Hausmeister statt Pädagogin

5,5 Mio. Euro will die Landesregierung einsparen,

dann müssten die 72 Jugendwohnheime in NRW schließen

Eine junge Frau stürmt ins Haus, das Mobiltelefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt, in der Hand einen großen Blumenstrauß. »Ja, Mama, ich rufe dich zurück«, beendet sie ungeduldig das Gespräch. Sie klopft an die Türe des Büros, in dem eine der Sozialpädagoginnen gerade mit der 16-jährigen Nadine spricht, die tags zuvor ihren Ausbildungsplatz verloren hat. Die beiden unterbrechen ihr Gespräch, gratulieren der jungen Frau, die aufgeregt kichert und ihre Geburtstagspost ausgehändigt bekommen will – und den Schlüssel für die Außentür. »Sie ist jetzt volljährig«, kommentiert Jacqueline, die bereits 20 ist, die Szenerie lächelnd, »und kann nach Hause kommen und gehen wann sie will.«
Zuhause, das ist für die 60 Mädchen und Frauen im Alter von 16 bis 27 Jahren das Teresa-von-Avila-Haus in der Spielmannsgasse, direkt an der Severinsbrücke. Sie fühlen sich sichtlich wohl in diesem Jugendwohnheim. Ein Ausdruck, der nach beengten Etagenbetten und Hagebuttentee zum gemeinschaftlichen Abendbrot klingt. Stattdessen aber leben die Frauen in Einzel- oder Doppelzimmern, je drei Frauen teilen sich ein Badezimmer, auf jeder der drei Etagen gibt es eine großzügig eingerichtete Gemeinschaftsküche, jedoch mit kleinen Einzelschränken, die Platz für individuelle Essgewohnheiten lassen. Gemeinsam benutzt werden auch die zwei großen Fernsehräume, die Waschmaschinen und Internetanschlüsse.
Gerade diese lässige Mixtur aus Privatheit und Gemeinschaftsleben, aus Hilfsangebot und Selbstständigkeit schätzen die Bewohnerinnen. »Wenn man ein Problem hat, in der Familie oder auf der Arbeit«, sagt Jacqueline, die seit einem halben Jahr hier lebt, »kann man sich immer an eine Betreuerin wenden. Oder an eine Freundin, die findet man hier schnell.« Dass man keine Unterstützung mehr bräuchte, nur weil man volljährig sei, das findet Jacqueline aus eigener Erfahrung »totalen Blödsinn«.
Birgit Fischer, Ministerin für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit in NRW, ist da anderer Meinung: »Mir kann niemand erzählen, dass junge Erwachsene, nur weil sie während einer Ausbildung oder Lehre nicht bei den Eltern wohnen, grundsätzlich einer sozialpädagogischen Betreuung bedürfen«. Die Landesregierung plant zum 1. Januar 2003, die Zuschüsse für die Jugendwohnheime in NRW komplett zu streichen: 5,5 Mio. Euro zweckgebundene Gelder für das pädagogische Personal der Jugendwohnheime sollen im nächsten Haushalt wegfallen. Im Teresa-von-Avila-Haus machen die Gelder rund ein Viertel der entsprechenden Personalkosten aus. Die Etatberatungen im Landtag haben bereits am 10. September begonnen, im Dezember fällt dort die endgültige Entscheidung. Nach dem Grund der plötzlichen Kürzungen gefragt – 50 Jahre lang wurden die Gelder als sinnvoll betrachtet und gewährt – sagt Ministeriumssprecher Walter Godenschweger, dass »früher eben die Zeiten anders waren« und man einen »Fehler in der Fördersystematik des Landes« ausgemacht habe. »Wir halten die Kürzungen für vertretbar«, fasst Godenschweger zusammen. In Köln betrifft das 12 Jugendwohnheime und rund 700 Jugendliche, in NRW sind es 72 Heime, die jährlich von rund 19.500 Jugendlichen genutzt werden.
Elvira Ganser, Leiterin des Teresa-von-Avila-Hauses, schüttelt den Kopf über so viel Konzeptionslosigkeit seitens der Landesregierung. Einerseits fordere man von jungen Menschen eine höhere Mobilität, um einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeit zu finden, andererseits gefährde man Mobilitätshilfen wie die Jugendwohnheime. Jacqueline ist – wie nahezu alle Bewohnerinnen hier – wegen ihres Ausbildungsplatzes hergezogen: »Als ich noch in Lindlar wohnte, musste ich jeden Morgen um halb vier aufstehen, um den Bus nach Köln zu bekommen, der nur einmal stündlich fährt. Oft war ich erst um neun oder zehn nachts wieder zu Hause. Ich war immer kaputt, unausgeschlafen. Jetzt kann ich mich auf meine Arbeit konzentrieren und habe sogar mal Freizeit.«
Wenn die Gelder zum 1. Januar ausblieben, sagt Elvira Ganser, müssten die drei pädagogischen Betreuerinnen entlassen werden. »Ohne Betreuung könnte man das nur noch wie ein Studentenwohnheim weiterführen, mit einem Hausmeister als Personal, aber das wird nicht funktionieren«, ergänzt Marianne Wolf, stellvertretende Geschäftsführerin von IN VIA, Verband Katholischer Mädchensozialarbeit, dem Trägerverein des Teresa-von-Avila-Hauses, das sich »Internationales Jugendwohnheim« nennt. Wolf verweist auf den Migrationshintergrund, den viele junge Frauen hier haben. Die Hälfte der Bewohnerinnen sind Sprachschülerinnen, die nicht aus der Bundesrepublik stammen, aber hier leben, Deutsch lernen und eine Ausbildung machen. Eine von ihnen ist Mona aus Somalia, die gerade 18 geworden ist. Der ständige Kontakt hilft ihr, schneller Deutsch zu lernen, sich zu orientieren, eine Ausbildungsstelle zu finden. Das Ziel der pädagogischen Betreuung im Teresa-von-Avila-Haus ist die Emanzipation, die Selbstständigkeit der Frauen, die maximal drei Jahre hier wohnen können.
Was passiert, wenn das Heim im Januar 2003 schließen muss? »Dann können wir unter der Brücke schlafen«, sagt Jacqueline. »Oder wir müssen die Ausbildung abbrechen und wieder nach Hause ziehen.«