Gleich geht er aus sich heraus: Scott Walker

Privatier, finanziell unabhängig, sucht Dissonanz, gerne jung und unbekümmert

Avantgarde? Scott Walkers »Bish Bosch« ist eigentlich sehr zugänglich

Das ist durch und durch ein Produkt der Popkultur, ja, »Bish Bosch« ist genuine Popmusik. Scott Walker würde das wohl als Beleidigung auffassen. Oberflächlich gibt es ja nichts, was diese Musik, überhaupt sein Werk seit dem 84er-Album »Climate of the Hunter« mit seiner früheren Identität als Popstar verbindet. Das sensible Muttersöhnchen der Walker Brothers, jener legendären ersten Boyband, der geniale Chansonnier der späten 60er Jahre: Wo findet sich das in dem Spätwerk des bald 70-jährigen gebürtigen Noel Scott Engel wieder?

 

Seine gemessen am hektischen Business äußerst raren Wortmeldungen — »Bish Bosch« ist erst sein viertes Album seit 1984 —, sind zerklüftet, verrätselt, setzen auf Dissonanz und Bedeutungsdissoziation. Die Musik zersplittert, will weh tun, ist unübersichtlich, zerdehnt. »Bish Bosch«, flotte sechseinhalb Jahre nach »The Drift« veröffentlicht, setzt dem vielleicht noch die Krone auf, ein innerer Zusammenhang der Stücke erschließt sich  einzig über die Stimme Walkers. Es ist immer noch Crooning, hochdramatisch, unfassbar prätentiös, die Stimme wird noch durch Hall verstärkt — was wohl »kalt« klingen soll, aber das Gespreizte bloß betont.

 

Höllisch komplex und trotzdem zugänglich

 

»Bish Bosch«, für das Walker, sein Produzent Peter Walsh und sein musikalischer Direktor Mark Warman drei Jahre geschwitzt haben, ist kein Avantgarde-Statement, sondern vielmehr das, was ein alternder Privatier und genialer Dilettant sich unter Neuer Musik vorstellt. Aber die Neue Musik wollte Pathos abschaffen, mathematisch präzise eliminieren, die Dramaturgie etwa von Walkers Abgesang auf den erschossenen byzantinisch-stalinistischen Diktator Nicolae Ceausescu definiert sich dagegen über einfache Gesten, über »raffinierte« Andeutungen, die jeder als »raffinierte« schnell zu dechiffrieren weiß — Achtung, Kunst! Obwohl komplett atonal — es bleibt doch zugängliche Musik. Ja, es klingt alles höllisch komplex. Nur sollte man davon sich nicht blenden lassen. Es donnert (Paukenschläge! Sägende E-Gitarren!) viel zu pompös, als dass es um feinziselierte Strukturen gehen könnte.

 

Also ein Verriss? Nicht, wenn man das Album konsequent als Pop hört. Dann wird klar, wie belastbar die Form populärer Musik sein kann, welche Freiheiten sie bietet, wie unbekümmert man sich um keine Konvention scheren muss, wie viel Platz es für permanente Selbsterfindung sie geben kann. Scott Walker hält Pop nolens volens am Leben.