Der Westcoast-Psychedelia-HipHop-Flashback

Flying Lotus inhaliert Klangtexturen wie andere Leute gewisse Rauchwaren

Da ist ein Blubbern in der Leitung nach Los Angeles. Erst klingt es, als würde blauer Rauch durch das Wasser einer Bong perlen. Dann ist die Verbindung kurz wie tot, schließlich tiefes Ausatmen. »I‘m getting high«, verrät Steven Ellison nach kurzem Räuspern mit kratziger Stimme. Man hat den Produzenten zu Hause auf den Hügeln von Mount Washington im Norden von LA gerade bei seinem Wasserpfeifenfrühstück erwischt.

 

Fast zu klischeehaft für die Musik von Ellison alias Flying Lotus: An deren Genießbarkeit in Zuständen gesteigerter Benebelung besteht kein Zweifel, aber doch macht es sich zu einfach, wer den FlyLo-Sound schlicht als Kifferklangtapete kategorisiert. Ellison weist einen direkten Zusammenhang zwischen Drogen und Krea­tivität auch gleich zurück. Die beiden Dinge hätten höchstens über einen Umweg miteinander zu tun: über generelle Frustration und Langeweile. »Musik wirkt so therapeutisch, weil sie ein Ventil für Frustration ist«, sagt Ellison und lässt die Bong noch mal kurz blubbern. »Ich kann in der Hinsicht nicht lügen, Mann, der einzige Grund, warum ich Drogen nehme, ist, dass ich mich ständig von allem schrecklich angeödet fühle. Es mag schlimm sein, das zu sagen, aber es ist die Wahrheit. Das Zeug hat überhaupt nichts zu tun mit Kreativität. Oder mit Sexiness«, erklärt er und lacht auf.

 

Das Ennui kalifornischer Straßenrapper ist bei Flying Lotus weg von Gangsta-Posen hin zu Momenten von Hochkultur, Intellektualität und Spiritualität geflüchtet. Ellisons musikalischer Weg führte von G-Funk zu Jazz-Funk: Snoop Dogg war mit dem Album »Doggystyle« der Held seiner Jugend, jetzt nennt er Weather Report oder Reisen nach Brasilien und vor allem nach Indien als maßgebliche Einflüsse. Der 1983 geborene Ellison betont im Gespräch, wie er beim Produzieren ständig dazulerne — rhythmisches Verständnis, Sinn für Harmonien, Klavierspielfertigkeiten. Er hat in der Hinsicht einen schweren Rucksack familiären Mitgifts zu schleppen. Seine Großmutter Marilyn McLeod schrieb Songs für Diana Ross, Alice Col­trane war seine Großtante, die erste Beatbox bekam er als Teenager von seinem Cousin, dem Saxofonisten Oran Coltrane, geschenkt.

 

Vor vier Jahren sorgte sein erstes Album für das britische Label Warp für Aufsehen. Auf dem als düstere Hommage an seine Heimatstadt angelegten »Los Angeles« wurden Break Beats, Electronica und Einflüsse aus Jazz und südamerikanischer Rhythmik zu fast undurchdringlicher Dichte übereinander geblendet. Flying Lotus stand, analog zu Postrock, für einen Postrap: instrumentale HipHop-Derivate, bei denen die Botschaft tief in der Klangtextur steckt. Zeitgleich lancierte Ellison im Jahr 2008 sein Label Brainfeeder, um das sich in LA eine äußerst vitale Szene schart, die Postrap immer weiterentwickelt und für Bassmusik, Psychedelic oder auch räudigen Blues öffnet. Brainfeeder liefert mit Acts wie Jeremiah Jae, Samiyam, Tokimonsta, Gaslamp Killer oder dem inzwischen ebenfalls bei Warp unter Vertrag stehenden Gonjasufi derart zahlreichen und guten Output, dass Flying Lotus mittendrin nur mehr wie einer von vielen wirkt.

 

Was aktuell auch damit zu tun hat, dass sein eben erscheinendes viertes Album um keine radikal neue Erzählung bemüht ist, sondern stattdessen einzelne Strukturen besser ausgestalten will. »Until The Quiet Comes« ist Elektro-Blubber-Jazz der abgehangensten und traumwandlerischsten Sorte, organisiert nach Chaosprinzipien, die sich kaum völlig entschlüsseln lassen und im Ergebnis doch zu ihrem bisher wohl stimmigsten Klangeindruck zusammenfinden. Das Album funktioniert als Flash-Back, der vor dem inneren Auge die lange Tradition der Westcoast-Psychedelia vorbeiflimmern lässt und in einer imaginären Vorzeit landet, in der Hippie-Sound und Jazz ein und dasselbe waren. »Ich denke, Jazz ist in erster Linie eine Geisteshaltung«, sagt Ellison. »Es geht darum, was man selbst hineinlegt, es geht um die eigene Intention, um den gesamten Lifestyle, nicht um einen bestimmten Sound.«

 

Die Komplexität der Arrangements wird weich abgerundet und ist unbedingt kuscheltauglich. »Until The Quiet Comes« ist die FlyLo-Platte mit den wenigsten Ecken und Kanten bisher. Sie ist virtuos, detailreich, teilweise fast bis zum Geschmäcklerischen ausbalanciert, außerdem über weite Strecken ein wenig Fusion-funky, was auch dem Bassisten Stephen Bruner alias Thundercat geschuldet ist. Vor dieser Kulisse tritt, auf Anhieb kaum zu erkennen, Thom Yorke von Radiohead als R‘n‘B-Schmeichler ans Mikrofon. Und Erykah Badu singt schwer verhallt etwas von »dreams of love and light and laughter«. Das Album wird dominiert von der im Titel genannten Sehnsucht nach Ruhe, die einen Beigeschmack von etwas sehr Endgültigem hat. Es ging Ellison bei der Produktion um einen Zustand von spirituellem Frieden: »Egal ob bei wachem Geist oder in erweiterten Bewusstseinszuständen oder im Tod. Ich habe diese Phrase — until the quiet comes — immer und immer wieder in meinem Kopf wiederholt, während ich an der Platte gearbeitet habe.« Dass er bei dieser Mantra-Übung nicht in einen Zustand lethargischer Verblubberung geraten ist, beweist seine parallele Aktivität auf anderen Gebieten. Unter dem Decknamen Captain Murphy hat Ellison erstmals auch guten alten HipHop pro­duziert, sogar mit richtigen Raps.