Mit Bernhard gegen den Staat

Premierenpremiere: André Turnheims neue »gruppezwei« eröffnet mit Thomas Bernhard

 

Ein oft gespielter Freie-Szene-Autor ist Thomas Bernhard nicht. Zwar konnte man in Köln in der vorletzten Spielzeit »Ritter, Dene, Voss« am Bauturm-Theater sehen, aber das war schon eine Rarität. Ansonsten gilt: Bernhard bleibt Bernhard. Und das heißt, Bernhard bleibt in unserem Kopf an seinem hassgeliebten Wiener Staatsburgtheater; oder bei Claus Peymann, dem alternden Regie-Zampano, der viele von Bernhards tragischen Grotesken in Stuttgart, Bochum, Salzburg und Wien uraufgeführt hat – und damit in den 80er Jahren den Inbegriff großen bürgerlichen Staatstheaters markierte.
Insofern sind die bissigen Anspielungen auf diese »Schule« in den aktuellen Ankündigungen der »gruppezwei« allemal zutreffend. Die (kalkulierte) Folge ist, dass man die Messlatte für die eigene Arbeit gleich ordentlich hoch hängt. André Turnheim verfolgt jedenfalls das Ziel, mit jener bürgerlichen Vorstellung von Theater mal wieder gründlich aufzuräumen.
Turnheim ist Regisseur der frei arbeitenden gruppezwei. Sie folgt als weitere Neugründung aus dem auch überregional erfolgreichen Kölner trash theater (u.a. »Shoppen&Ficken«), das er bis 2001 gemeinsam mit der Dramaturgin Rosi Ulrich geleitet hatte; Ulrich hat inzwischen das Theater51grad.com ins Leben gerufen. Außer in Köln inszenierte Turnheim in den letzten Jahren kontinuierlich am Freiburger Stadttheater. Für das nächste Jahr kann er mit einer Regie am Schauspiel Leipzig aufwarten.
»Der Geist von Bernhard ist eigentlich viel anarchischer«, glaubt Turnheim, danach gefragt, wie er denn mit Bernhard gegen Bernhard à la Peymann anspielen wolle. Diesen anarchischen Geist möchte er gern frei legen, gar eine »Erektion des Geistes« provozieren, wie er sagt. Viel Geist an einem Ort möchte man meinen. Aber Turnheim hat durchaus genauere Vorstellungen davon, wie das Stück seiner Wahl – »Am Ziel«, 1981 von Peymann uraufgeführt – im Ergebnis aussehen soll.
Die etablierte Bernhardoptik zu unterwandern, heißt für Turnheim: gegen Psychologie und Bühnenillusion inszenieren, Jung mit Alt und umgekehrt besetzen. Der Regisseur will das Stück »armselig und trashig«. Die Handlung – eine alternde, manische Mutter lädt gemeinsam mit ihrer hörigen Tochter einen erfolgreichen Jungdramatiker in ihr Haus am Meer; es wird nichts als endlos geredet – verlegt Turnheim von großbürgerlichen Zimmern in ein Wohnwagenambiente. Dort soll der Bernhardsche Text, »nicht zerstört«, aber von allen altmodischen Fesseln befreit, endlich seine wahre Sprengkraft zeigen. Oh là là!