Bis dass der Tod euch scheidet

Kammerspiel: Liebe von Michael Haneke

 Es sind nur ein paar Minuten beim Frühstück, die Anne (Emmanuelle Riva) verloren gehen. Stumm und mit starrem Blick sitzt sie auf dem Stuhl. Die Rufe ihres Mannes Georges (Louis Trintignant) hört sie nicht. Erst als Georges aus dem Schlafzimmer zurückkehrt, wo er sich angezogen hat, um Hilfe holen zu gehen, kehrt sie wieder ins Jetzt zurück, kann sich aber an nichts erinnern. Das kleine Stück Leben, das infolge eines Schlaganfalls fehlt, ist der Anfang vom Ende.

 

Anne und Georges sind über achtzig. Die großzügige Pariser Wohnung, in der ein Konzertflügel in der Mitte des Zimmers steht, Schallplatten und staubige Bücher die Regale füllen, die Teppiche abgetreten und die Polster der Sessel zerschlissen sind, erzählt von einem langen, erfüllten Leben, das das Musikprofessorenpaar Seite an Seite verbracht hat. Als Anne im Rollstuhl aus dem Krankenhaus zurückkommt, ringt sie ihrem Mann das Versprechen ab, dass sie nie wieder dorthin zurückkehren muss. Georges beginnt, seine halbseitig gelähmte Frau zu Hause zu pflegen. Tochter Eva (Isabelle Huppert), die im Ausland ihr eigenes unglückliches Leben führt, drängt darauf, die Mutter in ein Pflegeheim zu bringen. Aber Georges weigert sich hartnäckig und schottet Anne immer mehr von der Außenwelt ab.

 

Mit »Liebe« bringt Michael Haneke (»Das weiße Band«) das Kunststück fertig, ohne Sentimentalität und dennoch voller Gefühl von der letzten gemeinsamen Etappe im Leben eines Paares zu erzählen. Mit mitleidsloser Genauigkeit zeigt er die Details, die mit Pflegebedürftigkeit einhergehen, und welche Kraft es kostet, Beistand zu leisten. Dem gegenüber steht die Darstellung aufrichtiger Liebe, die die letzten Kräfte aus dem gemeinsam gelebten Leben heraus mobilisiert. In einfachen Szenen zeigt Haneke in seinem streng komponierten Kammerspiel die Verbundenheit des alten Paares, das im Angesicht des Todes einen keineswegs reibungslosen, aber ehrlichen Umgang miteinander findet.

 

Mit Louis Trintignant und Emmanuelle Riva hat Haneke zwei Hauptdarsteller gefunden, in deren gealterten Gesichtern die Kamera nach den Spuren des Lebens forschen kann und die gleichzeitig als Ikonen des französischen Kinos die Filmgeschichte mitatmen lassen. In »Liebe« findet der Regisseur, der sich als kühler Analytiker und gnadenloser Moralist seinen eigenen Platz im Kino erarbeitet hat, den Mut zu einer Zärtlichkeit gegenüber den Figuren, die auf schlichte Weise tief berührt.