Tocotronic

Wie wir leben wollen (Rock-o-tronic/Universal)

»Hey/ Ich bin jetzt alt/ Hey/ Bald bin ich kalt/ Im Keller wartet schon/ Der Lohn.« Tocotronic, Hamburgs wahrscheinlich finest, feiern Jubiläum und haben Chloroform im Gepäck. Zwanzig Jahre Bandgeschichte, da ist einiges passiert in den Jahren, die Band hat 2011 ein Sabattjahr genommen, sich Bärte wachsen lassen, diese wieder abrasiert, sich mit Metaphysik, Geistern und Botanik befasst.

 

Ihr Produzent Moses Schneider ist geblieben, zugleich dieVorliebe von Sänger und Texter Dirk von Lowtzow für Esoterik, Schüttelreime, Ausrutscher (»Neutrum mit Bedeutung«!) Schatten und Gender Studies. »Als anderes Geschlecht«, heißt es konsequent an Nummer 29 in den dem Album vorangestellten 99 Thesen zum universalen Paket »Wie wir leben wollen«. »Doch nur Stunden danach/ lag ich hilflos und schwach/ im Palasthotel/ drei Tage wach«, rätselt es in »Vulgäre Verse«. 

 

Überhaupt perfektionieren die Jubilare das Unklare, Verwaschene, Offene. Das Anti-Ideologische von Camus wird gestreift (»Die Revolte ist in mir«), Adolf Loos zitiert (»Ornament und Verbrechen«, überhaupt wird allerlei intellektuelle Schnitzeljagd betrieben), nach Antidoten für Anekdoten verlangt (endlich!). Musikalisch zitiert die Band mehrfach die Smiths, inklusive des klassisch-leidenden »Haa-haa-haaaaa« Morrisseyscher Prägung, ansonsten bleiben Arne, Jan, Dirk und Rick aber schlicht und einfach Tocotronic. Hört mindestens 14 der 17 Stücke mindestens viermal mit Muße! Meidet auch zukünftig Bands wie die Rolling Stones!