Eine nicht ganz wahre Geschichte

Biografische Spekulation: »Hitchcock« von Sacha Gervasi

Spielfilme reklamieren gerne schon im Vorspann Wahrhaftigkeit, indem sie behaupten, auf einer wahren Geschichte zu basieren. Dass eine Fußnote im Abspann auf eine Sachbuchvorlage verweist, wirkt dagegen kurios. Im Falle von »Hitchcock«, der die Entstehungsgeschichte des Filmklassikers »Psycho« skizziert, ist dieser Literaturhinweis zugleich entlarvend. 

 

Das ebenso kurzweilige wie banale Spielfilmdebüt von Sacha Gervasi, der zuvor den Dokumentarfilm »Anvil!« gedreht hat und Ko-Autor von Steven Spielbergs »Terminal« ist, zeigt Hitchcock auf dem Gipfel des Erfolgs (von »Der unsichtbare Dritte«) und auf der Suche nach einer neuen kreativen Herausforderung. Gegen den Widerstand seines Studios kapriziert sich der 60-jährige Filmemacher darauf, mit wenig Geld einen fiesen Serienkiller-Roman zu verfilmen — was ihm einen weiteren Triumph beschert. 

 

Dieser Handlungsverlauf findet sich in dem 1990 erschienenen Büchlein »Alfred Hitchcock and the Making of Psycho«, auf das sich der Abspann beruft. Und die eine oder andere Szene scheint brav Rechercheergebnisse des Autors Stephen Rebello zu illustrieren — wenn etwa Hitchcock seiner Hauptdarstellerin Janet Leigh bei laufender Kamera die Gedanken ihrer Filmfigur souffliert. Doch im Zentrum steht bezeichnenderweise ein Aspekt, der bei Rebello überhaupt keine Rolle spielt: die Beziehung des Starregisseurs zu seiner Ehefrau und ständigen Mitarbeiterin Alma Reville. 

 

Dass Gervasi eine mutmaßliche Affäre Revilles um ein Jahrzehnt umdatiert, kann als legitime künstlerische Freiheit gelten. Der Wahrheit wird mehr Gewalt durch das triviale Format angetan, auf das dieser konventionelle Film eine unkonventionelle Dreieckskonstellation zurechtstutzt. Tatsächlich war der mutmaßliche Geliebte Whitfield Cook ein so enger Freund beider Eheleute, dass ein Hitchcock-Biograf ihn »den dritten Hitchcock« nennt und spekuliert, ob der Filmemacher einen etwaigen Seitensprung guthieß. Im Film wird daraus eine denkbar simple Eifersüchtelei. Und auf dem gleichen Niveau bewegt sich die Emanzipationsgeschichte, die Gervasi Reville andichtet. Dass er seinen Protagonisten in mehreren Fantasieszenen zum Seelenverwandten des realen Serienkiller-Vorbildes von Norman Bates macht, ist dagegen monströser Unfug. Erst recht, weil Gervasi darauf verzichtet, jene Monstrosität aufscheinen zu lassen, die Hitchcock nach Angaben seines weiblichen Stars Tippi Hedren bei sexuellen Übergriffen an den Tag legte. 

 

 

Hitchcock USA 2012, R: Sacha Gervasi, D: Anthony Hopkins, Helen Mirren, Scarlett Johansson, 98 Min.