Klangforschung darf auch mal ungestüm sein, Foto: Nico Stinghe

… oder was von Neil Diamond

Brandt, Brauer und Frick bewahren Haltung im Chaos

"Bestimmt steckt in unserer Musik der Impuls, das Chaos zu ordnen", sagt Paul Frick. "Allerdings achten wir darauf, dass wir das Chaos nicht totordnen." Die Musik des Brandt-Brauer-Frick-Trios hat man als überaus detailgenau geordnet in Erinnerung: deutsche Exaktheitsmusik. Man denkt unwillkürlich an ordentlich gebügelte Hemden und sauber geknotete Krawatten. Selbst das äußere Erscheinungsbild der Musiker gemahnt an die Menschmaschinen-Ästhetik von Kraftwerk, das Klangbild ist durchweg rhythmendominiert. "Unsere alten Sachen waren eine aufgeräumte Sache. Ganz klare Patterns." Paul Frick hat Komposition an der Berliner Hochschule der Künste studiert. Auf den Techno und elektronische Musik stieß er später als andere, bekennt er: "Ich habe mich sehr für Kompliziertes interessiert, genauso sehr aber für die Qualität der Einfachheit, der Reduktion und den Geist des Minimalismus."

 

Der eisern getaktete Loop-Techno-Groove, den man von den ersten beiden Alben kennt, ist bis heute nicht gänzlich verschwunden, wenngleich auf "Miami", dem neuen Album, die Drum-Beats erkennbar "nicht mehr so klinisch aufgeteilt" klingen, wie Frick zu verstehen gibt. "Wir hören ja auch mal Rock oder was von Neil ­Diamond, Musik, die noch dreckig und lebendig klingt. Aber was wir absolut unnötig finden, ist eine bestimmte Art perfekt und super produzierte Rockmusik."

 

Das ungetrübte Bummtschac haben sie in kunstvoll arrangierte Strukturen überführt

 

Das Studio des Trios stellte man sich naturgemäß stets als staubfreie Arbeitsklause vor, die man nur mit sauberen schwarzen Lackschuhen betreten dürfte. Doch der im Herzen des Berliner Stadtbezirks Neukölln gelegene schrundige Hinterhof wirkt nicht gerade wie ein Ort, an dem man Stil- und Ästhetikfetischisten wie Brandt Brauer Frick wähnt. Auch das Studio, vollgestopft mit Instrumenten jeder Art, macht auf den Besucher mehr den Eindruck eines angenehm verwahrlosten Hobbyraums: Eine Wand ist zur Gänze mit grauen Eierkartons beklebt, um den Schall zu dämmen. Ein Gutteil des ebenerdigen Raums wird von einem Konzertflügel eingenommen. In einer Ecke steht ein niedriger Tisch, darum herum eine alte, braune Ledercouchgarnitur, auf der wir uns niedergelassen haben. Frick trägt ein ungebügeltes Hemd und ein schwarzes Jackett.

 

Was die Entdeckung und Integration von moderner klassischer Musik und Jazz für den Techno angeht, können Brandt, Brauer und Frick als stilbildend gelten. Das ungetrübte Bummtschac haben sie in kunstvoll arrangierte Strukturen überführt, ihren warmen, pulsieren­den Techno-Sound produzierten sie früher mithilfe eines Orchester­ensembles. Beats wurden allein mittels des Hallraums eines Kon­­zert­flügels oder per spezieller Saitenzupftechniken erzeugt. "Eine aufregende Synthese aus Clubmusik und Konzerthaus", nannte der britische Guardian das Ergebnis. Von einer "Brücke zwischen Minimal Techno und Minimal Music", schrieb der Tagesspiegel.

 

"Wir wollen sehr hypnotische Musik machen"

 

Doch als ein Crossover aus mehreren Stilen will das Trio seine Musik auch heute nicht verstanden wissen. "Unsere Musik wird aus Bauklötzen oder Bausteinen generiert. Man übernimmt ein technisches Element und kombiniert es mit etwas anderem. Wir wollen nicht alles mit allem mischen." Ihre Vorliebe für den Minimalismus von etwa Steve Reich wird von der Band nicht verheimlicht. "Ein Verbindungspunkt ist immer die Hypnose. Wir mögen repetitive Musik, die einen reinzieht", sagt Daniel Brandt. "Wir wollen sehr hypnotische Musik machen. Bei der fortwähren­den Wiederholung klanglicher Elemente passiert das natürlich schneller."

 

Auf dem neuen Album "Miami" habe man jedoch "mehr Chaos zugelassen". Tatsächlich klingt viel des neuen Materials verspielter, heterogener, reicher sowohl an Einflüssen als auch an scharfkantigen Elektrobeats, wenngleich die rhythmischen Grundstrukturen, das dampfmaschinenhaft Stoische oder die Nutzung des Klaviers als Rhythmusinstrument, beibehalten wurden. "Die Platte rauscht sehr angenehm, sie hat viele dreckige, ganz feine Höhen, ziemlich viel Verzerrungen. Wir sind jetzt auf jeden Fall auf Chaos getrimmt."

 

"Mit Techno im ureigenen Sinn haben wir fast nichts mehr zu tun"

 

Statt des zehnköpfigen Orchesterensembles arbeitete man mit verschiedenen Sängern und Gastkünstlern, etwa dem Soul-Sänger Jamie Lidell, Gudrun Gut (Malaria!, Einstürzende Neubauten) oder dem Produzenten Om'mas Keith, der etwa für Frank Ocean, Kanye West und Jay-Z tätig war. "Es sind diesmal weniger Tracks, sondern eher Songs. Die Anfänge von Techno, Mitte der 80er Jahre in Detroit, finden wir faszinierend. Zwar ist der Urgeist von Techno aus unserer Musik nicht wegzudenken, aber mit Techno im ureigenen Sinn haben wir fast nichts mehr zu tun, außer manchmal einer Vierviertel-Bassdrum", meint Daniel Brandt.

 

Und was hat es für eine Bewandtnis mit den gut sitzenden grauen Anzügen, den adretten Frisuren und den ordentlich gebundenen Schlipsen, die von den drei jungen Männern häufig bei Auftritten getragen werden? Gehört der klassische Kleidungsstil zu einem Pop-Art-Gesamtkonzept, das unaufdringliche Eleganz mit klarer Ordnung vereinbaren will? "Das hat sich so ergeben, weil wir am Anfang viel in Techno-Clubs gespielt haben", erläutert Brandt. "Das war die New-Rave-Zeit, in der alle neonfarben angezogen waren oder komische bunte Leggins anhatten. Davon wollten wir uns abgrenzen. Da war es für uns cool, Anzüge zu tragen, um aufzufallen. Wir empfinden sie auch ein bisschen als Uniform. Es hat den Beigeschmack, dass wir das Gefühl haben, wir gehen zur Arbeit."

 

"Solche Kleidung ist einfach die beste, weil sie zeitlos ist", sagt Frick. "Wenn man in einem Club sehr betrunken ist und man ein Hemd und einen Schlips trägt, dann nehmen einen alle immer noch komplett ernst.

 

Tonträger: Brandt Brauer Frick, "Miami" (!K7 Records/ Alive)