Handarbeit für die Hexen

Die Kölnerin Martina Kanehl hat für das Actionspektakel »Hänsel und Gretel: Hexenjäger« Lederkostüme angefertigt

»Bitte nur bis zur roten Markierung bearbeiten«, mit solchen Notizen bekam Martina Kanehl Kostüme zur Ausbesserung zurück. Hinter der Markierung war dann Sprengstoff angebracht, der beim Dreh zur nächsten Szene das Lederoutfit zerfetzen sollte. Ein paar Se--kunden Leinwandspaß für die Zuschauer, für die Martina Kanehl drei Monate in reiner Handarbeit genäht hat. »Da blutet einem schon das Herz«, gibt sie zu. Doch sie bereut nicht, an »Hänsel & Gretel: Hexenjäger« mitgewirkt zu haben.

 

Für Monate hat sie sich bei ihrem Bruder in Berlin einquartiert, um am Drehort Babelsberg dabei sein zu können. Die Kostümabteilung umfasste vierzig bis sechzig Mitarbeiter. Martina Kanehl arbeitete in einem Team mit sechs Experten zusammen, die auf Leder spezialisiert sind.

 

Sie hat selbst nach ihrer Schneiderlehre sieben Jahre als Directrice in einer Hamburger Edelboutique gearbeitet, die für ihre Lederoutfits bekannt ist. Zeitgleich hat sie sich zur Gewandmeisterin fortgebildet. Die sind bei Theater, Film und Fernsehen für die praktische Umsetzung der Kostümentwürfe zuständig. Sie sind Schneider, Künstler und ein bisschen Historiker in einem, können originelle Fantasie-Outfits ebenso herstellen wie originalgetreue historische Kostüme. Nach ihrem Abschluss kam die Gewandmeisterin für das Musical »We Will Rock You« an den Rhein und machte sich 2008 selbstständig. In ihrem kleinen Atelier auf der Boisseréestraße nicht weit vom Rathenauplatz fertigt sie Brautmoden und Kostüme an und arbeitet für Theater-, Musical und Filmproduktionen. 

 

Zu »Hänsel & Gretel« kam sie auf Empfehlung einer Kollegin. Doch der Start entwickelte sich zäh. Nach den Entwürfen der leitenden Kostümbildnerin fertigte ihr Team unzählige Muster von Kragen und Kostümen an. Sie wurden in langen, streng hierarchischen Abstimmungsprozessen bis hin zu Regisseur Tommy Wirkola verworfen oder abgesegnet. Über vier Wochen zogen sich die Vorarbeiten hin. Manchmal wurde nach siebzig Entwürfen doch der erste genommen.

 

Schon beim Zuschneiden ist höchste Konzentration nötig, da Leder ein organisches Material ist, bei dem kein Stück dem zweiten gleicht. So lag die besondere Herausforderung darin, Kostüme in bis zu siebenfacher Ausfertigung zu nähen: das Original für die Hauptfigur und Kopien für die Stuntdouble. Für den Federkragen, den Hexe Muriel, gespielt von Famke Janssen, trägt, wurde dabei jede Feder einzeln mit der Hand angenäht — und auch das sieben Mal. Bei so viel Aufwand wundert es kaum, dass das Kostümbudget laut Martina Kanehl innerhalb kürzester Zeit von zwei auf sechs Millionen Dollar aufgestockt worden sei. »Ob es dabei geblieben ist, weiß ich nicht«, sagt sie.

 

Während die Kostüme der Hauptfiguren, Hänsel wird gespielt von Jeremy Renner und Gretel von Gemma Arterton, in den USA angefertigt worden sind, wurden die Nebenfiguren in Babelsberg angekleidet. Einige Hexen konnte die Gewandmeisterin komplett ausstaffieren und dabei ihrer Kreativität freien Lauf lassen. »Bei den Nebenfiguren war die Kostümbildnerin dankbar für Ideen.« Zum Beispiel beim Sheriff, verkörpert von Peter Stormare. Martina Kanehl hat das Drehbuch gelesen, um sich besser in die Charaktere einfühlen zu können. »Der Sheriff ist eine rohe und zwielichtige Gestalt. Seine grobe Kleidung hebt diese Charaktereigenschaften hervor«, erklärt sie. Seine robuste Jacke wurde mit dicken Ledernadeln gefertigt, die das Material eher schneiden als nähen, normale Nadeln wären gebrochen.

 

Damenröcke aus weichem Leder wurden hingegen filigran mit feinsten Zierstichen versehen. »Wir mussten sehr korrekt arbeiten, weil man auf der großen Leinwand jeden Stich sieht«, erzählt Martina Kanehl. Auf der Bühne »vertanzen« sich Ungenauigkeiten, im Kino nicht.

 

Bei einigen Nebenfiguren hat das Team nicht konventionell zugeschnitten und genäht, sondern am Darsteller drapiert. »Es fiel mir schwer, alles, was ich an Schnitt--technik gelernt habe, über den Haufen zu werfen und ganz anders zu arbeiten«, gesteht Kanehl.

 

Die fertigen Kostüme wurden eingefärbt und auf alt getrimmt — »patiniert«. Dazu wurden sie mit Steinen und Schmirgelmaterial in den Betonmischer gesteckt, mit Airbrush bearbeitet, in den Farbmischer geworfen und schließlich noch einmal abgeschmirgelt, bis sie völlig abgenutzt aussahen.

 

Pro Tag hat Kanehl zwölf bis 16 Stunden gearbeitet, manchmal mussten über Nacht neue Figuren angekleidet werden. Da gab es wenig Gelegenheit, sich am Set umzusehen. »Meist war abgesperrt, damit keiner beim Dreh stört. Aber ab und zu haben wir gespinkst.«

 

Auf den Showdown am Hexenberg ist sie gespannt, weil sie die Aufbauarbeiten mitbekommen hat. Felsen wurden aus Styropor gebaut, die Kulisse mit echten Bäumen bestückt, vor einem Green Screen Hexen an Seilen durch die Luft gezogen. »Ich bin gespannt, wie das im fertigen Film rüberkommt«, sagt Kanehl. Für den Kinostart hat sie sich mit Teamkollegen verabredet. Sie liebt Action- und Fantasyfilme, nicht nur, weil sie sich dabei im Job kreativ mehr austoben kann als bei einem Liebesfilm. »Die Realität finde ich eher langweilig. Es macht Spaß, ein bisschen daran herumzumodeln«, sagt sie und freut sich auf neue Projekte. Mit befreundeten Künstlern arbeitet sie gerade an einem Bühnenstück über die Sieben Todsünden.