimmter Prozentsatz an den Filmverband gezahlt werden und auch für den Start ausländischer Filme. Das Geld fließt dann in die Produktion heimischer Filme, sodass man mittlerweile schon von einer marokkanischen Nouvelle Vague spricht. In diesem Jahr haben wir gleich drei marokkanische Filmemacher eingeladen, auch der Eröffnungsfilm »Death for Sale«, der von der Kölner Firma Heimatfilm koproduziert wurde, kommt aus dem Land. Quer durch Nordafrika sind in den letzten Jahren bemerkenswerte Filme entstanden, in denen sich die aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzun­gen schon andeuteten.

 

Wie sieht es mit Südafrika aus?

 

Da gibt es deutliche Veränderungen seit dem Fall des Apartheid-Regimes 1994. Die südafrikanische Filmindustrie war zuvor komplett in weißer Hand und ein wichtiges Propagandamittel der rassistischen Regierung. In den letzten 20 Jahren haben schwarze Regisseure zunehmend die Chance bekommen, Filme zu drehen, und es werden auch Themen behandelt, die bis dahin völlig tabuisiert waren. Ein Beispiel ist der Film »Skoonheid« in unserem Programm, in dem es um Homosexualität im Buren-Milieu geht.

 

Das afrikanische Kino ist oftmals auf europäisches Geld angewiesen. Welche Folgen hat das?

 

Es gibt unter den afrikanischen Filmemachern schon lange eine Diskussion darüber, wie weit die Abhängigkeit von europäischen Fördergeldern die Inhalte und Film­ästhetik mitbestimmen. Es hat dagegen Ansätze einer Süd-Süd-Kooperation gegeben. Ousmane Sèmbene war auch da einer der ersten. Er hat einen Spielfilm im Senegal mit algerischen und indischen Koproduzenten realisiert. Es gab nach dem Fall des Apartheid-Regimes Hoffnungen, dass Südafrika Filmproduktionen in anderen Teilen des Kontinents unterstützen würde. Diese Erwartungen haben sich bislang allerdings nur in einzelnen Fällen bestätigt. Aber auch Regisseure, die mit europäischem Geld drehen, betonen, dass sie sich nicht vorschreiben lassen, was sie machen und wie sie es machen. Daher dauert es oft sehr lange bis selbst herausragende Filmemacher wie Jean-Marie Teno aus Kamerun, Newton Aduaka aus Nigeria oder Zeka Laplaine aus dem Kongo einen neuen Film finanziert bekommen.

 

Inwiefern hilft da die Digitalisierung?

 

Sie ist eine große Erleichterung. Es können deutlich mehr Filme zu deutlich geringeren Kosten gedreht werden. Die Filmemacher sind unabhängiger geworden. Auch die Postproduktion kann viel einfacher vor Ort gemacht werden.


Engagieren sich eigentlich die Chinesen in den letzten Jahren auch kulturell in Afrika oder geht es ihnen nur um die Ausbeutung der Natur­schätze?

 

Sie finanzieren durchaus auch mal eine Schule oder den Ausbau von Sportanlagen, weil das populär ist. Aber mir ist bislang kein Beispiel bekannt, bei dem sie Filmproduktionen unterstützt hätten.

 

Finanziell auf eigenen Beinen steht die nigerianische Videofilmindustrie, auch »Nollywood« genannt. Warum hält sich »Jenseits von Europa« davon fern?

 

Wir halten uns davon nicht fern, sondern reflektieren dieses Phänomen kritisch. Beim Festival 2008 haben wir mit einem nigerianischen Filmemacher darüber diskutiert, 2010 haben wir in einer Veranstaltung mit westafrikani­schen Filmschaffenden einen Dokumentarfilm über Nollywood gezeigt und in diesem Jahr ist mit Ade Bantu ein Nigerianer und Nollywood-Kritiker Schirmherr unseres Festivals. Alle Regisseure, die einen seriösen Anspruch haben, sagen, dass die nigerianische Videoindustrie die Kinolandschaft in der ganzen Region kaputt macht.


Spiegelt der Erfolg von Nollywood nicht auch wider, dass hier Themen behandelt werden, die für die Leute vor Ort wichtig sind?

 

Kommerzieller Erfolg ist nicht gleichzusetzen mit kultureller Qualität. Die Bild-Zeitung ist ja auch die erfolgreichste Zeitung in Deutschland und doch würde man sie nicht als Ausdruck hiesiger Zeitungskultur hervorheben wollen.