Hauptdarsteller und Regisseur:

»Politik unterscheidet sich kaum von B-Movies«

Ben Affleck über seinen neuen Film »Argo«, Gemeinsamkeiten von Hollywood und Washington und die sexy-schäbigen späten 70er Jahre

»Argo« beginnt mit dem Sturm auf die US-Botschaft in Teheran im Jahr 1979. Die Bilder gleichen denen, die gerade aus Libyen, Ägypten und Tunesien zu sehen sind. Hat sich im Verhältnis der USA zu den muslimischen Staaten nichts geändert? Es ist schon unglaublich, dass der Film von Ereignissen erzählt, die vor 30 Jahren passiert sind, und wir heute immer noch mit denselben Themen beschäftigt sind. Im Iran regiert zwar nicht mehr Chomeini, sondern Ahmadinedschad, aber das Regime hat sich wenig geändert, und auch die Empfindlichkeiten zwischen den USA und dem Iran bestehen weiterhin. Im Iran haben die USA Mitte der 50er Jahre einen Umsturz gegen die demokratisch gewählte Regierung angezettelt und dann den Schah als Autokraten wieder eingesetzt. Zwischen dem Schah und Herrschern wie Mubarak oder Assad, die bis vor Kurzem von den USA toleriert wurden, besteht kein großer Unterschied. Die Leute im Iran haben, genau wie in Ägypten, an die Versprechungen von Freiheit und Selbstbestimmung geglaubt, hatten irgendwann von dem unterdrückerischen Regime die Nase voll und setzten eine Revolution in Gang. Aber bei einer Revolution kann man nie wissen, wie sie ausgeht.

 

Herr Affleck, at der Film eine politische Botschaft?


Keine Botschaft, aber er stellt, ohne in politische Predigten zu verfallen, die Frage: Sollte sich ein Land wie die USA wirklich mit ausländischen Alleinherrschern verbünden, um die eigene Hegemonialpolitik voranzutreiben? Der Nahe Osten ist seit dem Ersten Weltkrieg ein Spielball der Mächte. Die Schwierigkeiten, die heute die Region bestimmen, sind eine Konsequenz aus dieser geschichtlichen Entwicklung.

 

Nicht nur der historische Hintergrund, sondern auch ein Großteil der Story beruhen auf Tatsachen: Es gab zum Beispiel den Maskenbildner John Chambers wirklich, der sowohl für Hollywood als auch die CIA gearbeitet hat.


Er hat die Masken für »Planet der Affen« und »Star Trek« gemacht, die Ohren von Mr. Spock stammen von ihm. Wenn sie einen Maskenbildner fragen, ob er John Chambers kennt, ist das so, als würden sie einen Schauspieler nach Marlon Brando fragen. Der Mann ist eine Legende in Holly-wood. Aber er hatte in seiner Werkstatt eben auch eine Tür mit einem dicken Schloss davor und dahinter verbargen sich die Masken, die er für die CIA gemacht hat. Mit deren Hilfe wurden Leute unerkannt aus Krisenregionen geschleust. John Chambers hat den ersten Oskar in der Kategorie »Make-up« bekommen und ist von der CIA für seine Verdienste mit dem höchsten Orden ausgezeichnet worden.

 

Im Film ist Chambers das Bindeglied zwischen Hollywood und der großen Politik. Was haben Filmgeschäft und Weltpolitik gemeinsam?


Der Film zeigt, dass sich das politische Theater nicht allzu sehr von der Herstellung eines B-Movies unterscheidet. In Hollywood und in der Politik geht es ums Geschichtenerzählen. Durch das Erzählen von Geschichten können wir Macht über die Zuhörer gewinnen. Heute sind Politik und Unterhaltung, Nachrichten und Entertainment kaum noch voneinander zu trennen. Hollywood ist der beste Geschichtenerzähler und sein Einfluss auf die Politik ist groß, weil sich Politiker durch ihre Art des Geschichtenerzählens in der Öffentlichkeit zu profilieren versuchen.

 

Der Film zeigt ein recht warmherziges Bild vom Hollywood der späten 70er Jahre. Ist dieser Blick nicht ein wenig sentimental?


Ich gebe zu, ich empfinde eine ge-wisse Nostalgie gegenüber dieser analogen Version von Hollywood. Die Filmindustrie ist heute vollkommen durchdigitalisiert. Unglaubliche Geldmengen werden dort von großen Konzernen verschoben. Ich finde es romantisch, wenn man im Film sieht, dass in den späten 70ern noch kleine Produzenten mit eigenwilligen Ideen am Spieltisch saßen. Diese Ära hatte eine gewisse Schäbigkeit, die ich sehr sexy finde. Sie ist der heutigen Zeit übrigens in manchen Punkten sehr ähnlich: Die Wirtschaft, die Infrastruktur, das Bildungswesen — vieles schwächelte Ende der 70er im Zuge der Ölkrise und auch damals gab es mit Jimmy Carter einen demokratischen US-Präsidenten, dem vorgeworfen wurde, dass er nicht genügend durchgreift.

 

Trotzdem hält der Film sich von nostalgischen Ausstattungsorgien fern.


Wir wollten die Zuschauer nicht mit der Nase drauf stoßen. Das historische Setting musste überzeugend wirken, aber das Publikum sollte nicht durch das zur Schau gestellte Zeitkolorit wie Schlaghosen, Afro-Look oder Roller Girls von der Story abgelenkt werden. Die zeitliche Zuordnung erfolgt durch kleine Details wie Schnurrbärte oder diese riesigen Brillen, die so hässlich waren, dass sie heute wieder modern sind.

 

Warum haben Sie sich selbst er-neut als Hauptdarsteller besetzt?


Es hat viele Vorteile, wenn man beide Jobs macht. Als Regisseur hat man nicht nur vor der Kamera, sondern auch später im Schnitt-raum die Kontrolle über die eigene schauspielerische Performance. Die Re-cherchearbeit, die man als Filme-macher leistet, kann man mit in die Gestaltung der Rolle einfließen las-sen. Außerdem wäre ich, wenn ich mich nicht selbst besetzen würde, mit so einem Projekt als Schauspieler für zwei Jahre vom Markt. Das Filmgeschäft hat ein sehr kurzes Gedächtnis. Da muss man auf der Leinwand präsent sein, um nicht in Vergessenheit zu geraten.


Ben Affleck

wurde 1972 in Berkeley bei San Francisco geboren. Schon als Kind arbeitete er als Schauspieler in einer Kinderserie und in TV-Movies. In den 90er Jahren spielte er in US-Indie-Filmen wie »Dazed And Confused« (1993) von Richard Link-later und »Mall Rats« (1995) von Kevin Smith.
1997 wurde er einer breiten Öffentlichkeit bekannt durch den Oscar für das Drehbuch zu »Good Will Hunting« (zusammen mit seinem Jugendfreund Matt Damon). In den frühen 2000ern landete er spektakuläre Flops wie »Gigli« (2003; R: Martin Brest) und »Daredevil« (2003; R: Mark Steven Johnson). »Argo« ist Afflecks dritte Regiearbeit nach den von Kritikern gelobten Kriminalfilmen »Gone Baby Gone« (2007) und »The Town« (2010).