Pure Präsenz

Künstlerporträt: Marina Abramovi? — The Artist Is Present

Als »Großmutter der Performance« wird sie mehrfach in diesem Film bezeichnet. Das mag in der Kunstgeschichts-Genealogie stimmen. Doch großmütterlich kommt Marina Abramovi? wirklich nicht daher, schon deshalb, weil sich die 65-Jährige immer noch mit vollem Geist- und Körpereinsatz im Kunstparcours verausgabt.

 

Auch der für den Film von ihrer großen Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art 2010 übernommene Titel »The Artist Is Present« ist wörtlich zu nehmen. Zehn Wochen lang, vom 14. März bis zum 31. Mai, war die Künstlerin während der Öffnungszeiten in der Ausstellung selbst anwesend, fast unbewegt auf einem Stuhl »installiert«. Die Museumsbesucher waren eingeladen, sich ihr gegenüberzusetzen. Ein in jedem Sinn grenzgängerisches Experiment (»There’s nothing, just pure presence«), das ganz nüchtern beginnt und in Schmerz und spiritueller Entgrenzung endet.

 

Der Langzeit-Performance im MoMA widmet sich der zweite Teil des für das US-Fernsehen produzierten Films von Matthew Akers und Jeff Dupre, während die erste Hälfte in den Statements der Künstlerin und wohlgesonnener Freunde und Kollegen Biografie und Persönlichkeit rekapituliert: von den Wurzeln als Spross eines jugoslawischen Partisanen-Paares über die Wanderjahre mit dem Seelengenossen Ulay bis zum Bruch der Beziehung und dem Aufstieg in den Olymp der internationalen Kunstwelt. Dabei werden Positionen und ihre Wandlungen eher psychologisierend als aus dem künstlerischen Kontext erklärt, wobei ihre eigene Großmutter ins Spiel kommt. Die nämlich sei für den spirituellen Anteil ihrer Persönlichkeit verantwortlich, meint Abramovi?, die Selbstdisziplin dagegen käme von den Eltern, die die Regeln des Partisanenkrieges bis ins Kinderzimmer trugen.

 

Dass solche Erklärungen Teil künstlerischer Selbstverklärung sein dürften, ist zu ahnen, interessiert die Filmemacher aber ebenso wenig wie anderweitige schnöde Realitäten des Kunstmarkts. Überhaupt ist Kritik nicht gewollt, nicht einmal das Stellen offener Fragen. Vielleicht kommt das auch vom Sperrfeuer, das in den USA von Rechts auf Abramovi? abgegeben wird. Für Europäer aufschlussreich ist da ein Archivschnipsel, in dem sich auf Fox-News über Nacktheit bei der MoMA-Show echauffiert wird.

 

Ernüchternd ist die Tatsache, dass Produzenten selbst bei einem künstlerisch avancierten Sujet wie hier nicht darauf verzichten mögen, das Publikum mit einem nervenden Klangteppich zu bedudeln. Pervers wird das, wenn über einmontierten Videomitschnitten früher Abramovi?-Auftritte Streicher und Pianoklimpereien wabern. Wann schießt endlich jemand auf den Pianisten?

 

Marina Abramovi? — The Artist Is Present (dto) USA 2012, R: Matthew Akers, Jeff Dupre, 106 Min.