Die Stille nach dem Schuss

Umstritten: Kathryn Bigelow zeigt in Zero Dark Thirty eine hronologie der zehnjährigen Jagd auf Osama bin Laden — und deren Folgen für eine weibliche CIA-Agentin

Pro (Olaf Möller)

 

Von Beginn an ist klar, wie »Zero Dark Thirty« enden wird: Eine Eingreiftruppe der Navy Seals tötet Osama bin Laden und mehrere ihm nahestehende Personen. Die Frage ist also nie: Was wird passieren? Sondern: Aus welcher Perspektive werden die Ereignisse betrachtet? Welche Schlüsse politischer und moralischer Natur ziehen Drehbuchautor Mark Boal und Regisseurin Kathryn Bigelow aus den Ereignissen?

 

Wollte man »Zero Dark Thirty« flockig auf den Punkt bringen, könnte man ihn als die weibliche Geheimdienstversion von Bigelows »The Hurt Locker« (2008) beschreiben. Wo im früheren Film ein Soldat Bomben entschärft, weil er keinen anderen Sinn in seinem Leben sieht als eben das Zocken mit dem Tod, macht hier eine Mitarbeiterin der CIA bin Ladens Ende zum Movens ihres Seins. 

 

Der Soldat, das begreift man am Schluss von »The Hurt Locker«, wird erst zur Ruhe finden, wenn er in Fetzen verstreut in einer fernen Gasse liegt. Die Agentin muss am Ende die sterblichen Überreste ihres lange Jahre hindurch verfolgten, im Leben nie angetroffenen Antagonisten identifizieren und dabei erkennen, dass nicht nur seine, sondern auch ihre Existenz mit den Schüssen auf ihn erloschen ist.

 

Bigelow geht es daher auch nicht um die unmittelbaren realpolitischen Konflikte, Dunkelzonen, Menschenrechtsverbrechen: Sie erzählt Folter, Korruption etc. als Alltäglichkeiten, also nicht als Skandal, sondern bloß als etwas Gegebenes — was sie erst wirklich zum Skandal macht. Es ist dunkel in der Welt, wie schon der Titel sagt. Und es ist dunkel, weil wir mitmachen.

 

Maya heißt die Geheimdienst-Mitarbeiterin — ihr Name bedeutet in Sanskrit: Illusion. Maya tritt zu ihrem ersten Job als Folterknecht noch mit einer Sturmhaube über dem Kopf an. Als man ihr beiläufig zu verstehen gibt, dass keines ihrer Opfer die Gelegenheit haben wird, sie zu identifizieren, hört auch sie auf, sich zu verstecken. Genauer: Kathryn Bigelow nimmt den Ausdruck theatre of war brutalst wörtlich, ihre Charaktere sind allesamt method actors des Krieges, die nur der Tod aus ihren Rollen herausbekommt.

 

 

 

Contra (Holger Römers)

 

Der schwerste Vorwurf, den man »Zero Dark Thirty« machen kann, ist der, den in den USA zahlreiche Kommentatoren bis hin zum ehemaligen Präsidentschaftsbewerber John McCain formuliert haben: dass er nämlich fälschlicherweise die Effizienz der im Terrorkampf eingesetzten Folter suggeriert. Tatsächlich lässt der Handlungsverlauf keine andere Lesart zu, als dass brutale Verhöre durch die CIA mittelbar die Erschießung bin Ladens ermöglichten. Denn die erste lange Folterszene, die der Film zeigt, ist die konkrete Voraussetzung dafür, dass der Gefolterte sich später verleiten lässt, einen wichtigen Namen preiszugeben. Und weil die Erzählperspektive und der Ton von »Zero Dark Thirty« ebenso um lakonische Hartgesottenheit bemüht sind wie die Protagonistin, die nach Pakistan entsandte junge CIA-Agentin Maya, wird das Publikum nicht gerade zur abstrakten Reflexion der abgebildeten Methoden eingeladen. Genau das ist wiederum ein Grundproblem des Films: Es ist rätselhaft, was Kathryn Bigelow und Drehbuchautor Mark Boal eigentlich beabsichtigen.

 

Über die letzte Dreiviertelstunde von »Zero Dark Thirty«, in der die Elitesoldaten ins Zentrum rücken, die bin Laden schließlich erschießen, lässt sich noch am ehesten sagen, dass sie »funktioniert«. Da ist der Aufwand, der betrieben wird, um die Ereignisse minutiös nachzustellen, so unübersehbar, dass der nüchternen Unmittelbarkeit der Bilder spontan Evidenz zuwächst. Doch abgesehen davon, dass den militärischen und geheimdienstlichen Gewährsleuten dieser Darstellung zu misstrauen ist, haben wir es selbstverständlich mit einer Pseudo-Evidenz zu tun, die unergiebig bleibt. Der fetischistische Rekonstruktionsaufwand bietet nicht mehr Erkenntnisse als der in Oliver Hirschbiegels »Der Untergang«.

 

In den ersten beiden Akten wird die Erzählperspektive von jener Frau dominiert, die jahrelang verbissen einem Mann auf den Fersen blieb, der die CIA schließlich zum Versteck des al-Quaida-Kopfes führte. Maya, die in ihrer Arbeit völlig aufgeht, erscheint als Seelenverwandte der Hauptfigur von »The Hurt Locker« (2008), in dem Bigelow wunderbar durchexerzierte, wie mit den Mitteln von Action und Plot eine filmische Charakterstudie zu zeichnen ist. Doch die Verbindung zur Makro-perspektive des Terrorkrieges, dessen Stationen dieser Film über weite Strecken wie eine Chronik abreißt, ist in »Zero Dark Thirty« zu dünn. So bleibt Maya eine Chiffre — weshalb es umso weniger überzeugt, dass Bigelow ein, zwei Mal den Gefühlshaushalt dieser Frau aufscheinen lassen will und sie zum Beispiel in der ersten Folterszene vor der Brutalität des Verhörs betont zusammenzucken lässt. 

 

Zero Dark Thirty (dto) USA 2012, R; Kathyn Bigelow, D: Jessica Chastain, Jason Clarke, Joel Edgerton, 157 Min.