Crime doesn’t sell

Das FWT dokumentiert in »Wegschließen?...« den Alltag im Maßregelvollzug

»Die Zahl der Sexualstraftaten ist 2012 auf dem niedrigsten Stand seit 1995. Dennoch sind mehr Täter denn je sicherungsverwahrt und präventiv auf unbestimmte Zeit weggesperrt.« Rudolf Schlager blickt als Fachanwalt für Strafrecht in die zusammengepferchten Gesichter der Zuschauer, als er mit Blümchenboxershorts und Cocktail schlürfend über aktuelle Debatten zum Thema Sicherungsverwahrung erzählt. Der Europäische Gerichtshof in Straßburg habe entschieden, dass die Praxis im deutschen Maßregelvollzug menschenrechtswidrig sei. Bis Mai 2013 müsse eine Neuregelung gefunden sein. »Mal sehen, was die Bild titelt, wenn dann alle Sicherungsverwahrten gleichzeitig entlassen werden müssen«, spottet der Anwalt kurz bevor er seine Hose wieder anzieht.

 

Mit dem Titel des Stücks »Wegschließen — und zwar für immer« zitieren Regisseur Nico Dietrich und Dramaturgin Inken Kautter den ehemaligen Bundeskanzler Schröder, der in einem Bild-Interview 2001 zum Thema Sexualstraftäter die öffentliche Stimmung anheizte. Der »kritische Kontrollgang« — wie es im Untertitel heißt — ist aber nicht nur ein Plädoyer gegen mediale Henkerpolitik, sondern auch ein Blick hinter die Kulissen eines Strafvollzugs.

 

Für die Zuschauer gilt dies im wahrsten Sinne. »Willkommen im Knast«, begrüßen zwei Aufseherinnen, wunderbar schrullig gespielt von Petra Kalkutschke und Katharina Waldau, die Besucher im Foyer. In Gruppen eingeteilt werden sie dann durch die verschiedenen forensischen Abteilungen — in Gestalt der vertrackten Flure und Büroräume des FWT — hinein in einen komplexen Justiz-apparat geführt. Mit derzeit 10.000 Sicherungsverwahrten in deutschen Kliniken und Gefängnissen kann man eine Kleinstadt füllen. Zuweilen langatmig dozierte Vorträge über Strafvollzugstatistiken wechseln mit spannend intimen Monologen — wie dem eines jungen Inhaftierten, bewegend dargestellt von Oleg Zhukow. Gefüttert mit Interviewmaterial von Juristen, Forensikern und Insassen bestechen alle vier Schauspieler durch hohe Glaubwürdigkeit. 

 

Dietrich und Kauttner tasten sich aus verschiedenen Perspektiven und mittels bewusst nüchterner Darstellungsformen an ein emotional aufgeladenes Thema heran. Das dokumentarische Theaterstück verweigert keine klare Haltung, klagt die mediale »Crime sells!«-Philosophie an und kommt zu dem Schluss, dass sich eine Gesellschaft daran messen lassen muss, wie sie mit ihren Straftätern umgeht.