Im Leben der anderen

Literatur-Thriller: In ihrem Haus von François Ozon

Germain, Französischlehrer an einem x-beliebigen Gymnasium, fühlt sich in Mittelmäßigkeit gefangen. Er verzweifelt am Versuch, ignoranten Schülern Bewusstsein für Sprache und Literatur einzuhämmern. Dass die bedrückende Mittelmäßigkeit mindestens ge­­nauso sehr seine eigene ist — und die seiner Frau, einer überambitionierten Galeriebesitzerin —, macht die Sache nur noch schlimmer.

 

Das ist wohl der eigentliche Grund für den Enthusiasmus, mit dem er sich auf das eine literarische Talent stürzt, das er in seiner Klasse dann doch ausfindig macht: Der unauffällige Claude hat einen Text geschrieben über seine Versuche, sich in das Leben eines Mitschülers einzuschleichen. Germain ermutigt Claude zur weiteren Textproduktion — und fortgesetzten Infiltration einer Mittelklassefamilie, die zunächst nicht weiß, wie ihr geschieht. Denn Claude und vor allem Germain droht die Engführung von Leben und Literatur schnell über den Kopf zu wachsen.

 

Schnell wird außerdem klar, dass der natürlich auch auf Germains eigenes Leben übergreifende Thrillerplot genauso Vorwand ist wie die überdeutlich angedeuteten Klassenkonflikte (Claudes Begehren nach der Mutter seines Klassenkameraden, der prototypischen Mittelklasse-Hausfrau). Im Grunde geht es die ganze Zeit um nichts anderes als um das Geschichtenerzählen selbst. Mit »In ihrem Haus« kehrt François Ozon zur spielerischen Metafiktion von Filmen wie »Swimming Pool« oder »Unter dem Sand« zurück — und gleichzeitig, nach einigen eher behäbigen Arthaus-Konzeptfilmen, zum wagemutigen Elan seines Frühwerks.

 

Claude ist Postmodernist, ein Literat des anything goes, Germain ein Klassizist, der das Leben seiner Lieblingsliteratur nachformen will und auf jede Abweichung allergisch reagiert. Gleichzeitig aber scheint er in Claude einen jener Skandalautoren heranzüchten zu wollen, wie sie gerade die französische Literaturszene mit besonderer Regelmäßigkeit hervorbringt. Das ist die berückende Grundidee des Films: Zwei literarische Neurotiker, gleichzeitig zwei gescheiterte Existenzen, richten ihre ganz unterschiedlichen Begehren auf eine gut geölte, funktionierende Mittelklassefamilie und drohen, das Objekt ihres Begehrens zu zerstören. Die langsame Genese der paranoiden Sinnsysteme, in denen sich Claude und Germain gemeinsam verheddern, entwickelt einen überraschenden Sog und tröstet auch darüber hinweg, dass das Bild, das sich Ozon von bürgerlichem Familienleben macht, kein besonders originelles ist.

 

In ihrem Haus (Dans la maison) F 2012, R: François Ozon, D: Fabrice Luchini, Ernst Umhauer, Kristin Scott Thomas, 102 Min.