Oh Gott!

Hölle auf Erden: »Paradies: Glaube« von Ulrich Seidl

Anna Maria (Maria Hofstätter) verdient ihr Geld als Krankenschwester, ihre Berufung hat sie jedoch beim »Stoßtrupp des Herrn« gefunden: In Ihrer Freizeit zieht sie durch eine triste Vorstadtwüste mit Marien-statuen im Gepäck, die sie an bekehrungswillige Sünder loszuwerden versucht. Der gleichförmige Alltag nimmt erst eine Wendung, als ihr querschnittsgelähmter Mann, der Moslem Nabil (Nabil Saleh), wieder auftaucht und ihre Prinzipientreue auf die Probe stellt.

 

»Paradies: Glaube« ist der zweite Teil von Ulrich Seidls »Paradies«-Trilogie. Den Auftakt machte »Paradies: Liebe«, in dem Anna Maria bereits einen kleinen Auftritt hat, als Schwester der Sextouristin Teresa, die sich nach Kenia aufmacht. Anna Maria bleibt zuhause, in Österreich, eingesperrt in eine kleinbürgerliche, selbst für Ulrich Seidls Verhältnisse besonders klaustrophobisch symmetrisierte Welt. Enge Zimmer, starre Einstellungen, rechts, links, oben, unten: überall Wände, zentralperspektivisch ausgerichtet auf einen Fluchtpunkt, der in diesem Leben nicht mehr zu erreichen ist — da hilft kein Beten.

 

Die stille Hingabe an die Spiritualität ist Anna Marias Sache ohnehin nicht: Sie muss ihren zutiefst lustfeindlichen Glauben, wohl, weil er jeden Moment zu entschwinden droht, mit Peitschenhieben auf ihren Rücken eintragen, auf den Knien durch die Wohnung kriechend ausagieren. Bis das Blut fließt. Und einmal nimmt sie sich ihren Jesus auch mit ins Bett. (Was ist die katholische Kirche für ein Verein, dass sie sich in einem Film, der ein derartiges Arsenal menschlicher Schwächen und Verkommenheiten ausbreitet, ausgerechnet an dieser geradezu zurückhaltend gefilmten Masturbationsszene stört?) 

 

Eingelassen in diesen zutiefst pessimistischen, depressiven Film sind einige unfassbare, gleichermaßen komische und furchterregende Bekehrungsversuche bei Anna Marias Hausbesuchen. Einmal trifft sie auf einen nur mit einer Unterhose bekleideten Kauz (Rene Rupnik, bekannt aus Seidls »Der Busenfreund«), der in seiner vermüllten Wohnung kaum Platz findet für die Marienstatue, ein andermal auf eine betrunkene, aggressive Osteuropäerin, die alsbald übergriffig wird. Es wäre irreführend zu behaupten, dass diese, in langen, quasidokumentarischen Einstellungen ausgespielten Szenen den Film auflockerten. Aber sie bieten immerhin Perspektiven an, die mit Anna Marias totalitärer Religiosität nicht ganz in eins fallen.

 

 

Paradies: Glaube A/D/F 2012, R: Ulrich Seidl, D: Maria Hofstätter, Nabil Saleh, Natalya Baranova, 113 Min.