Kölner Größenordnungen

Das Netzwerk ON kämpft auch in Zukunft für die Sache der Neuen Musik

Vier Jahre lang — von 2008 bis Ende 2011 — trat »ON — Neue Musik Köln« an, um die Avantgarde des 20. Jahrhunderts im kulturellen Selbstverständnis der Stadt neu zu verankern. Zum Jahreswechsel ist die Förderung durch den Bund ausgelaufen. Trotzdem wird ON weitermachen. Manuel Schwiertz, Musikwissenschaftler und Labelmacher (»blinker — Marke für Rezentes«) koordinierte, zusammen mit Till Kniola die Arbeit von ON und ist zur Zeit kommissarischer Geschäftsführer. Im Gespräch resümiert er die ersten Jahre und gibt einen Ausblick.

 


Es gab in den vergangenen vier Jahren mehr als dreihundert Veranstaltungen. Nicht zuletzt mit der Konzertreihe »Schlüsselwerke der Neuen Musik« haben Sie frischen Wind in die Vermittlung Neuer Musik gebracht. Diese Konzertreihe ist verschiedenartig be­wertet worden. Ich persönlich finde, dass die Idee mit den Schlüs­selwerken erstmal ein schönes Instrument für Neulinge ist, um sich einen Überblick zu verschaffen. In der Reihe konnten Ensem­bles jährlich Anträge für Pro­gram­­me mit einem Werk aus der Schlüs­selwerksliste stellen. Neben etablierten wirkten zunehmend junge Ensembles mit. Zum Beispiel hat das Ensemble Garage seine ersten Konzerte im Rahmen von ON gemacht, die spielen demnächst beim Auftakt der Donau­eschinger Musiktage. Oder auch das Ensemble Handwerk. Die haben dieses Jahr in Witten im Rahmenprogramm gespielt. Da ist ein frischer Nachwuchs unterwegs, der es ernst meint. Das ist sehr erfreulich. Sowohl Entwicklungen an der Hochschule und in der freien Szene als auch ON haben hier ihren Anteil.

 


Welche anderen Projekte würden Sie als besonders geglückt nennen wollen? Ich will mal das Regionalkantorat als Beispiel nennen, also einen Vertreter der katholischen Kirchenmusik in Köln. Die haben eine sehr schöne Reihe unter Einbeziehung von Laienmusikern etabliert. Hier wurden Beteiligte und Publikum überzeugend an Elemente Neuer Musik herangeführt. Erfolgreich waren auch die Kooperationen von ON. Neben Projekten mit der Kunst-Station Sankt Peter haben wir in den vergangenen zwei Jahren sehr gut mit dem Museum Ludwig zusammengearbeitet. Da hatten wir zum Beispiel einen tollen Abend mit Marcus Schmickler und der italienischen Cembalistin Giovanna Tricarico vor einem großen Publikum.

 


Um an die reiche musikgeschichtliche Vergangenheit Kölns anzuknüpfen und diese zu bewahren, gibt es schon seit langem den Wunsch nach einem Zentrum für Neue Musik. Vergangenes Jahr veranstaltete ON zu diesem Thema eine Tagung. Auch im ­Fördervertrag mit der Bundeskulturstiftung ist der Begriff des Zentrums zu finden. Das ist dort als er­wünsch­te Bestrebung genannt. Die wurde dann auch von ON verfolgt, ganz konkret in Überlegungen zu möglichen Orten. Und ja, im Jahr 2011 gab es die Tagung »musik prospektiv« mit Fachleuten wie Johannes Goebel, Direktor vom Experimental Media and Performing Arts Center (EMPAC) und vor­her am Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM), die ihre Erfahrungen mitteilten.

 


Das Fördervolumen des Netzwerks betrug — bundesweit und über vier Jahre verteilt — 24 Millionen Euro. Die Stadt Köln fördert ON zur Zeit mit 150.000 Euro im Jahr. Die Zahlen stehen in einem eher schrägen Verhältnis zu der von dir genannten Institution: Wenn Sie vom EMPAC sprechen, einem Zen­trum für experimentelle Medien und Darstellende Künste im Staat New York, das durch eine private Spende von über vierzig Millionen Dollar ermöglicht wurde, dann stellt sich die Frage, in welcher Größenordnung man in Köln über so ein Zentrum nachdenkt. In New Yorker Größenordnungen wird momentan nicht gedacht. Vielmehr stellt sich die Frage: Braucht ein Zentrum überhaupt einen festen Ort? Man braucht ihn, wenn man Produktion und Vermittlung institutionell verankern und außergewöhnliche Konzerte und Musiktheaterproduktionen realisieren will. Die lassen auf dem Weg von Amsterdam nach Berlin Köln gezwungenermaßen aus. Als ON denken wir derzeit über ein virtuelles Zentrum nach, das — weiterhin mit einem Büro als Anlaufstelle — Konzerte und Veranstaltungen an unterschiedlichen Orten in der Stadt organisiert. Unser momentanes Ziel liegt darin, lokalen Künstlern Entfaltungsmöglichkeiten zu geben und in Austausch mit internationalen Künstlern zu bringen. Beispielsweise richten wir gerade Mikrostipendien ein, bei denen man Leuten kurze Aufenthalte in der Stadt ermöglicht, und diese einen Input mitbringen, egal ob in Form von Konzerten oder Workshops. Till Kniola und ich haben auch über ein eingebundenes nettes Café oder einen kleinen Plattenladen als Orte des Austauschs nachgedacht.

 


Wie sieht es denn mit der finanziellen Sicherung und der inhaltlichen Ausrichtung von ON in der Zukunft aus? Wir arbeiten im Moment an der weiteren finanziellen Basisförderung durch die Stadt. Und wir haben viele erfolgreiche Förderanträge gestellt und tun dies natürlich auch weiterhin. Die Vermittlung, also die pädagogische Arbeit, bleibt ein wichtiges Thema. In Zukunft wollen wir aber dem genuin künstlerischen Bereich mehr Gewicht geben. Durch die neue Reihe »Plattform für künstlerische Produktion« ermöglichen wir mit offenen Ausschreibungen verstärkt unkonventionelle Produktions- und Konzertideen. Und wir suchen ungewöhnliche Orte: Nach der Auftaktveranstaltung im Kunstverein veranstalten wir in diesem Jahr ein Konzert in den Jack-in-the-Box-Hallen in Ehrenfeld, ein weiteres soll in einer Galerie im Belgischen Viertel stattfinden. Im nächsten Jahr wollen wir gerne der Idee des Austauschs entsprechend Doppel-Konzerte mit internationalen und nationalen Künstlern machen. Man könnte fast auf die Idee kommen, dass sich in Köln etwas bewegt.